Regisseur Jan Bonny erkennt im „Götz“ die Kämpfe unserer Zeit. Schön anzuschauen ist das nicht.
„Eisenfaust“ im Schauspiel KölnDie Freiheit ist nur ein Konfetti-Pups

Ein letztes Dosenbier auf die Freiheit: Benjamin Höppner als Götz von Berlichingen im Depot 1
Copyright: Krafft Angerer
Der Schwäbische Gruß, die eine Textstelle, die wir alle aus Goethes „Götz von Berlichingen“ zitieren können, begegnet uns in Alex Wissels Bühnenbild als groteske Figur. Hoch über dem Geschehen schwebend bückt ein Spaßvogel – man kennt ihn vom Kölner Rathausturm – den Kopf durch die Beine, versucht vergeblich, den eigenen Arsch zu lecken. Die Zunge reicht nur bis ans hängende Gemächt, auch schön. Aus dem Poloch, das er dem Publikum obszön entgegenstreckt, pupst er in regelmäßigen Abständen Konfetti.
Das schneit in bunter Indifferenz auf Raubritter wie auf Bauern, Bischöfe und Kaiser. Die wuseln in Jan Bonnys und Jan Eichbergs „Eisenfaust“ getaufter Bearbeitung des Sturm-und-Drang-Stoffes mehr oder weniger gleichzeitig über die weite Bühne des Depot 1, teilen sich manchmal auch ein und denselben Körper. Obwohl ihre Interessen denkbar weit auseinander gehen.
Götz kämpft für die Freiheit des Individuums
Götz kämpft, als Vertreter des Faust- und Fehderechts, auf seiner eilig aus Sperrholz zusammengezimmerten Burg für die Freiheit des Individuums. Der Bischof von Bamberg (Johannes Benecke gibt ihn schön giftig) will ein für alle verbindliches Recht nach römischen Vorbild durchsetzen: Freiheit in der Gemeinschaft. Doch die aufständischen Bauern misstrauen solchen Gesetzen, die nie ihre adeligen Ausbeuter, sondern immer nur sie selbst bestrafen. In Bonnys Kölner Inszenierung tragen sie gelbe Schutzwesten, die Aktualität ihrer Forderungen hätte man auch ohne verstanden. Und der Kaiser? Rolf Mautz schlurft mit Rollator über die Bühne, die sein Reich bedeutet. Ein Greis, der den ihm bequemen Ist-Zustand mit Freiheit verwechselt. Weil er ihn von außen bedroht sieht, ruft er regelmäßig mit Opa-Simpson-Stimme dazu auf, gegen die Türken ins Feld ziehen.
Bonny zeigt auch die Scharmützel, in denen sich diese unterschiedlichen Freiheitsbegriffe entladen, als Farce: Die Kontrahenten schießen mit Konfettikanonen aufeinander und wenn sie sich gerade nicht bekriegen, trinken sie ungeheure Mengen an Dosenbier oder verfolgen sich mit zwei Kleinwagen, die letztlich aber nur im Kreis fahren. Nichts führt zu nichts, der Stillstand rast. Wenn Götz, der doch eigentlich gar kein Rebell sein will, schließlich in seiner Baumarkt-Burg von den Truppen des Kaisers umzingelt wird, versteht er die Welt nicht mehr: „Arbeitslos. Ich bin besiegt“, klagt er bei Bonny und Eichberg im Wirtshaus.

Szene aus „Eisenfaust“
Copyright: Krafft Angerer
Seine Sauferei eskaliert zusehends, der geprügelte Ritter, vom Kaiser als Räuber diffamiert, radikalisiert sich und setzt sich an die Spitze der Bauernaufstände. Er geriert sich als „Führer eines unbändigen Volkes“, als der große Held, der dessen Raserei Einhalt gebieten könne. Es ist nur ein weiteres Missverständnis in einer endlosen Reihe aus Irrungen, Wirrungen.
Existiert Freiheit nur als Schutzbehauptung? So weit geht die Inszenierung nicht, aber sie zeigt eine hoffnungslos verwickelte Lage. Immer wieder ziehen sich Charaktere genervt aus dem Geschehen in eine Fernsehecke zurück, auf dem Schirm wechseln sich „Avengers: Endgame“ und „Der Untergang“ ab, zum Schluss läuft Meghan Markles Lifestyle-Show „With Love, Meghan“, die wirkt noch apokalyptischer.
Jan Bonny zeigt ein Tableau von scheinbar ungeprobtem Chaos
Wie Jan Bonny ein Tableau von scheinbar ungeprobtem Chaos präsentiert, dabei aber doch geschickt die Blicke der Zuschauenden von Szene zu Szene lenkt, das ist handwerklich schon sehr gut gemacht. Aber es reicht nicht, um die behauptete Kaputtheit in spannendes Theater zu verwandeln. Selbiges gilt für den Vater-Sohn-Konflikt, den der Regisseur dem Stück abtrotzt. Anfangs gibt der noch ein paar hübsche Frotzeleien her, der Junior Georg – David Rothe spielt ihn mit großer Energie und noch größerer Naivität – will mit der Raubrittertradition brechen und ins freie Köln ziehen. „Köln ist eine Blase aus Ärztesöhnchen, die irgendwas mit Medien machen und sich von den Einwanderern ihre Straßen mit Geldwäscheläden zuballern lassen und sich deswegen für weltgewandt halten“, lästert Götz.
Später, wenn Georgs Hoffnung als Gleicher unter Gleichen leben zu können, gründlich enttäuscht wurde, nimmt er die Gegenposition zum radikalisierten Vater ein, im Prinzip haben beide einfach den Verblendungszusammenhang getauscht.
Der Abend bleibt ein Nullsummenspiel – und er wäre noch frustrierender, spielte nicht der tolle Benjamin Höppner den Götz. Der ist für diese Rolle geboren, für das Aufbrausende und Aufplusternde, fürs bierselige Machogeprolle, fürs verzweifelt-verkaterte Scheitern. Freiheit gibt es nur im Jenseits, „die Welt ist ein Gefängnis“, jammert Götz. Die Hose hängt auf halbmast, aber es ist niemand mehr da, sein Maurerdekolleté zu lecken.