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„Fast and Furious“Ist das Leben nur eine einzige lange Verfolgungsjagd?

Lesezeit 5 Minuten
Vin Diesel und Paul Walker stehen in einer Szene von „The Fast And The Furious“ vor Palmen und Autos.

Vin Diesel und Paul Walker in „The Fast And The Furious“ aus dem Jahr 2001

Am Mittwoch kommt der zehnte Teil der „Fast and Furious“-Reihe in die Kinos. Warum Sequels mittlerweile Hollywood dominieren und (meistens) besser sind als ihr Ruf.

Als die langlebige Erfolgsgeschichte der „Fast and Furious“-Saga begann, hafteten Fortsetzungen in Hollywood immer noch das Image von Schmuddelkindern an. Sie brachten schnelles Geld, aber selten Ruhm, und wurden spätestens ab der dritten Folge gerne Regisseuren aus der zweiten Reihe überlassen. Mittlerweile sind Sequels die Lebensversicherung einer Branche, die das geistige Eigentum an den großen Erzählungen der Populärkultur in sich unendlich ausdehnenden Kosmologien verwertet. Undenkbar, dass man heute den „Weißen Hai“ einer Riege hemdsärmeliger B-Filmer überlassen würde, um ihn dann aufs Altenteil einer Freizeitparkattraktion zu schieben.

Auch die „Fast and Furious“-Reihe, deren zehnter Teil an diesem Mittwoch weltweit anlief, ist längst ein Medienfranchise mit Ablegern in Fernsehen, Mode, Themenparks, Spiele- und Spielzeugindustrie. Aber verglichen mit Marvel, Star Wars, Herr der Ringe oder Harry Potter scheint es doch aus einer längst vergangenen Zeit zu stammen. Anders ginge es wohl auch nicht: Um halbwegs glaubwürdig zu bleiben, müssen die „Fast and Furious“-Macher ihre Wurzeln im ehrlichen Handwerk immer wieder aufs Neue beschwören.

„The Fast and the Furious“ war alles, was sein Titel verspricht

Im Jahr 2001 war „The Fast and the Furious“ alles das, was sein Titel verspricht: Schnell, ungehobelt und manchmal furios, ein klassisches B-Movie, das die Subkultur der Autonarren ins Rampenlicht des Exploitation-Kinos zieht und bis zur Unkenntlichkeit verklärt. Rob Cohen zelebrierte schimmerndes Metall und ölverschmierte Muskeln, und die bei „Point Break“ und etlichen älteren Filmen geliehene Geschichte hatte es in Maßen in sich: Ein verdeckter Ermittler erschleicht sich das Vertrauen einer Clique von Autoschraubern, die schwere LKWs in Walfänger-Manier überfällt und danach in einer Benzinwolke verschwindet. Er verliebt sich in die Schwester des Anführers und weiß bald nicht mehr, wem er die Treue halten soll – dem Gesetz oder der neu gewonnenen Ersatzfamilie.

Äußerlich hat sich die Reihe im Laufe zweier Jahrzehnte weit von diesen Ursprüngen entfernt. Schon in „Fast & Furious Five“ hatte Vin Diesel seine neun Leben so schnell aufgebraucht wie wenige Actionhelden vor ihm, und ganz offensichtlich ging es bei den Karambolagen und Verfolgungsjagden nicht mehr darum, mit den Gesetzen von Physik und Medizin zu spielen; sie wurden einfach außer Kraft gesetzt. Im neunten „Fast“-Film waren die Muskelmänner dann endgültig im Universum selbstironischer Superhelden angekommen, was Justin Lin die Gelegenheit verschaffte, zwei komische Nebenfiguren am Steuer eines Sportwagens ins All zu schießen.

Die Planbarkeit des Erfolgs wird in Hollywood zu einer immer neu gestellten Überlebensfrage

Das Herz dieses cartoonhaften Actionfilms schlug allerdings immer noch am gewohnten alten Fleck. Die Gemeinschaft aus harten Männern und taffen Frauen blieb eine verschworene, und ein aus dem Rückblendenhut gezauberter Bruder stürzte Diesels Figur in altbekannte Loyalitätskonflikte. Gequälte Männerseelen gehören so selbstverständlich zur „Fast and Furious“-Mythologie wie Chrom im Neonlicht und aus Kruppstahl gestanzte Dialoge.

An „Fast and Furious“ lassen sich sowohl die Variablen wie die Gesetzmäßigkeiten des Hollywood-Sequels sehr schön nachvollziehen. Bei Investitionen von teilweise mehreren hundert Millionen US-Dollar wird die Quadratur des Kreises, nämlich die Planbarkeit des Erfolgs, zu einer immer neu gestellten Überlebensfrage – und die Fortsetzung zum Inbegriff des Hollywood'schen Geschäftsmodells.

Gleichzeitig ist das Bauprinzip des Sequels von dieser Entwicklung weitgehend unberührt geblieben: Die erste Fortsetzung zelebriert das Moment der Abweichung, indem es das Original zugleich wiederholt und überbietet; die zweite Fortsetzung hebt das Geschehen dann auf eine höhere Ebene. Die Form der Überbietung kann sich dabei wie bei „Alien“/„Aliens“ schon im Titel ankündigen (mehr vom Gleichen), wie in „Terminator 2“ als Überraschungscoup inszeniert werden (der mechanische Bösewicht steht als Schutzheiliger des Helden von den Toten auf), oder die Handlung wird wie in „Die Hard - Stirb langsamer“ auf ein spektakuläreres Spielfeld verlegt und mit Anleihen bei einem anderen Genre (in diesem Fall der Katastrophenfilm) erneuert. Mit der zweiten Fortsetzung versuchen die Autoren meist, nach Art der Trilogie den Kreis zwischen den einzelnen Teilen zu schließen und ziehen dem Geschehen eine selbstreflexive Ebene ein.

Vin Diesel als Dominic Toretto und Jordana Brewster als Mia Toretto stehen vor zu Schrott gefahrenen Autos.

Vin Diesel (l) als Dominic Toretto und Jordana Brewster als Mia Toretto in 'Fast & Furious 10'

Beinahe idealtypisch baut sich in dieser Hinsicht die „Rocky“-Saga auf, an der überdies deutlich wird, dass man das Stilmittel der Überbietung auch über mehrere Sequels beibehalten kann. Aus der Aufsteigerfabel eines Boxers wird im zweiten Teil eine Geschichte von Hybris, Niederlage und Comeback, gefolgt von einer Phase des Grand Guignols, in der sich Sylvester Stallone zur Ikone der achtziger Jahre stilisiert und im Kampf des Jahrhunderts sogar das sowjetische Reich des Bösen in die Knie zwingt. Dem visuellen Exzess folgt schließlich die Rückkehr zur Bescheidenheit des Anfangs und in „Rocky Balboa“ die eigene Historisierung. Stallone tritt als authentisches Urgestein ins Rampenlicht und blickt auf das Eigenleben seiner Figur zurück.

Die dem Sequel eingeschriebene Tendenz zur Selbstbezüglichkeit findet sich in allen Genres und Facetten. Im Horrorfilm nimmt die Wiederkehr des Monsters die Fortsetzung bereits vorweg und sorgt dafür, dass Kinoserien wie „Nightmare on Elm Street“ als das Verdrängte der Filmgeschichte einfach nicht totzukriegen sind; Robert Zemeckis trieb in seiner „Zurück in die Zukunft“-Trilogie ein lustvolles Spiel mit den philosophischen Aporien der Zeitreise, und François Truffaut blendete im letzten Teil seines Antoine Doinel-Reihe Ausschnitte aus den früheren Filmen als Erinnerungsstützen ein. Dank dieser fest eingebauten reflexiven Qualität des Sequels lassen sich mit seinen Mitteln auch klassische Formen des zyklischen Erzählens auf die Probe stellen.

Man sieht es wahrlich nicht allen Fortsetzungen an, doch in seinem Kern ist das Sequel ein Akt der Liebe. Mit ihm begeben sich Publikum und Produzenten gleichermaßen auf die Suche nach dem Pathos des ersten Mals, nach einem Augenblick, der nicht wiederkehrt, aber immer wieder beschworen werden kann.

Niemand hat dieses Gefühl schöner inszeniert als Wong Kar-wai in seiner Elegie „2046“. Ein Schriftsteller irrt darin durch eine aus Erinnerungen gebaute Stadt, die ihn an eine alte Liebe fesselt und darüber das nebenan wohnende Glück übersehen lässt. Und weil wir diesen Schriftsteller mitsamt seiner unglücklichen Vorgeschichte bereits aus Kar-wais Meisterwerk „In the Mood for Love“ kennen, scheint der Film mit seiner frei zwischen den Zeiten und Räumen schwebenden Struktur um ein leeres Zentrum zu kreisen: die abwesende Geliebte. So sehen wir durch die Bilder von „2046“ auf den älteren Film und zugleich auf unsere eigene Sehnsucht, die sich mit der des Helden trifft.

„Fast X“ startet am Mittwoch, dem 17. Mai, in den Kinos.