Die diesjährige Saison bei „Tanz Köln“ eröffnete im Depot mit dem Choreografenduos Guy Nader und Maria Campos.
Eröffnung von „Tanz Köln“Die Welt im Taumel
Zurück zum ganz Einfachsten, was Tanz sein kann: ein bewegter Körper im Raum. Ein Mensch, der in einem großen Bogen den Bühnenraum spiralförmig ausschreitet, den Kreis immer mehr verengt, bis er nur noch um sich selbst kreist. Denn die Drehung um die eigene Achse ist der Endpunkt von Bewegung im Raum, nicht weiter reduzierbar - mit ihr wird der Mensch zur um sich selbst rotierenden Monade im Kosmos.
Mit dieser Sequenz beginnt „Made of Space“ des libanesisch-spanischen Choreografenduos Guy Nader und Maria Campos, das als zarte Liebeserklärung an die „Basics“ des Tanzes die diesjährige Saison bei „Tanz Köln“ im Depot eröffnete. Kein Achtsamkeitsseminar könnte seine Teilnehmer besser beruhigen und den Blick auf die Welt behutsamer mildern als diese zauberhafte Tanzmeditation in Pastell. Grau, weiß und taubenblau sind die Farben der Kostüme. Über der Tanzfläche schwebt eine spiralförmige Skulptur, groß und raumbeherrschend, aber aus luftigem Stoff. Ihr rechtsdrehender Schwung ins Innere gibt die Bewegungsrichtung der fünf Tänzerinnen und Tänzer vor.
Spektakuläre Würfe durch die Luft
Wie im postmodernen Minimal-Dance etwa der Judson-Church-Bewegung wird von simplen „Pedestrian Moves“ ausgegangen. Doch aus dem Gehen, Laufen, Rückwärtstraben formieren sich komplexe Körpercluster, überraschende Hebefiguren, Spins aus dem Urban Dance und vor allem: spektakuläre Würfe durch die Luft. Wieder und wieder, die Tänzerinnen und Tänzer müssen das Fliegen wirklich lieben, wobei ihre Körper so relaxed bleiben, als flöge gerade nur ihr Bewusstsein von der Yogamatte hoch.
Das sieht nach „Engelchen flieg“ für Fortgeschrittene aus. Überhaupt weckt die Choreografie kalkuliert Kindheitserinnerungen: Wie ein feingliedriges Mobile im nachtblauen Kinderzimmer kreiselt das Quintett zuweilen. Und wenn sie ausgiebig um die eigene Achse rotieren, lässt auch das an Kinder denken, die absichtsvoll den Zustand des Schwindels herbeiführen, um die Welt als Taumel zu erleben. Und ist nicht die Spirale eine Reminiszenz an die Hörschnecke in unserem Innenohr, Sitz unseres Gleichgewichtssinnes?
Doch die choreografische Fantasie von GN/MC wäre nichts, gäbe es nicht die fantastische Live-Musik: Eine einstündige Schlagwerk-Sinfonie von Miguel Marín, großartig gespielt am Marimbafon und Drumset von Daniel Munarriz und Joan Pérez-Villegas. Sie ist der Herzschlag an einem Abend, der auch in der Ekstase nie seine chillige Vertrauensseligkeit verliert.
Nächste Vorstellung bei Tanz Köln: 21./22.10.2023 „Navy Blue“ von Oona Doherty im Depot 1