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Museum Ludwig in KölnFluxus, das ist wie Dadaismus mit Sixties-Flair

Lesezeit 5 Minuten
Zwei silbrig glänzende Reitstiefel stehen nebeneinander.

Ursula Burghardt entwarf 1968 Reitstiefel aus Aluminium

Das Kölner Museum Ludwig erzählt die Geschichte der verrückten Kunstbewegung Fluxus in einer großen Ausstellung neu.

Alles, was er über Fluxus wisse, erzähle er ausschließlich seinen ärgsten Feinden, sagte der Fluxus-Künstler Benjamin Patterson einmal. Die Fluxus-Theorie sei nämlich lang, verwirrend, unlogisch, verächtlich und vor allem langweilig. Und der beschreibende Ansatz würde alles nur noch schlimmer und noch viel langweiliger machen. Der größte Mist sei aber die historische Aufarbeitung, denn bekanntlich nehme jeder Fluxus-Künstler für sich Anspruch, dass er der erste war.

Also: Wie langweilig ist die Kölner Fluxus-Ausstellung im Museum Ludwig? Auf der Patterson-Skala erscheint vor allem deren Anfang wie echter „Bullshit“, denn hier lernt man, dass Köln die (nicht nur heimliche) Geburtsstätte von Fluxus war, bevor es diesen Namen 1962 auf dem ersten offiziellen Fluxus-Festival in Wiesbaden verpasst bekam. Ansonsten ist die von Barbara Engelbach eingerichtete Schau zwar verwirrend, unlogisch und (gegenüber der außerkölnischen Fluxus-Welt) auch ein klein wenig verächtlich. Aber dabei äußerst kurzweilig. Das liegt einerseits in der Natur der Sache (Fluxus ist wie Dadaismus mit Sixties-Flair) und andererseits an den Protagonisten der Ausstellung.

Selbst den meisten Fluxus-Experten waren Benjamin Patterson und Ursula Burghardt bislang kein Begriff

Selbst den meisten Fluxus-Experten waren Benjamin Patterson und Ursula Burghardt bislang kein Begriff. Patterson kam als ausgebildeter Kontrabassist nach Köln, um bei Stockhausen das elektronische Komponieren zu lernen, und ließ sich dann von John Cage zur Zufallsmusik bekehren. Burghardt blieb an der Seite Mauricio Kagels in der Stadt hängen, als sich die Aussicht des Komponisten auf ein Pariser Stipendium zerschlug.

Beide, Patterson und Burghardt, trafen einander dort, wo sich 1960 alle werdenden Fluxus-Künstler trafen (im Kölner Atelierhaus von Mary Bauermeister) und arbeiteten daran, den klassischen Kunstbegriff durch konzertante Gemeinschaftserlebnisse zu ersetzen. Musik spielte dabei eine Schlüsselrolle, am plakativsten, wenn Klaviere vor johlendem oder protestierendem Publikum in ihre Einzelteile zerlegt wurden.

Das erste Drittel der mitunter labyrinthischen Ausstellung ist dieser flüchtigen, sich abends in Kölner Privathäusern verfestigenden Fluxusbewegung gewidmet. Etliche Fototapeten beschwören eine endlose Partystimmung in Schwarz-weiß herauf, in Vitrinen liegen Kompositionsskizzen und andere Materialien aus. Hier und da finden sich Fluxus-Objekte, in denen Künstler wie George Brecht, Wolf Vostell und Daniel Spoerri den Zufall umgarnen: mit Tischen, an denen noch das benutzte Geschirr klebt, oder mit „Decollagen“ kölnischer Plakatwände. In einem Nebenraum leitet Engelbach das Publikum sogar durch die Straßen der Stadt, entlang der Schauplätze der Fluxus-Revolution.

Ursula Burghardt sitzt auf einem Stuhl.

Selbstporträt von Ursula Burghardt aus dem Jahr 1981

Anschließend tritt die gelernte Bildhauerin Ursula Burghardt aus dem Schatten Mauricio Kagels – wenn auch mit dem Bühnenbild für einen Beethoven-Film des Ehemanns. Für die WDR-Produktion aus dem Jahr 1970 verkleidete sie Möbel mit Aluminiumblech und verlieh einem kleinbürgerlichen Wohnzimmer den Glanz einer (unbequemen) neuen Zeit. In den Jahren zuvor hatte Burghardt ihre abstrakten Holzarbeiten bereits zugunsten figürlicher Aluminiumbleche aufgegeben; das Wohnzimmer wird im Ludwig durch silbrige Reitstiefel, Kleider und eine Kombination aus Büstenhalter und Hüftgürtel ergänzt.

Engelbach sieht in diesen bürgerlichen Ehesymbolen eine Kritik an den bleiernen Verhältnissen der Nachkriegszeit; auch die Abstraktion habe Burghardt aufgegeben, weil sie begriffen habe, dass diese in Deutschland vor allem ein Symptom der Verdrängung war. Stattdessen wollte sie, so Engelbach, die Geschichte erfahrbar machen. Ob das auch für ihre schönen „Stöpselbilder“ gilt? Für diese ahmte Burghardt handelsübliche Spülen mit Gummistöpseln an Ketten nach, um sie als dreidimensionale Bilder an die Wand zu bringen. Später kombinierte sie Textilwürste mit Zinkblechen (etwa für einen Fleischwolf). In beiden Fällen kommen einem eher materialästhetische als politische Motive in den Sinn.

Benjamin Patterson schaut in die Kamera.

Benjamin Patterson im Jahr 1989

Mit Fluxus haben diese Werke ohnehin nicht viel zu tun – nicht von ungefähr heißt die Ausstellung „Fluxus & darüber hinaus“. Burghardt ließ die Fluxusjahre besonders schnell hinter sich, vielleicht, weil sie sich der Bewegung nicht allzu innig verschrieben hatte, vielleicht auch, weil sie merkte, dass man das eigene Erleben nicht ewig als Ereignis inszenieren kann – irgendwann wird einem auch das langweilig. Ein Jahrzehnt lang stellte sie ihre Kunstproduktion dann komplett ein und kehrte Anfang der 1980er Jahre mit figurativen Zeichnungen zurück. Sie gründete den fiktiven „So-Nicht Verlag“ und entwarf einen „Kölner Pänz“-Kalender, für den sie berühmte Kölner als Kinder porträtierte. Auf dem Titelblatt balanciert Heinrich Böll in kurzen Hosen eine Schreibmaschine auf den Knien und spielt den Zwei-Finger-Blues; veröffentlicht wurde die mit politischen Anspielungen gespickte Arbeit nicht.

Benjamin Patterson zog sich sogar für zwei Jahrzehnte aus der Kunstwelt zurück. In Köln hatte er einige seiner Kompositionen aufgeführt, aber ohne großen Erfolg. 1963 ging er nach New York zurück und suchte sich bald darauf einen bürgerlichen Beruf im klassischen Musikmanagement; laut Engelbach hatte ihn das Desinteresse der Kunstszene an der Bürgerrechtsbewegung desillusioniert. 1985 machte er sich an sein Comeback und fand in der Kölner Galerie Schüppenhauer eine kommerzielle Partnerin. Im Ludwig ist eine Performance dokumentiert, für die Patterson eine Gruppe Kölner, denen man die Augen verbunden und klappernde Dosen ans Fußgelenk gebunden hatte, durch die Straßen führt. Das sah allerdings nur so lange lustig aus, wie man nicht an in Ketten gelegte Sklaven dachte.

Eine Soloschau im Museum Ludwig wäre wohl für beide Künstler eine Nummer zu groß

Auf seine älteren Tage wurde Patterson so etwas wie ein kritischer Historiker der Fluxus-Jahre. Ihn trieb die Frage um, warum die erhoffte Revolution in der Kunst (und im Leben) ausgeblieben war, und entwarf (selbst-)ironische Antworten. Seine „narrensichere“ Anleitung, Kunst zu schaffen, endet mit dem Hinweis, „im Notfall“ auf die „unten illustrierte Methode“ zurückzugreifen (die Illustration zeigt ein Zahlenrad und kreuz und quer verlaufenden Pfeile); er erzählte die moderne Kunstgeschichte mit Sesamstraßen-artigen Collagen nach und gründete ein Museum des Unbewussten. Anders als die alten Fluxus-Künstler brachte er immer wieder die Politik ins Spiel, etwa, indem er zur Schwarzgeld-Affäre der CDU eine passende Aktentaschen-Collage schuf oder mit seinem Wandermuseum des Unbewussten erst in Namibia und danach in Israel abstieg (für ihn Erinnerungsorte verdrängter deutscher Verbrechen).

Eine Soloschau im Museum Ludwig wäre wohl für beide Künstler eine Nummer zu groß. Aber sowohl Burghardt als auch Patterson sind doch mehr als Fußnoten der Fluxus-Geschichte. Die scheint jedenfalls noch lange nicht auserzählt und ist etwas, wovon man Freund und Feind berichten sollte.


„Fluxus & darüber hinaus: Ursula Burghardt, Benjamin Patterson“, Museum Ludwig am Dom, Köln, Di.-So. 10-18 Uhr, 12. Oktober 2024 bis 9. Februar 2025. Der Katalog zur Ausstellung kostet 34,80 Euro.