Die Literaturreihe „Stimmen Afrikas“ wurde aufgrund von Finanzierungsproblemen eingestellt. Ein Rückblick mit der Initiatorin Christa Morgenrath und dem Autor Fiston Mwanza Mujila
Ende der Literaturreihe „Stimmen Afrikas“„Es ist wichtig, die interne Perspektive zu hören“

Projektleiterin Christa Morgenrath und Autor Fiston Mwanza Mujila
Copyright: Alexander Schwaiger
Herr Mwanza Mujila, „Stimmen Afrikas“ hat 15 Jahre lang afrikanische Autorinnen und Autoren zu Lesungen und anderen Veranstaltungen nach Köln eingeladen – oft auch Sie. Warum brauchen wir Geschichten aus der Perspektive afrikanischer Menschen?
Mwanza Mujila: Es ist wichtig, die interne Perspektive zu hören. Die ist in Deutschland immer noch neu. Afrika ist nicht präsent in den Köpfen der Menschen – wenn, dann nur als Land des Hungers, der Kriege und Probleme. Diese Klischees werden von Generation zu Generation weitergegeben und von den Medien reproduziert, aber sie werden nicht weiter erklärt. Literatur aus der Perspektive von afrikanischen Menschen kann die Realität verständlich machen. Als ich noch im Kongo gelebt habe, habe ich viel deutsche Literatur gelesen, Günter Grass zum Beispiel. Bücher helfen, Gesellschaften zu verstehen.
Inwiefern prägt Deutschlands Kolonialvergangenheit das Bild, das wir von Afrika haben?
Mwanza Mujila: In Deutschland wird nicht über die eigene Kolonialgeschichte gesprochen. Die Deutschen haben von Afrika schon immer aus einer europäischen Perspektive erzählt. Stellen Sie sich mal umgekehrt vor, über Deutschland würde nur von Kongolesen gesprochen, über Jahrhunderte hinweg. Man kann von einem Land nicht gut erzählen, wenn man fast keine Sprache dieses Landes spricht. Solche Geschichten führen zu dem Glauben, dass alle afrikanischen Länder gleich funktionieren. Aber die Länder Afrikas haben sehr unterschiedliche Realitäten, Sprachen und Religionen. Auch der Eindruck, alle afrikanischen Menschen wollten nach Deutschland kommen, ist verbreitet. Doch die allermeiste Migration findet in Afrika selbst statt. Manchmal kann ich Artikel in Zeitungen oder Bücher über Afrika nicht zu Ende lesen, weil sie aus einer solchen eurozentrischen Perspektive geschrieben sind.
Afrika ist nicht präsent in den Köpfen der Menschen
Frau Morgenrath, war diese Perspektive auch der Grund, warum Sie „Stimmen Afrikas“ gegründet haben?
Morgenrath: Ich hatte, wie viele andere Europäerinnen und Europäer, lange keine Ahnung von den Kulturen und Literaturen Afrikas. Dann habe ich irgendwann angefangen zu lesen – und war fasziniert und zugleich erstaunt, dass afrikanische Literaturen hierzulande nahezu unbekannt waren. Ich hielt es für notwendig, diesen Geschichten eine Bühne zu bieten. Zunächst war das ein Test, ob überhaupt Leute zu den Lesungen kommen. Es stellte sich heraus: Ja, das tun sie!
Konnten Sie mit den Veranstaltungen ein breites Publikum erreichen?
Morgenrath: Natürlich gewinnt man zuerst diejenigen Menschen, die schon von sich aus ein Interesse an dem Kontinent mitbringen. Neben einem Stammpublikum gab es bald viel Bewegung unter den Besucherinnen und Besuchern über verschiedene Generationen und Berufsgruppen hinweg. Das gelang nicht zuletzt wegen unserer Kooperationen in der Literaturstadt Köln, unter vielen anderen mit dem Literaturhaus, dem Literarischen Salon und der Theodor Wonja Michael Bibliothek. Seit Black Lives Matter haben wir auch verstärkt mit der sehr vielfältigen Schwarzen Community zusammengearbeitet. Was in den Köpfen und Herzen des Publikums während einer Lesung passiert, ist nicht vorhersehbar. Mir erscheint es wichtig, dass sich etwas bewegt und öffnet. Dass Menschen auf eine Reise gehen, Fragen stellen und über den eigenen Tellerrand blicken. Das gelingt nur mit großartigen Erzählenden.
Bekanntheit ist eine Frage der Perspektive
Haben Sie bei der Auswahl der Künstler Wert daraufgelegt, auch unbekanntere Autorinnen und Autoren einzuladen?
Morgenrath: Viele unserer international gefragten Gäste waren hier „unbekannt“, so wie die Stimmen von Menschen afrikanischer Herkunft generell in Deutschland zu wenig präsent sind. Als einer unserer ehemaligen Gäste, der Schriftsteller Abdulrazak Gurnah, 2021 den Literaturnobelpreis erhielt, riefen mich einige Journalisten an und fragten, wie denn jemand so Unbekanntes eine solche Auszeichnung bekommen könne. Meine Antwort war: „Es ist Ihr Problem, dass Sie diesen Autor nicht kennen!“ Bekanntheit ist eine Frage der Perspektive.
Herr Mwanza Mujila, sprechen wir nochmal von ebendieser Perspektive: Wie finden Sie es, dass „Stimmen Afrikas“ von weißen Personen gegründet und organisiert wurde?
Mwanza Mujila: Ich glaube, wir müssen irgendwo anfangen. Die Mitarbeitenden von „Stimmen Afrikas“ haben sich in meinen Augen nie als Experten Afrikas ausgegeben, sondern versucht, Brücken zu bauen. Ich habe die Perspektive der Organisatorinnen und Organisatoren nicht als hegemoniale oder kolonialistische Sicht wahrgenommen, sondern mehr als etwas, das von unten kommt. Ich glaube, es ist wichtig, von wo man spricht.
Was hat Ihnen „Stimmen Afrikas“ bedeutet?
Mwanza Mujila: Keine Gesellschaft kann allein leben ohne Kontakt mit anderen Gesellschaften. Das Projekt hat uns eine andere Perspektive vor Augen geführt, die hilft, die Welt und andere Welten besser zu verstehen. Stimmen Afrikas war für mich wie eine Oase in Deutschland, wie ein Kompass, wenn es um afrikanische oder um Weltliteratur geht. Denn die afrikanische Literatur ist oft gleichzeitig Weltliteratur: Viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller haben ihre Bücher auch in London, Paris oder in den USA veröffentlicht und wohnen sowohl in Afrika als auch im Westen.
Und was bleibt nun, wo das Projekt aus finanziellen Gründen nun enden muss?
Mwanza Mujila: Bei „Stimmen Afrikas“ geht es mir auch um die Resonanz des Projektes. In den letzten 15 Jahren sind so viele Autorinnen und Autoren nach Köln gekommen, es gab Lesungen, Festivals und Menschen haben die Bücher afrikanischer Schriftsteller gekauft und gelesen. Für mich ist dieses Erbe wichtig. Die Frage ist, was machen wir jetzt mit einem solchen Museum der Stimmen? Ich glaube, diese Projekte sind wie Sterne in der Dunkelheit. Sie werden Menschen immer dazu inspirieren, etwas Ähnliches zu machen. Ich bin da optimistisch.
Christa Morgenrath hat das Projekt Stimmen Afrikas des Allerweltshauses Köln e.V. 2009 konzipiert und bis zuletzt geleitet. Der Schriftsteller Fiston Mwanza Mujila, Jahrgang 1981, stammt aus der Demokratischen Republik Kongo. Er ist Dichter, Schriftsteller und Vermittler und schreibt Lyrik, Prosa und Theaterstücke. Seit 2009 lebt er in Graz in Österreich.
Aufgrund der zunehmend schwierigen Fördersituation auf kommunaler, Landes- und Bundesebene wurde die Literatur- und Bildungsreihe Stimmen Afrikas nun eingestellt. In 15 Jahren waren 171 Schriftsteller und Experten aus Kontexten von 34 Ländern Afrikas in Köln und NRW zu Gast, unter ihnen Abdulrazak Gurnah (Literaturnobelpreisträger 2021), Chimamanda Ngozi Adichie, Ben Okri, Ngũgĩ wa Thiong'o und Tsitsi Dangarembga (Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2021). Sie waren in mehr als 250 Veranstaltungen und zwei Festivals zu erleben.
Außerdem war Stimmen Afrikas (Mit-)Herausgeber der Essaybände „Dekolonisierung des Denkens“ und „Afrika sichtbar machen“ von Ngũgĩ wa Thiong'o (Unrast, 2018 und 2019) sowie der Anthologien Imagine Africa 2060 (Peter Hammer Verlag, 2019) und Neue Töchter Afrikas (Unrast 2023).