Edwin Rosen aus Stuttgart ist die Stimme seiner Generation. In Köln spielte er gleich drei ausverkaufte Konzerte.
Edwin Rosen in KölnKein Album, keine Band, aber drei ausverkaufte Abende im Carlswerk Victoria
Edwin Rosen ist 25 Jahre alt, lebt in Stuttgart und studiert Englisch und Philosophie auf Lehramt. Ein ganz normaler Typ, schwarze Locken, schüchternes Lächeln. Ein süßer Kerl, der sich zum immer gleichen Tok-Tok des Drumcomputers gerne auf seiner Gitarre Melodien ausdenkt. Und Texte, die in einfachen Worten beschreiben, wie das ist, jung zu sein und taumelnd vor Verliebtheit, Sehnsucht und Gefahr.
Wenn Edwin Rosen Konzerte gibt, sind die in der Regel schnell ausverkauft. Und die Hallen werden immer größer. In Köln füllt er jetzt das Carlswerk Victoria und das gleich dreimal hintereinander. Da steht er jeden Abend vor 1600 Gen-Zlern, die jede seiner Zeilen auswendig können, weil sie sich von ihnen erkannt fühlen. Er steht ganz allein auf weiter Flur, sein schwarzes T-Shirt zitiert Taylor Swift: „So it's gonna be forever/Or it's gonna go down in flames.“ Kunstnebel, Kerzenlicht und kleine Film-Loops, auf Bettdecken projiziert, hüllen ihn romantisch ein. Er sorgt sich um die Sicherheit seiner Fans, unterbricht kurz das Konzert, als es vorne ein kleines Gerangel entsteht. Hier soll sich jeder zu Hause und niemand bedrängt fühlen.
Wenn Edwin Rosen die Preset-Taste seines Keyboards drückt, klingt das wie Grauzone
Wenn Rosen dann die Preset-Taste seines Keyboards drückt, klingt das nach Grauzone, der Schweizer Band, die 1981 ihr einziges Album veröffentlicht hat und gerade eine kleine Renaissance erfährt, tatsächlich hat der Sänger auch schon einen Grauzone-Song gecovert: „Marmelade und Himbeereis“. 1982 hörte ich das ganz Jahr lang den Sampler „Tanz mit dem Herzen“. Der beginnt mit dem Instrumental „Film 2“ von Grauzone, auf der B-Seite fand sich der berühmte „Eisbär“. So wie das klang, stellte ich mir vor, sollte meine anbrechende Teenagerzeit ausfallen. Cool, aber innerlich aufschreiend. Maximal entfremdet von dem ganzen Mist, den meine Eltern unter der Schreckensformel „Ernst des Lebens“ zusammenfassten.
„Eisbär'n müssen nie weinen“, sangen Grauzone damals. Edwin Rosen weiß 40 Jahre später immerhin schon um die Gefahren des Solipsismus. Unmittelbar vor der Pandemie hatte er seine erste Single auf Spotify eingestellt: „leichter/kälter“. In dem Lied friert ein geliebter Mensch barfuß im Schnee und wirft dem lyrischen Ich vor, noch kälter zu sein als die Eiskristalle.
Das Lied schlug sofort ein und man fragte sich, wer der junge Mann sein möge, der hier versuchte, sein Herz abzutauen? Rosen gab keine Interviews, nicht aus Geheimniskrämerei, sondern weil er sich gerade in der Prüfungsphase befand. Seine Musik nannte er, bevor das andere für ihn übernahmen, neue Neue Deutsche Welle. Humor hat er also auch noch.
Heute, fast vier Jahre später, hat er noch immer kein Album herausgebracht, nur Singles und eine EP, obwohl er zuletzt bei einem Sublabel von Universal unterschrieben hat. Sein Set ist kurz und muss trotzdem noch mit zwei Coverversionen aufgefüllt werden, „Kleines Astronautenmädchen“ von Solitairen Effekten und Wir sind Heldens „Nur ein Wort“. Und seinen größten Hit, „Vertigo“, singt er gleich zweimal. Einmal zum Mitfilmen. Einmal zum Mitsingen.
Das grenzt an Leistungsverweigerung. Aber nur auf dem Papier. Im Carlswerk darf man sich ein wenig wie der Schulschwarm fühlen, den Rosen zum ersten Mal in sein Jugendzimmer eingeladen hat, um ihm seine selbstgebastelten Lieder vorzuspielen. Daran, dass Edwin Rosen die Stimme seiner Generation ist, zumindest ihres nicht-einverstandenen Teils, besteht kein Zweifel mehr.
„Mach' die Augen auf und du bist nicht hier“, singt er mit klarer Stimme in „Vertigo“, „solange das so ist, träum' ich von dir.“ Die Gitarre klingt nach Robert Smith von The Cure, der Text nach Schlager, das Gesamtpaket balanciert auf dem schmalen Grat, als die alte Neue Deutsche Welle zwischen Post-Punk und Ausverkauf kippelte. Als man noch mit dem Herzen tanzte und der Verstand nicht den Geschmack verdarb. Eigentlich ein perfekter Moment.