Das Filmfestival Venedig endete mit verdienten Preisen für die Regisseure Pedro Almodóvar, Brady Corbet und Frankreichs Starschauspieler Vincent Lindon. Doch wie geht es politisch weiter?
FilmfestspieleVenedig zeigt, zu welchen Wundern dieses Medium noch immer fähig ist
„Ist das ein echter Hopper?“, fragt die von Julianne Moores gespielte Ingrid ihre Freundin Martha, (Tilda Swinton). „Wohl nicht, aber die Kopie ist wirklich hervorragend gemalt“, antwortet ihre Gastgeberin. Dem modernen Wohntempel über einer bildschönen Waldlandschaft würde man wohl zutrauen, solch erlesene Bilder zu beherbergen. Gemietet hat Martha ihn zum Sterben. Und ausgerechnet Ingrid, die sich vor nichts mehr fürchtet als dem Tod, hat eingewilligt, ihr den letzten Wunsch zu erfüllen – im Nebenzimmer anwesend zu sein, wenn die Todkranke ihr Leben selbst beendet.
Ist das ein echter Almodóvar? Vielleicht kein allzu typischer in seiner leisen Zurückhaltung und formalen Reduktion. Aber wen das enttäuschte wie so manche in Venedig, der versteht nicht viel vom Kino. Jurypräsidentin Isabelle Huppert, die schon als Schauspielerin ihre Rollen mit so viel Bedacht auswählt wie eine Kuratorin der eigenen Karriere, konnte die Qualitäten von „The Room Next Door“ nicht übersehen. Bei der 81. Mostra in Venedig wurde er am Samstag mit dem Hauptpreis, dem Goldenen Löwen ausgezeichnet. In einem Wettbewerb, wo auf jeden richtig guten Film leider auch ein ziemlich belangloser kam, war es das einzige wirklich makellose Meisterwerk.
Es ist schwer, im Kino mit der Kammerspielform zu überzeugen, aber wenn es gelingt, bewundert man es umso mehr. Dann erweist sich die Nähe zum Theater als Sprungbrett in eine andere, ganz eigene, filmische Intimität jenseits aller Äußerlichkeiten. Selten hat man klügere Dialoge gehört und noch seltener eine derart unprätentiöse Auseinandersetzung mit Tod und selbstbestimmtem Sterben. Aber auch die beiläufige aber bis ins Detail glaubhafte Darstellung einer Frauenfreundschaft weckt Bewunderung. Niemand kann das besser als Pedro Almodóvar, und je mehr er weglässt drum herum, desto mehr kommt diese Meisterschaft heraus.
Vincent Lindon überzeugt als hilfloser Vater
Ein anderer, dem in seinem Metier kaum noch jemand das Wasser reichen kann, ist der französische Schauspieler Vincent Lindon. Auch wenn er eine Rolle wie die des sozialistisch eingestellten Arbeiters nicht zum ersten Mal spielte, die ihm das Schwestern-Regieduo Delphine und Muriel Coulin für „The Quiet Son“ auf den Leib schrieb: Von der ersten Sekunde an, blickt man seiner Figur förmlich ins Herz. Dieses bricht, als nach dem Tod seiner Frau einer seiner beiden Söhne in den Rechtsradikalismus abgleitet. Hilflose Versuche, ihn durch Diskussionen oder moralischen Druck umzustimmen, scheitern. Als der junge Stahlarbeiter von einem Linksautonomen verprügelt wird, schmiedet er sich eine tödliche Waffe, um sich zu rächen. Der letzte Akt spielt im Gerichtssaal.
Auch „The Quiet Son“ zählte zum Besten in Venedig, eine solche Erzählung aus der Sicht eines Vaters ist einzigartig. Wenn Almodóvar den interessantesten Film über Femininität drehte, stammte der klügste Film über Männlichkeitskonzepte von zwei Frauen. Was ihm jedoch fehlt, ist eine politische Differenzierung. Der Sohn hätte genauso gut in die linksautonome Szene abgleiten können, gegen die er in den Kampf zieht; man kann sie hier kaum unterscheiden.
Auch der Schauspielerinnenpreis für Nicole Kidman belohnte eine Leistung von bruchloser Perfektion – allerdings in einem viel schlechteren Film. In „Babygirl“, einem Hollywoodfilm der Niederländerin Halina Reijn, spielt sie eine Firmenchefin, die sich auf eine Affäre mit einem jungen Praktikanten einlässt. Auf einen plumpen Erpressungsversuch muss ihre Filmfigur nicht lange warten.
Der dankbare Gegenpol zu Almodóvars Kammerspiel
Die Jury, der auch die deutsche Regisseurin Julia von Heinz angehörte, hatte keine Schwierigkeiten, die Spreu vom Weizen zu trennen. Dem amerikanischen Regisseur Brady Corbet, der seinen Ruhm seiner frühen Entdeckung durch dieses Festival verdankt, kamen die Tränen, als er für „The Brutalist“ den Regiepreis entgegennehmen durfte. Man sah ihm an, welchen Berg er in den vergangenen Jahren erklommen hatte, um das Dreieinhalbstunden-Drama um den fiktiven Baukünstler László Tóth im opulenten 70mm-Format zu stemmen. Es ist der denkbare Gegenpol zu Almodóvars Kammerspiel – zusammen sind sie ein perfektes Duo, das in Venedig noch einmal zeigte, zu welchen Wundern dieses Medium noch immer fähig ist.
Merklich dünner wurde der Applaus bei der Preisverleihung lediglich als der Biennale-Präsident zu seiner Schlussrede ansetzte. Der von der neofaschistischen Regierung berufene Journalist Pietrangelo Buttafuoco gilt als bekanntester Intellektueller der Neuen Rechten. Dass er den als links geltenden Alberto Barbera als Filmfestspielchef im Amt beließ, wurde ihm gleichwohl hoch angerechnet. Und doch: Politisch Provozierendes war bei diesem Festival kaum auszumachen.
Der Wettbewerb war dominiert von Hollywood auf der einen und überwiegend obskuren italienischen Produktionen auf der anderen Seite, beide Pole garantierten aber auch einen Überschuss an Glamour, wie ihn sich andere Festivals oft sehnlich wünschen. Das hat Buttafuoco gut gefallen, ist aber auch der erste Schritt in die Provinzialität. Man reist nicht aus aller Welt nach Venedig, um Filme zu sehen, die nur Wochen später ins Kino kommen – oder nur im eigenen Land eine Rolle spielen. Seien wir gespannt, wie sich der 74-jährige, überaus beliebte Barbera im nächsten Jahr aufstellt, wenn sich sein Vertrag dem Ende nähert. Das älteste Filmfestival der Welt, am Lido buchstäblich auf einer Insel der Filmkunst gelegen, wird ein Sehnsuchtsort bleiben.