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Union in der SackgasseEingemauert zwischen Linkspartei und AfD

Lesezeit 5 Minuten
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Wer mit wem? Schlüsselfiguren der thüringischen Politszene: Björn Höcke (AfD, l.), Mike Mohring (CDU, 2.v.r), Bodo Ramelow (Die Linke, r, Die Linke) im Wahlstudio nach der Landtagswahl im Oktober 2019

  1. Die Unionsparteien behandeln Linke und AfD gleich – aber das funktioniert nicht mehr und blockiert Machtoptionen.
  2. Im Unterschied zur AfD spielt die Linkspartei mittlerweile innerhalb des demokratischen Parteienspektrums.
  3. Letztlich wird die CDU/CSU selbstverschuldetes Opfer einer antiquierten Totalitarismustheorie.

Köln – Keine Kooperation mit der AfD und mit der Linken. Das ist die von der CDU-Bundespartei beschlossene Position, die zwar in den Ländern – siehe Thüringen – auch schon mal aufweicht, aber dennoch von der Union (noch) wie eine Monstranz durchs Land getragen wird. Angesichts der Verhältnisse – schrumpfende Mitte, erstarkende Ränder – droht sie sich indes mit dieser Ausschließeritis selbst um politische Mehrheitsoptionen zu bringen und in eine Sackgasse zu manövrieren.

Dabei hat die als Mantra beschworene Äquidistanz zur Linkspartei wie zur AfD, deren Begründung man auf die Formel „Rot gleich Braun“ bringen könnte, eine lange Tradition – es handelt sich um angewandte Totalitarismustheorie. Diese Theorie, die unter anderem auf Hannah Arendts Studie „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ zurückgeht und in den 50er Jahren ihre Hochzeit hatte, postulierte die prinzipielle Wesensgleichheit von Kommunismus und „Faschismus“ trotz gegensätzlicher Ideologien. Techniken der Herrschaftsausübung, der Massenmobilisierung und -loyalitätsbeschaffung, der Führerkult, der Unfehlbarkeitsanspruch, der Vernichtungswille gegenüber realen oder eingebildeten Gegnern – all das sei, so hieß es, nicht nur vergleichbar, sondern im Wesentlichen auch gleich.

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Prominentester (west-)deutscher Vertreter einer seriösen Totalitarismustheorie war der Bonner Politologe Karl Dietrich Bracher, der freilich selbst einräumte, dass viele ihrer Anhänger allzu ungehemmt auf den unmittelbaren politischen Nutzen schauten. Keine Frage: Die Totalitarismustheorie war (auch) ein Produkt des Kalten Krieges und richtete sich im Tageskampf nahezu ausschließlich gegen die Linke und zumal gegen die Kommunisten. Die seien eben, so der erste SPD-Nachkriegsvorsitzende Kurt Schumacher, „rotlackierte Faschisten“.

Damit taugte die Totalitarismustheorie auch als Transformationsideologie, die alten Nazis einen problemlosen Übergang in die neue demokratische Zeit ermöglichte: Sie mussten ihren Hitler „opfern“, konnten aber den ihnen aus den brauen Jahren vertrauten militanten Antikommunismus beibehalten und in eine neu-opportune Nato-Philosophie integrieren.

Faschismustheorien machen der Totalitarismustheorie Konkurrenz

In den 60er Jahren – im Umfeld der Studentenbewegung – bekam die Totalitarismustheorie Konkurrenz durch das Revival der Faschismustheorie nicht immer, aber meist marxistischer Provenienz, deren Ursprünge sich bis in die 20er und 30er Jahre zurückverfolgen lassen. Diese Theorie, die sich in Varianten ausprägte – die „Agenturtheorie“ und die „Bonapartismustheorie“ sind die bekanntesten –, wies die Gleichsetzung von Rot und Braun und damit auch den von der Totalitarismustheorie erhobenen Diktaturvorwurf an die Linke zurück.

Sie betonte vielmehr den Zusammenhang von Kapitalismus und Faschismus – was der Möglichkeit den Boden bereitete, auch liberale Demokratien, weil diese ja nach wie vor eine kapitalistische Wirtschaft hatten, als zumindest „faschistoid“ zu delegitimieren. Da konnten dann NS-Deutschland und sozialdemokratisch regiertes Schweden kurzgeschlossen werden.

„Formen bürgerlicher Herrschaft“ war der bezeichnende Titel eines seinerzeit einflussreichen Taschenbuchs aus der Feder des Marburger Politologen Reinhard Kühnl, der weiland zu den eifrigsten Vertretern marxistischer Faschismusinterpretationen gehörte. Nach einem Gipfel in den 70er Jahren verloren diese allerdings rasch an Rückhalt und Zustimmung. Dafür waren die allgemeinen Zeitgeist-Veränderungen genauso verantwortlich wie ihre unübersehbar gewordenen Mängel.

Linke Faschismustheorien rührten Unvereinbares zusammen

Die linken Faschismustheorien hatten zusammengerührt, was nicht zusammenpasste: faschistisches Italien, NS-Deutschland, Francos Spanien, Diktaturen in Lateinamerika und eben liberale westliche Demokratien. Sie konnten das Zentrum des deutschen Radikalfaschismus, den Holocaust, nicht erklären und zeichneten sich überhaupt durch eine massive empirische Schwäche aus: Nie war auf der Basis ernstzunehmender Quellenarbeit nachzuweisen, dass Hitlers Machtergreifung auf die Machenschaften eines Industriekartells zurückging. Die geringe Begründungskraft einer aus überwiegend ideologischen Motiven gesteuerten Theorie beförderte diese dann auf den Müllhaufen der Historie.

Es waren der Zusammenbruch des Realsozialismus und die dadurch ermöglichte Aufarbeitung der Herrschaftsmethoden etwa der SED-Diktatur, die nach 1989 zu einer Wiederbelebung einer antikommunistisch akzentuierten Totalitarismustheorie führten. Die an Feindschaft grenzende Gegnerschaft der CDU/CSU gegen die Nachfolgeparteien der SED bis hin zur heutigen Linken, die in den Anti-„Rote Socken“-Kampagnen der 90er Jahre genauso ihren Ausdruck fand, wie ihr die aktuelle De-facto-Gleichsetzung von Linker und AfD entspricht, ist ein Ergebnis dieser Konstellation. Der Kalte Krieg – er ist im Design dieser Auseinandersetzung immer noch „da“.

Die revitalisierte Totalitarismustheorie – genauer: die Brandmarkung der SED-Nachfolger als Diktaturanhänger – war indes nicht nur machtpolitischen Impulsen und verquereren Obsessionen geschuldet. Es ist ja nicht zu bestreiten, dass in der PDS viele frühere Stasi-Mitarbeiter und Altkader der abgehalfterten Staatspartei überwinterten, die, lernunfähig und -unbereit, die Verhältnisse in der verblichenen DDR verherrlichten. Die offene Bekundung solcher Sympathien wurde freilich aus taktischen Gründen oft unterdrückt. Wenn nicht, gab es regelmäßig kleinere oder mittlere Skandale. Und wenn man einmal liest, was Sahra Wagenknecht in der Nachwendezeit in den „Weißenseer Blättern“ zum Lobe der Berliner Mauer schrieb, dann verschlägt es einem noch heute die Sprache.

In der Linkspartei haben Umbrüche und ein Generationenwechsel stattgefunden

Auf der anderen Seite ist nicht zu übersehen, dass die Linkspartei anno 2020 nicht mehr die PDS von 1995 ist. Mehrere Häutungen und ein Generationenwechsel haben stattgefunden, viele Leute sind dort aktiv, die mit dem SED-Regime nichts zu tun hatten oder haben. Es handelt sich heute um eine „normale“ linkssozialistische Partei, wie es sie in vielen europäischen Demokratien gibt. Mit ihrem Willen, die Linke genauso zu behandeln wie die AfD, verharrt die Union im Schützengraben einer vergangenen Epoche. Ohne Kurskorrektur droht sie den Anschluss zu verlieren.

CDU und CSU sollten also ihr Verhältnis zur Linken neu justieren – dergestalt, dass sie die innerstaatliche Feinderklärung nach dem Muster der politischen Theorie eines Carl Schmitt durch „normale“ Gegnerschaft ersetzen. Auf andere, dezidiert nicht-symmetrische Weise klären müssten sie auch ihr Verhältnis zur AfD. Während sich die Linkspartei in den vergangenen Jahren – und sei es mit Rückfällen ins Spektrum der demokratisch satisfaktionsfähigen Parteien – integriert hat, bewegt sich die AfD zusehends aus ihm heraus. Gewiss gibt es dort unterschiedliche Kräfte und Strömungen, aber dass sie es zum Beispiel nicht schafft, eine rechtsextreme Leitfigur wie den Thüringer Landesvorsitzenden Björn Höcke aus der Partei zu werfen – es zeigt, wie stark dort mittlerweile eine Richtung ist, die an die dunkelste Phase der deutschen Geschichte erinnert.

Fazit: In der Gestalt, wie die CDU/CSU die Totalitarismustheorie heute vertritt, ist diese veraltet, passt nicht mehr auf die politische Lagerbildung. Es sagt viel aus über die Zukunftsfähigkeit der Partei, ob – und, wenn ja, wie schnell – sie bereit und in der Lage ist, sich von einer überholten Doktrin zu verabschieden.