Horst Peter Koll stellt mit seinem Buch „Drachen reiten, Freunde finden, älter werden“ etwa 450 Kinderfilme vor.
Entdeckungen für junge FilmfansEin Reiseführer für Kinderfilme
Muss ja keiner sehen, dass er fast heult. Also schließt Andreas Steinhöfel, Autor unter anderem der Kinderromane um „Rico und Oskar“, lieber die Augen. Ansonsten wären ihm bei einem Kinobesuch die Tränen nur so runtergelaufen, allerdings weniger, weil ihn der Film so rührte, sondern wegen des „Dötzekens“, das neben ihm saß – „ein verklärtes Lächeln im Gesicht“. Gerade ging ein Kinderfilm zu Ende.
In das Dötzeken – wie auch in Andreas Steinhöfel – kann man sich gut hineinversetzen: wenn man an die Kindheit zurückdenkt, als man atemlos verfolgte, wie Pippi Langstrumpf von einer Buch- zu einer Filmfigur wurde, oder wenn man später die eigenen Sprösslinge dabei beobachtete, wie sie sich in Potterheads verwandelten. Doch während Kinder zu Eltern wurden, zog sich im Laufe der Jahrzehnte das Kino von seiner Rolle zurück, ein Ort der Wunder auch für die Jüngsten zu sein. Neben dem Kika sind es heute vor allem Streamingdienste, die dem Kinderfilm eine zuverlässige Plattform bieten.
Horst Peter Koll schreibt über Kinderfilme
Zu diesem Schluss kommt Horst Peter Koll, der soeben das Buch „Drachen reiten, Freunde finden, älter werden – Entdeckungen für junge Filmfans“ geschrieben hat. Leserinnen und Leser des „Kölner Stadt-Anzeiger“ kennen Koll durch seine Kolumne im Donnerstagsmagazin der Zeitung, in der er seine langjährigen Erfahrungen mit dem Genre teilt – nicht allein im Hinblick auf das Zielpublikum, sondern auch auf die Eltern, die in der Flut der Bilder nach qualitätsvollen Angeboten für den Nachwuchs suchen.
Nicht nur das Kinderfilmerlebnis des erwachsenen Andreas Steinhöfel zitiert Koll im Vorwort seines Buchs – der Schriftsteller ist anschließend mit einem kompletten Essay vertreten, in dem er von einer magischen Erfahrung erzählt, nämlich der Rezeption seines ersten Spielfilms im Alter von fünf Jahren. Es handelte sich um „Das doppelte Lottchen“ nach dem Roman von Erich Kästner; dieser thront höchstpersönlich zu Beginn des Films hinterm Schreibtisch, um einige hinführende Sätze zu sagen.
KiKa, Disney und das Cinepänz-Festival
„Das doppelte Lottchen“ aus dem Jahr 1950 sah der 1962 geborene Steinhöfel allerdings nicht im Kino, sondern als Wiederholung im Fernsehen – im öffentlich-rechtlichen natürlich, denn etwas anderes gab es damals genauso wenig wie einen Spartenkanal wie Kika. Die Sender strahlten ihre „Kinderstunden“ im Hauptprogramm oder wie die ARD auch im Dritten aus, sie waren mehr oder weniger eifrige Förderer des Kinderfilms und wichtige Koproduzenten fürs Kino.
Das, wie gesagt, hat sich geändert: Auf die Leinwand schaffen es meist nur mehr Kassengaranten wie „Die Wilder Hühner“, und was Hollywood an kindertauglichen Filmen auf den Markt bringt, lassen die Studios wie Disney gleich unter dem größeren Rubrum der Familienunterhaltung laufen. Ausnahmen sind löbliche Initiativen wie die Schulvorstellungen im Kölner Kino Off Broadway mit anschließendem Filmgespräch oder das Festival „Cinepänz“, veranstaltet vom jfc Medienzentrum in Köln.
Die Pandemie gab dem Kinderfilm einen Schubs ins Digitale
Seit 1950, dem Produktionsjahr des „Doppelten Lottchens“, ist sich der Kinderfilm bis auf den heutigen Tag in einem Punkt allerdings treu geblieben: Seine Grundlage sind selten Originaldrehbücher, sondern überwiegend literarische Vorlagen. Das spiegelt sich auch in der Auswahl wider, die Horst Peter Koll für sein Buch getroffen hat: Von Kinderbuch-Klassikern wie „Latte Igel und der Wasserstein“ von Sebastian Lybeck über Kurt Helds „Die Rote Zora“ bis hin zu den Blockbustern der „Harry-Potter“-Reihe nach den Romanen von J.K. Rowling greifen die Produzenten gerne auf Stoffe und Geschichten zurück, die bereits auf dem Buchmarkt reüssieren konnten und damit auch den Filmen Erfolgsaussichten versprechen. Im Vergleich zum Erwachsenenfilm ist die Zahl der Zuschauerinnen und Zuschauer von Kinderfilmen weitaus geringer – da geht man lieber auf Nummer Sicher.
Es war die Pandemie, die auch dem Kinderfilm einen Schub ins Digitale bescherte. Seither wachsen Plattformen wie „filmfriends“ kontinuierlich, aber auch die großen Anbieter wie Netflix, Amazon Prime oder Apple TV bereiten dem Genre ein Forum, nicht zuletzt in filmhistorischer Hinsicht, denn es sind bei weitem nicht nur aktuelle Produktionen, die sich bei den Streamingdiensten finden. Horst Peter Koll gibt einen vielfältigen, reich bebilderten Einblick in dieses Angebot, der seine Leidenschaft für das Genre mit Seriosität verknüpft. Was ihm am Kinderfilm besonders gefalle? Dass der oft aufgekratzter, unangepasster als der erwachsene Film daherkomme, sagt er. Kinderfilm ist gar kein „richtiger Film“, wie das Vorurteil besagt? Von wegen.
Zum Buch
Horst Peter Koll: „Drachen reiten, Freunde finden, älter werden – Entdeckungen für junge Filmfans“, 382 Seiten, 34 Euro, Schüren Verlag.