AboAbonnieren

Eva Illouz kritisiert die Reaktion vieler Linker auf das Massaker der Hamas„Eine Politik des Hasses“

Lesezeit 4 Minuten
Eva Illouz und Sonia Mikich sitzen auf der Bühne des Klaus-von-Bismarck-Saals im WDR. Illouz trägt eine rote Jacke, Mikich ein weißes Hemd.

Eva Illouz (l.) im Gespräch mit Sonia Mikich bei der phil.Cologne.

Die französisch-israelische Soziologin beeindruckt bei der phil.Cologne im Gespräch mit Sonia Mikich mit klugen Überlegungen zur Lage Israels nach dem Terror des 7. Oktober.

Angst ist ein mächtiges Gefühl. Das weiß auch die französisch-israelische Soziologin Eva Illouz. „Sie ist die wichtigste Emotion in der politischen Arena“, sagt die Wissenschaftlerin am Donnerstagabend im WDR-Funkhaus im Gespräch mit der Journalistin Sonia Mikich, die souverän durch die Veranstaltung der phil.Cologne führt. Die Situation Israels nach dem 7. Oktober ist einer der Schwerpunkte des Philosophie-Festivals und auch an dieser Abend bietet sehr viele erhellende Momente, die Außenstehenden helfen, den Konflikt zumindest etwas besser zu verstehen.

Schon Maciavelli habe betont, dass es besser sei gefürchtet als geliebt zu werden. Angst sei eine Quelle der Autorität, die in den Menschen die Bereitschaft wecke, alles zu opfern. Nicht umsonst zählt Illouz in ihrer Untersuchung „Undemokratische Emotionen: Das Beispiel“ Angst neben Abscheu, Groll und Liebe (Fear, Disgust, Resentment, Love) zu den wichtigsten Gefühlen, wenn es darum geht, das Vorgehen von (Rechts)-Populisten zu verstehen.

Leben in ständiger Angst vor dem Verlust der Heimat

Während sich diese „emotionale Matrix des Populismus“ auf das weltweite Phänomen übertragen lasse, sieht Illouz in der israelischen Gesellschaft Besonderheiten. Die Menschen in Israel lebten in ständiger Angst um ihre Sicherheit und vor dem Verlust der Heimat. In einem Land zu sein, das umgeben von feindlichen Staaten, nur per Flugzeug zu erreichen sei, mache etwas mit den Menschen. Es gebe für sie, deren Staat geboren wurde aus dem Trauma jahrhundertelanger Verfolgung und des Holocaust, keinen Grund daran zu glauben, dass ihnen irgendjemand zur Hilfe komme. Das habe die Geschichte bewiesen. Die Juden, die Israel gründeten, hätten es in dem Gefühl getan, nur sich selbst vertrauen zu können.

Die Fähigkeit, sich verteidigen zu können, sei das höchste Gut. Der Überfall der Hamas-Terroristen mit seinen grausamen Verbrechen habe jedoch die schreckliche Verletzlichkeit Israels offenbart. Das Streben nach Sicherheit, den Illouz „Securitism“ nennt, führe dazu, dass man nur noch in den Kategorien Freund und Feind denke und im Ernstfall auch bereit sei, für diese Sicherheit Menschenrechte aufzugeben. Damit sei Israel im Übrigen nicht allein, wenn man etwa auf die USA nach dem 11. September schaue.

Illouz, die in Marokko geboren wurde, als Kind nach Frankreich kam und heute auch in Israel lehrt, sieht die Demokratie in Israel durch die Entwicklungen seit dem 7. Oktober gefährdet, denn „Sicherheit und Demokratie vertragen sich nicht gut“. Vor dem Hintergrund der permanenten Bedrohung sei es fast erstaunlich, dass das Land so lange demokratisch geblieben sei. Ihr nüchternes Fazit mit Blick auf die Politik Netanjahus und das, was danach kommen mag: „Vielleicht ist das jetzt vorbei.“

Illouz plädiert für eine klare Trennung von Staat und Religion

Anders als ihr Kollege Natan Sznaider, der zur Eröffnung der lit.Cologne die Frage nach Empathie für die Menschen im Gazastreifen als nicht angemessen und zielführend bezeichnet hatte, zeigt sich Illouz sehr empathisch, wenn es um die Palästinenser geht. Ihre Forderungen sind eindeutig: Dieser Konflikt sei nur politisch, nicht psychologisch zu lösen, indem man den Gazastreifen wieder aufbaue, das Westjordanland den Palästinensern zurückgebe und in Israel für eine klare Trennung von Staat und Religion sorge.

Illouz betont, es sei wichtig, über die Versäumnisse der israelischen Politik zu streiten, aber das Vokabular müsse stimmen. Wenn Studierende in Protestcamps von einem Apartheid-Regime sprechen, sei das aus vielerlei Gründen falsch. In Südafrika hätten einige Weiße, die vorher nichts mit dem Land zu tun hatten, die schwarze Bevölkerung unterdrückt. Mit dem Gebiet des heutigen Staates Israel, das die Größe des US-Bundesstaates New Jersey habe, verbinde Jüdinnen und Juden eine 3000 Jahre lange Geschichte. Das anzuerkennen heiße nicht, die Staatenlosigkeit der Palästinenser zu verschweigen.

Ob es sie treffe, wenn man ihr aufgrund ihrer differnzierten Haltung Antisemitismus vorwerfe, will Mikich wissen. Lächerlich nennt Illouz den Vorwurf schlicht. Er verletze sie nicht, aber er ärgere sie, weil der Begriff Antisemitismus dadurch seine Wirkung verliere.

Sehr getroffen hat sie hingegen die Reaktion eines Teils der Linken auf die Grauen des 7. Oktober. Nichts habe sie auf die Tänze auf den Straßen und prominente Denker wie Judith Butler, die von Widerstand sprachen, vorbereiten können. Dieser „verblüffende Mangel an Mitgefühl“ zeige, dass Teile der Linken die Israelis vollständig entmenschlicht hätten.

Dabei zeichne sich Linke Politik für sie eigentlich durch Mitgefühl und Hoffnung aus. „Das jedoch ist eine Politik des Hasses, die ich niemals unterstützen werde.“ Auf Sonia Mikichs Frage, wann diese Linken ihren moralischen Kompass verloren hätten, findet Illouz eine so einfache, wie bestechende Antwort: „In dem Moment, in dem sie glaubten, sie verteidigten die Moral.“