Der Kölner Kabarettist und Schauspieler Fatih Çevikkollu geht in seinem Buch „Kartonwand“ der Frage nach, ob es einen Zusammenhang zwischen psychischen Erkrankungen und Arbeitsmigration gibt.
Fatih Çevikkollu über Folgen der Migration„Das Türkische wird immer abgewertet“
In der Wohnung, in der Fatih Çevikkollus mit zwei Brüdern in Köln-Nippes aufwuchs, gab es eine Wand voller Kartons. In diesen hatten die Eltern alles verpackt, was sie nutzen wollten, wenn sie in die Türkei zurückkehrten. Denn sie wollten nicht lange in Deutschland bleiben. Doch es kam anders. Aus der geplanten kurzen Zeit wurden Jahrzehnte.
Was macht es mit Menschen, wenn sie immer darauf warten, dass das eigentliche Leben beginnt? Wie geht man damit um, wenn die Gesellschaft signalisiert, dass man hier nur als Arbeitskraft, nicht aber als Mitbürgerin oder Mitbürger betrachtet wird? Und welche Folgen hat es für die Kinder, wenn sie in sehr jungen Jahren in die Türkei geschickt werden, um dort auf die Eltern zu warten, nur um dann doch nach Deutschland zurückzukehren? Was macht die Trennung mit ihnen? Mit diesen Fragen beschäftigt er sich in seinem Buch „Kartonwand“, das gerade bei Kiepenheuer & Witsch erschienen ist.
Welche Folgen hatte die Migration für Millionen Menschen?
Fatih Çevikkollu hat sich lange Zeit nicht mit diesen Fragen auseinandergesetzt, aber als seine Mutter starb, die im Alter an einer Psychose litt, wollte er wissen, welche Folgen die Arbeitsmigration für Millionen Menschen hatte.
Dabei geht es ihm nicht um Schuldzuweisungen. Fehler seien auf beiden Seiten gemacht worden, wie er im Podcast „Talk mit K“ betont: „Diese Dysfunktionalität findet auf beiden Seiten statt. Die deutsche Gesellschaft hat gesagt, die werden wieder gehen. Es gab keinerlei Teilhabe-Pläne, keinerlei Bestrebungen, sie einzugliedern in die Gesellschaft. Und auf der familiären Seite besteht die Dysfunktionalität darin, dass sie von Anfang an die Idee hatten, zurückzugehen.“
Wie groß der Einfluss dieser Familiengeschichte auch auf sein eigenes Leben ist, wurde ihm erst nach und nach bewusst: „Dieses ganze 'Wir kehren zurück' und die Identifikation mit der Türkei macht ja etwas mit dir. Wenn du als Türke in Deutschland aufwächst, machst du die Erfahrung, dass deine Anwesenheit hier nicht so priorisiert wird, um es mal freundlich zu formulieren. Du wirst diskriminiert, das Türkische wird immer abgewertet.“