Dave Grohl wirft Taylor Swift vor, nicht live zu spielen. Er hat nicht verstanden, wie moderne Pop-Konzerte funktionieren.
Foo-Fighters-Frontmann gegen Taylor SwiftHier irrt Dave Grohl gewaltig
Zwischen dem Wembley Stadium und dem London Stadium, für die Olympischen Spiele 2012 gebaut, liegen nur 22 Kilometer. Hoffentlich reicht das als Sicherheitsabstand. Am Samstagabend trat im Londoner Stadion Dave Grohl mit seinen Foo Fighters auf, während in Wembley Taylor Swift mit ihrer „Eras“-Tour gastierte, es war die mittlere von drei Shows in der Traditions-Arena. Das terminliche Zusammentreffen nutzte Grohl zur öffentlichen Läster-Attacke: Zwar wolle er sich nicht den Zorn von Swift zuziehen, hob der ehemalige Nirvana-Schlagzeuger an, nur um den Megastar daraufhin umso genussvoller abzuwatschen.
„Wir nennen unsere Tour lieber die ‚Errors Tour‘, wir hatten mehr als nur ein paar Epochen („eras“), und auch mehr als nur ein paar verdammte Fehler („errors“).“ Die Fehler ergäben sich ganz von selbst, „weil wir tatsächlich live spielen.“ Gejohle im Publikum. Grohl schützt erst Entrüstung vor („Was?!“), dann Unschuld: „Ich meine ja nur. Ihr mögt rohe, live gespielte Rock'n'Roll-Musik, nicht wahr?“
Nichts gegen eine kleine Rangelei unter Superstars. Und dass Taylor Swift, deren übermäßiger Erfolg praktisch jeden anderen Musik-Act marginalisiert, solche Sticheleien aushalten kann und muss, versteht sich von selbst. Trotzdem: Hier irrt sich ein alter Rock-Elefant gewaltig.
Was einfach daran liegt, dass ein Foo-Fighters-Konzert völlig andere Ansprüche erfüllt als eine Taylor-Swift-Show. Egal, ob auch hier mal eine Konfetti-Kanone zündet, das klassische Bandformat begeistert durchs Zusammenspiel. Ältere Fans bezeichnen das dann gerne als „richtige Musik“. Aber es gibt hier kein richtig und falsch.
Auch Taylor Swift kann nicht gleichzeitig tanzen und gesangliche Höchstleistungen abliefern
Ein Taylor-Swift-Konzert ist dagegen eine sehr viel komplexere Angelegenheit, eben eine Show, die hohen Ansprüchen an Perfektion genügen muss. Während einer anspruchsvollen Choreografie kann man aber nicht allabendlich gesangliche Höchstleistungen abliefern. Der Atem reicht eben nur so weit. Dass sich Künstlerinnen und Künstler hier oft von zuvor aufgenommenen Tracks unterstützen lassen, ist ein offenes Geheimnis - vergleichbar mit der Verabredung zwischen Performern und Publikum im Wrestling oder bei Zaubershows.
Swifts Beinahe-Namensvetter Samuel Taylor Coleridge hat das die „willentliche Aussetzung der Ungläubigkeit“ genannt. Man akzeptiert – für einen begrenzten Zeitraum – das Unmögliche. Belohnt wird man im Idealfall mit der großen Pop-Show, einem Erlebnis, das mehr zu erzählen hat und dabei inklusiver und immersiver ist als der Frontalunterricht der Gitarrenhelden.
Ich habe Hunderte von Arena- und Stadionshows gesehen: Die meisten Acts bemühen sich gar nicht erst, die Tatsache zu verbergen, dass manche Vokalparts und manche Instrumente vom Band kommen. Letzteres macht vor allem Sinn, wenn die Musik sowieso im Computer entstanden ist. Und wenn die Zeit für große Balladen oder andere gesanglich anspruchsvolle Stücke gekommen ist, wird zumeist die Choreografie zurückgefahren und live gesungen.
Roher Rock’n’Roll ist beinahe so etwas wie eine tote Kunstform, viel Neues passiert da – vorerst – nicht mehr. Spaß haben kann man damit dennoch. Aber warum auf Kosten anderer Genres? Dave Grohl weiß, dass er aus der Defensive spricht. Und er sollte es besser wissen. Als er einst mit Nirvana die Musikwelt eroberte, riefen ihm einige Zurückgelassene aus der Szene ebenfalls „überproduziert“ und „Ausverkauf“ nach.