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Film über Laurie Anderson und KolleginnenWie Frauen die elektronische Musik prägten

Lesezeit 4 Minuten

Die Stockhausen-Schülerin Maryanne Amacher

Am 14. November des Jahres 1940 griff die deutsche Luftwaffe die englische Industriestadt Coventry an. Die Bomben der Nazis richteten erheblichen Schaden an, doch die dreijährige Delia Derbyshire fand Schönheit inmitten des Chaos: Das Mädchen verliebte sich in den Sirenengesang des Fliegeralarms.

Mit 23 Jahren bekam sie einen Job bei der BBC und fand kurz darauf ihre Bestimmung im Radiophonic Workshop des Senders. Der stellte, praktischer veranlagt als das Elektronische Studio des WDR, ungewöhnliche Klänge für die Bedürfnisse der BBC her. Derbyshires großer Moment kam, als sie in 40-tägiger, fieberhafter Arbeit die Titelmelodie für die Science-Fiction-Show „Dr. Who“ aufnahm, allein mit Hilfe von Oszillatoren, manipulierten Tonbändern und weißem Rauschen: Eines der ersten populären Elektronik-Stücke.

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„Ich habe Dinge getan, von denen man mir sagte, dass man sie nicht tun könne“, bilanzierte die Komponistin. Doch die BBC verweigerte ihr die Autorenschaft: Die Angestellten des Radiophonic Workshop sollten anonym bleiben.

Delia Derbyshire erging es wie vielen Pionierinnen der elektronischen Musik, die die Geschichtsschreibung vergessen hat und deren Namen heute nur noch einem kleinen Fachpublikum bekannt sind. Ein beklagenswerter Zustand, den „Sisters with Transistors“, der launig betitelte Dokumentarfilm der franko-amerikanischen Regisseurin Lisa Rovner, nun korrigieren will. Der Film stellt dabei nicht nur einige der wichtigsten Akteurinnen aus der Anfangszeit der elektronischen Musik vor.

Träumen mit Technologie

Zuvörderst zeigt er, wie Frauen in enger Verbindung zu Maschinen, die abseits der Tradition männlichen Musikschaffens standen, eine völlig neue Form von Freiheit fanden, Träume, ermöglicht von Technologie: „Du kannst am Synthesizer einfach alles selber machen“, schwärmt etwa die amerikanische Komponistin Suzanne Ciani, „du bist die einzige Gebieterin deiner Schöpfung.“ Der jedoch die Verehrung, die ihre männlichen Kollegen genossen, versagt blieb: Ein alter Fernsehschnipsel aus der „Late Night with David Letterman“ zeigt den Moderator, wie er Ciani als lustiges Wundertier hinterm Keyboard vorführt.

Die war nicht nur die erste Frau, die allein mit dem Soundtrack eines Hollywood-Films beauftragt worden war (das Lili-Tomlin-Vehikel „Die unglaubliche Geschichte der Mrs. K.“ von 1981), sie hatte sich vor allem eine Karriere als Vertonerin von Werbespots aufgebaut – unter anderem stammt von ihr der ikonische Soundeffekt beim Öffnen einer Coca-Cola-Flasche. In der Werbeindustrie fand sie die Freiheit, die ihr das Musikbusiness versagte.

Frauenfeindliche Klassik

Dort waren Frauen fast ausschließlich als Sängerinnen akzeptiert. Sonst hatten sie stumm zu bleiben. Während Ciani erfolgreich eine Nische gefunden hatte, in der sie mit Hilfe ihres Buchla-Synthesizers die Miete zahlen konnte, gingen andere auf direkten Konfrontationskurs: So fragte Pauline Oliveros, als lesbische Frau und Elektronik-Komponistin dreifach marginalisiert, 1970 in einem Meinungsstück in der „New York Times“: „Warum gab es keine »großen« weiblichen Komponisten?“, und wollte mit ihren Tonbandstücken die Frauenfeindlichkeit des klassischen Kanons exorzieren.

Zum Glück verzichtet „Sisters with Transistors“ auf die abgefilmten Interviews, beziehungsweise Kollegen-Lobhudeleien, die viele Musik-Dokus ästhetisch so reizlos machen. Stattdessen erzählt Rovner im assoziativen Flow sorgfältig recherchierter Bilder und Tondokumente. Für die sparsam eingesetzten Kommentare hat sie mit der großen Performance-Künstlerin Laurie Anderson die Idealbesetzung gefunden.

Theremin-Virtuosin Clara Rockmore im Jahr 1928

Die Geschichte einer anderen, wärmeren Verbindung zur Technik beginnt bereits in den 1920er Jahren mit der litauischen Geigenvirtuosin Clara Rockmore, die ihr ursprüngliches Instrument zugunsten der exzentrischen Erfindung des Russen Lew Termen aufgab. Das Theremin ist nicht nur eines der ersten elektronischen Instrumente, es ist auch das einzige, das berührungslos gespielt wird: Rockmore steuerte mit ihren in der Luft gestikulierenden Händen Tonhöhe und Lautstärke, und entwickelte eine Technik, die es ihr erlaubte, glissandofrei und mit maximaler Präzision zu spielen.

Noch eindrucksvoller ist das Beispiel der britischen Komponistin Daphne Oram, eine der Gründerinnen des bereits erwähnten Radiophonic Workshop und die erste Frau, die ein elektronisches Musikinstrument konstruierte. Von ihr erzeugte Klänge wurden in den ersten James-Bond-Filmen eingesetzt, ihr Hauptinteresse aber galt der Grafischen Tonerzeugung, bei der sie auf 35 mm-Film gemalte Symbole über fotoelektrische Zellen direkt in Klänge verwandelt: Sound als automatische Schrift des Innenlebens.

„Sisters with Transistors“ kann man noch bis zum 31. Januar im Rahmen des Berliner CTM-Festivals für vier Euro streamen.

www.ctm-festival.de