Eine große Überblicksausstellung in der Kunstsammlung NRW widmet sich dem Schaffen der Düsseldorfer Künstlerin Katharina Sieverding.
Katharina Sieverding in DüsseldorfSie gab der Verwirrung der Geschlechter ein Gesicht
Die serielle Wiederholung des eigenen Gesichts ist das wiederkehrende Motiv und Thema ihres Arbeitens und bald schon ihr Markenzeichen. In den verschiedensten Medien und Techniken sucht die Düsseldorfer Künstlerin Katharina Sieverding (geboren 1941 in Prag) seit gut 60 Jahren unermüdlich nach dem Bild hinter dem Bild ihrer selbst. Und damit nach einer Antwort auf die Frage: Was ist das Ich?
Eine Frage, die in Künstlerkreisen Ende der 60er Jahre besonders drängend und zu allen möglichen Gelegenheiten gestellt wurde. Da lebte Katharina Sieverding schon in Düsseldorf, wo sie von 1967 bis 1972 an der Kunstakademie Meisterschülerin bei Joseph Beuys war. Dort wurde – obschon der Meister selbst von den technischen Medien nicht viel hielt - durchaus mit Fotografie und Film gearbeitet und experimentiert.
Sieverdings Kommilitonen damals: Ulrike Rosenbach, Imi Giese und Imi Knoebel, Lothar Baumgarten, Anselm Kiefer, Reiner Ruthenbeck. „Für mich“, so formulierte es die Künstlerin 2004 in einem Interview, „war die Fotografie oder der Film ein potenzieller Ausweg aus der Vorherrschaft der Kunstgeschichte der Vergangenheit in neue Bereiche der Identifikation, Haltung und Methoden der künstlerischen Praxis als Künstlerin.“
Bevor Katharina Sieverding zu Beuys wechselte, war sie Assistentin des Bühnenbildners Theo Otto
Bevor sie allerdings 1967 in die Klasse von Joseph Beuys wechselte, war Sieverding Schülerin und Assistentin des Bühnenbildners Theo Otto. Ihr Weg zur Kunst führte sie also zunächst über das Theater. So verwundert es nicht, dass Masken und Rollenspiel nicht nur in ihren Performances und der Body Art, sondern auch in der Bildkunst, in ihren experimentellen Foto- und Filmarbeiten, eine zentrale Rolle einnehmen. Doch schon während ihres Studiums - obwohl die Ankunft der amerikanischen Fluxus-Künstler an der Düsseldorfer Akademie damals für große Aufregung gesorgt hatte - wandte Sieverding sich von den allzu spielerischen Fluxus-Attitüden ab und dem eigenen Subjekt und seiner gesellschaftlichen Bedingungen und Einschreibungen zu. Diesem Weg folgt sie bis heute.
Mit einer großen Ausstellung würdigt die Kunstsammlung NRW im K 21 jetzt das Werk der Multimedia-Künstlerin Katharina Sieverding. Vielfach geehrt und ausgezeichnet, gilt sie heute als eine Pionierin der neuen Medien. Mit ihrem langjährigen Partner, Wegbegleiter und Vater der drei gemeinsamen Kinder, dem Fotografen Klaus Mettig, hatte sie 1976 bis 78 ausgedehnte Reisen nach China und Amerika unternommen, die in verschiedener Weise in ihrer beider Kunst einflossen. Von 1992 bis 2007 lehrte die mehrfache Biennale und Documenta-Teilnehmerin an der Hochschule der Künste Berlin.
Teile des Materials, das sie für die Lehre und ihr Arbeiten benutzte, können jetzt in einem zentralen Kapitel der Ausstellung zum ersten Mal näher betrachtet werden. Ihr umfangreiches Archiv, in dem Statements zu Kunst gleichberechtigt neben privaten Notizen und anderen Dokumenten aufbewahrt werden, gewährt einen Einblick in das untrennbare Geflecht von Kunst und Leben. Die als Wandzeitung aufgehängten Fotos der damaligen Studentenunruhen („Eigenbewegung“, 1967-69) zeigen auch die Proteste an der Akademie rund um die geschlossene Beuys-Klasse. Zum ersten Mal überhaupt sind in der Düsseldorfer Schau auch frühe Polaroid-Serien von 1973 ausgestellt. Diese in mehrteiligen Tableaus geordneten „Urbilder“ sind, neben all den überlebensgroßen Close-Ups, Anlass für ein kurzes Innehalten: Ja klar, so fing es an.
An der Schnittstelle zwischen Gesellschaft und Individuum greifen viele der monumentalen Arbeiten aktuelle oder historische Themen und Bilder aus den Medien auf und transformieren sie in zeitgenössische Fragestellungen - schließlich gehört Sieverding zu jener Künstlergeneration, die mit ihren Arbeiten auch politisch eingreifen und wirken wollte. Es geht um Deutschland und seine Geschichte, um den Kalten Krieg, um Flucht und Terror, Antisemitismus und Umweltzerstörung, um Geschlechterfragen.
Anfang der 70er Jahre blendet sie männliche und weibliche Gesichter ineinander
Dennoch, es ist besonders das eigene Gesicht, das der Künstlerin zum Spiegel von Befindlichkeiten und Rollenverhalten wird, zur Projektionsfläche ihres Nachdenkens über das (weiblich codierte) Ich und seine Lebenswelt. Das Sehen, der Blick, die Augen, viele Jahre lang bleiben sie ihr zentrales Motiv. Sie experimentiert bei der Bildentwicklung, manipuliert die chemischen Prozesse, färbt die Fotografien mit farbigen Filtern ein. So sind die Gesichter mal rot, mal golden glänzend, dann auch umgekehrt im Negativ, silbrig, grau und dunkelgrau mit hellen oder dunklen Konturen. Minimale Variationen der Mimik. Lachend, mit wilder Lockenmähne, das war ganz früh, Jeans, Stiefel.
Anfang der 70er Jahre beginnt sie mit den Mehrfachprojektionen, bei denen sie männliche und weibliche Gesichter ineinander blendet und die Idee des ungeteilten Selbst infrage stellt. In der Installation „Transformer“ (1973-74) sind das Männliche und das Weibliche untrennbar verschmolzen.
Und auch der Film ist von Beginn an Teil ihres künstlerischen Arbeitens, die Themen: emotional besetzte, persönliche Erinnerungen, globale Probleme, divergierende Ideologien. Es geht immer irgendwie um alles. Mit der eigenen eindringlichen Präsenz, unterstützt von dramatischem Make-up und schillernder Garderobe, untersucht die Künstlerin besonders in ihren frühen Filmen die existentiellen Dimensionen der eigenen Identität, die Balance zwischen der Sehnsucht nach dem Leben und der Sehnsucht nach dem Tod. Dieses ganz große Theater des Daseins ist ein Thema, dem Katharina Sieverding in ihrer Kunst bis heute treu geblieben ist.
„Katharina Sieverding“, Kunstsammlung NRW (K 21), Ständehaus, Düsseldorf, Di.-So. 11-18 Uhr, bis 23. März 2025.