Herr Schroeder, mit Ihrem Programm „Neustart” sind Sie jetzt in Köln zu Gast. Warum wollen Sie jetzt den Reset-Knopf drücken?
Florian Schroeder: Ich mache mich lustig über den Wunsch, dass in dieser Zeit, die hoffentlich die Nach-Pandemische sein wird, plötzlich auf einen Schlag alles anders werden muss. Wir haben eine Sehnsucht nach einem neuen Messias, der uns erlöst von all diesen Problemen, einer, der plötzlich durch die Tür kommt und uns sagt, was das neue Richtig und das neue Falsch ist. Das bedeutet natürlich auch, dass ich den neuen Messias vorstelle und bescheiden sage, ich werde es sein. Und dabei führt die Erlösung direkt in die Katastrophe.
Und helfen wollen Sie Ihren Jüngern, indem Sie sie mit Wahnsinn impfen. Klingt nicht ganz ungefährlich.
Diese schöne Formulierung ist von Friedrich Nietzsche. Ich habe sie deshalb übernommen, weil wir versuchen, uns gegen den Wahnsinn zu immunisieren und uns dabei überhaupt nicht mit dem auseinandersetzen, was das Gift eigentlich genau sein soll. Das ist wie eine COVID-19-Impfung mit einer Salzlösung. Nur wenn wir uns selbst mit dem Wahnsinn impfen, uns das Gift gut dosiert einverleiben, indem wir es verstehen und durchdringen und nicht einfach nur von uns weisen, sind wir wirklich geimpft. Das ist die Aufgabe des Komikers. Wir sind ein Teil des Wahnsinns.
Das ist wie eine COVID-19-Impfung mit einer Salzlösung
In öffentlichen Debatten tun wir die Positionen der anderen zu schnell als verrückt ab?
Es findet schon eine Verpanzerung statt, ja. Man zieht sich zurück in die eigenen Schützengräben. Man steht auf der richtigen Seite und glaubt, mit gewissen anderen Leuten sowieso gar nicht mehr reden zu müssen. Das ist eine sehr billige Art und Weise der Selbstbestätigung, die uns nicht weiterbringt. Es hilft nicht, dass wir uns in den eigenen Bubbles wohlfühlen und dort auf viel Applaus und Gegenliebe stoßen.
Aber wir können uns ja in öffentlichen Debatten oft nicht mal mehr auf Fakten einigen. Fehlt da nicht die Basis?
Wenn Leute etwas für Wahrheit halten, was aber letztlich Mythos oder schlicht Quatsch ist, darf man auch irgendwann guten Gewissens das Gespräch abbrechen. Man muss nicht mit jedem Idioten reden. Mir geht es eher um die Grundhaltung, in einen Austausch zu gehen. Ich glaube, die meisten Leute sind wahrscheinlich genauso verunsichert wie wir selbst. Sie sind durchaus bereit zuzuhören, sich einzulassen auf Unbekanntes. Es gibt eine große Sehnsucht nach Orientierung.
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Steht die schnelllebige Debattenkultur in den Sozialen Netzwerken einem echten Austausch nicht entgegen?
Ich glaube nicht, dass in Medien wie Twitter der Austausch unmöglich ist. Es gibt viele Blasen – hier im positiven Sinne - in denen das geht. Darunter eine philosophische, von der ich sehr profitiere. Was man häufig mitbekommt, sind immer die Spitzen des Eisbergs, wenn sich mal wieder zwei zoffen oder irgendwer Blödsinn erzählt hat, über den sich dann alle das Maul zerreißen. Das ist aber nur ein kleiner Teil. Twitter ist zwar zersetzt von Rechthaberei und Wichtigtuern, aber diese Welten kann man ja auch in aller Ruhe ignorieren. Dafür gibt es den Stumm-Schalte-Button.
Aber wie wollen wir als Gesellschaft in den Debatten weiterkommen, wenn sich viele eher anschreien als ernsthaft miteinander zu sprechen?
Das Geschrei ist wahrscheinlich das größte Problem, vor allem die Verkürzung, die dem Geschrei zugrunde legt. Geschrei ist nur möglich, wenn man sich auf Überschriften konzentriert. Wenn man versucht, sich Themen einzuverleiben, muss man gar nicht mehr schreien, weil man im Detail ist, abwägt und gezwungen ist, anzuerkennen, dass es möglicherweise auch mehrere Seiten gibt, die richtig sein könnten. Ich glaube, die Verkürzung ist das Grundproblem, denn auf zugespitzte Sätze folgen natürlich zugespitzte Reaktionen und so dreht sich das Rad der Empörung verlässlich weiter - ohne jede Erkenntnis.
Viele Menschen wollen Jünger, keine Gegner
Sie setzen sich in Ihrem jüngsten Buch mit der Meinungsfreiheit auseinander. Mich irritiert immer, dass die am lautesten einen angeblichen Verlust der Meinungsfreiheit beklagen, die sie permanent in Anspruch nehmen.
Es liegt daran, dass sie selbst eine Meinung vertreten, die eben häufig zurecht marginalisiert ist - also Rassismus, Sexismus, Corona-Leugnung und all das. Sie haben das Gefühl, nicht mehr alles sagen zu können, weil sie Widerspruch bekommen und den nicht aushalten. Das größte Problem heute ist, dass die, die stark radikalisiert oder ideologisiert sind, meinen, dass sie ihre Meinung möglichst ungestört formulieren dürfen sollten. Sie wollen Jünger, keine Gegner. Wehe, es kommt Gegenwind. Dann behaupten sie, man dürfe ja gar nichts mehr sagen. Doch, man darf alles sagen, man muss eben nur damit rechnen, wenn man entsprechend formuliert, dass es Gegenwind gibt. Unter dem Motto: Wer den Hintern aus dem Fenster hängt, muss sich nicht wundern, wenn es drauf regnet.
Alles, was Sie im Fernsehen oder in Ihren Podcasts sagen, lässt sich auch Jahre später nach anschauen und anhören. Haben Sie da manchmal eine Schere im Kopf aus Angst, etwas zu sagen, was Ihnen vielleicht später um die Ohren fliegt?
Eine Schere im Kopf habe ich nicht. Ich versuche, möglichst klar zu formulieren. Es gibt ab und zu Momente, in denen ich mir nochmal überlege, ob der Begriff der wirklich treffendste ist oder ob die Formulierung vielleicht der falschen Seite in die Karten spielen könnte oder anderweitig missverständlich sein könnte. Aber das ist keine Selbstzensur, sondern die notwendige Arbeit der Differenzierung.
Man darf ja heute Dinge sagen, die vor Jahren noch unsagbar waren.
Ja, die Grenzen haben sich eher erweitert, das ist ja die große Paradoxie. Sie können heute in einer Form Menschen beleidigen, wie sie das selten zuvor konnten - auf so vielen Kanälen wie selten zuvor. Wenn man sich allein anguckt, was Renate Künast aushalten musste, höchstrichterlich bestätigt. Sie können auch sagen, das Holocaust-Denkmal in Berlin ist ein Denkmal der Schande, und das ist von der Meinungsfreiheit gedeckt. Unter dem Signum Meinungsfreiheit ist auch sehr viel Schwachsinn problemlos sagbar.
Florian Schroeder (42) studierte Germanistik und Philosophie. Er arbeitet als Kabarettist, Buchautor, Kolumnist, Podcaster und Moderator. Sein jüngstes Buch heißt „Schluss mit der Meinungsfreiheit!: Für mehr Hirn und weniger Hysterie“.
Mit seinem neuen Programm „Neustart“ ist er am Donnerstag, 9. Juni, 20 Uhr im Eltzhof, Sankt-Sebastianus-Straße 10, zu Gast. Infos zu Tickets gibt es auf seiner Homepage florian-schroeder.com
„Kabarett trifft Meisterdenker“ heißt die Veranstaltung bei der phil.Cologne, bei der er am Montag, 13. Juni, 20 Uhr in den Balloni Hallen mit Peter Sloterdijk spricht.
Sie nennen Menschen, die sich als woke bezeichnen, Inquisitoren. Was stört Sie an Leuten, die niemanden verletzen wollen? Sollten wir nicht alle versuchen, so zu sein?
Ich finde ganz vieles davon richtig. Was ich bekämpfe, ist die Radikalisierung dieser Position. Das ist eine kleine Gruppe von Leuten, die aber oft diskursbestimmend sind, die ihre eigenen Paradoxien nicht wahrnehmen, wenn sie festlegen wollen, wer zu welchen Themen und in wessen Namen sprechen darf. Das ist ein Fehler, wenn wir eine wirklich offene, freie Gesellschaft wollen, in der alle am Tisch sitzen, die in dieser Gesellschaft leben. Wir dürfen nicht anfangen, die Hierarchien derer nachzubauen, die wir eigentlich bekämpfen wollen. Auch ich als mittelalter weißer Mann darf mich zum Thema Rassismus äußern.
Obwohl dieser Rassismus Sie nicht betrifft?
Es ist nicht die Frage, ob ich Rassismus-Erfahrungen gemacht habe, sondern ob ich im Wissen um die Bedingtheit meiner Position dazu einen Standpunkt habe, welcher die Erfahrungen anderer als solche anerkennt und respektiert. Häufig versucht ein kleiner, radikaler Teil dieser Blase im Namen der Gleichheit einen neuen Separatismus, eine neue Segregation aufzubauen. Das gilt insbesondere für Debatten rund um kulturelle Aneignung, in denen es darum geht, ob eine weiße Sängerin Zöpfe tragen darf oder weiße Menschen Jazz-Musik spielen dürfen, obwohl es doch die Frisur und die Musik von Schwarzen ist.
Ich habe keine Angst, Privilegien zu verlieren
Warum halten Sie das für ein Problem?
Das ist für mich eine neue Form der Ausgrenzung, ja, der Ghettoisierung, in der eine bestimmte Frisur oder Kunstform denen vorbehalten werden soll, die sie einst erfunden haben. Ähnliche Paradoxien gibt es bei der Frage nach Gender-Sternchen. Auf der einen Seite heißt es, man wolle ein Sternchen benutzen oder einen Doppelpunkt, um auch Menschen non-binären Geschlechts zu berücksichtigen. Zugleich aber gibt es eine Front, die von Studierenden sprechen möchte und damit diejenigen, die doch eigentlich sichtbar gemacht werden sollten, wieder unsichtbar zu machen und ins Neutrum zu verweisen. Das sind Widersprüche, in denen doch eher gesellschaftlicher Rückschritt im Gewand des Fortschritts droht.
Vielleicht ist es aber auch nur die Angst von “alten, weißen Männern” Privilegien zu verlieren?
Ich persönlich habe gar keine Angst, Privilegien zu verlieren, von denen ich anerkenne, dass ich sie habe. Ich kann deshalb nur versuchen, eine Erklärung für andere zu finden, wo das wahrscheinlich der Fall ist. Ich vermute, dass es bei einigen Zeitgenossen, vor allem männlichen, tatsächlich die Angst vor einem Statusverlust ist, vor einem gefühlten Abstieg, davor, dass die eigene Lebensleistung nicht so wahrgenommen wird, wie man glaubt, es verdient zu haben. Bei einem schwach ausgeprägten Selbstbewusstsein wirkt alles bedrohlich, was fremd und neu ist. Man sieht dann vieles als Konkurrenz und nicht als Ergänzung oder Erweiterung des Bestehenden.
In Deutschland muss man keine Angst haben, gecancelt zu werden
Gerade im Bereich der Komik wird immer wieder die Angst vor der Cancel Culture geäußert. Treibt Sie die um?
Nein, in Deutschland muss man in meinen Augen keine Angst haben, gecancelt zu werden. Überall da, wo Leute den Eindruck hatten, dass es so ei, hat man gesehen, dass sie am Ende doch geblieben sind und keine Nachteile hatten. Bei denjenigen, die wirklich verbannt wurden - Attila Hildmann, der Wendler oder Rechtsextremisten - gab es gute, gerichtsfeste Gründe. Was mich aber irritiert ist, dass es gerade im links-dogmatischen Feld eine Gruppe gibt, die sich eine Cancel Culture doch stark herbeiwünscht.
Wie meinen Sie das?
Sobald ich höre, dass es schnellmeinende Rufe gibt, eine Person des öffentlichen Lebens nirgendwo mehr auftreten zu lassen, bin ich erst einmal vorsichtig. Wenn man sich anguckt, dass es nach dieser Allesdichtmachen-Aktion im vergangenen Jahr eine Petition gab, dass Jan Josef Liefers und Co. nie wieder in den Öffentlich-Rechtlichen auftreten sollten, muss man sagen, es gibt Leute, die haben jedes Maß verloren. Die Sehnsucht nach Verbannung hat etwas Inquisitorisches. Besonders enttäuschend ist das bei Leuten, die sich selbst als progressiv bezeichnen. Diese Unverzeihlichkeit ist sehr irritierend.
Sie sind 42 und sagen über sich, Sie seien zu alt für Fridays For Future, aber auch kein Boomer. Ihre Generation kommt gerade in Machtpositionen. Ist das eine Chance, die Generationen vor und nach Ihnen zu versöhnen?
Ja, glaube ich schon. Dieses Zwischen-Generation-Sein ist nicht ganz einfach. Man hat manchmal das Gefühl, zwischen allen Stühlen zu stehen, aber wenn ich mir beispielsweise Annalena Baerbock angucke, muss ich sagen, da ist eine Form von Empathie und gleichzeitig großer Rationalität vorhanden, die mir Eindruck macht und die ich auch sehr respektiere. Als Teil dieser Sandwich-Generation, die wir vielleicht sind, haben wir sehr viele Möglichkeiten, uns sowohl emotional als auch rational einzufühlen in die ältere und die jüngere Generation. Da Ambivalenz unser zweiter Vorname ist, sind wir damit vielleicht auch unserer Zeit voraus. Das mag ein Vorteil sein, weil wir eben auch weniger ideologisiert sind und dadurch vielleicht auch an einigen Stellen weniger verbohrt.