Prof. Florian Töpfl von der Universität Passau forscht zu russischer Medienpropaganda. Er selbst wird nach kritischen Interviews immer wieder bedroht.
Russland-Forscher zu Propaganda„Spaltung des Westens ist erreicht“

Internationale Medien, hier in Warschau, thematisieren den Pakt von Donald Trump und Wladimir Putin, die die Instrumentalisierung der Medien perfekt beherrschen.
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Herr Töpfl, Sie forschen zu russischen Medien und den Strategien des Kremls, um die Meinung im Ausland zu beeinflussen. Dabei stellen Sie die These auf, der Westen sei lange naiv gewesen und habe zu spät erkannt, mit welchen langfristigen Zielen Russland Propaganda betreibe.
Man muss diese Ziele gerade jetzt immer wieder klar benennen: Das derzeitige russische Regime möchte die westlichen liberalen Demokratien zu Fall bringen und dafür Kreml-loyale, anti-liberale, autoritär herrschende Marionetten-Regierungen etablieren, nicht nur in Osteuropa sondern – wenn möglich – auch in Mittel- und Westeuropa. Die Auslandspropaganda ist eines von mehreren Mitteln, um eine neue, imperiale Ordnung in Europa herzustellen. Dafür denkt der Kreml in Zeiträumen von zehn bis 20 Jahren.
Halten Sie das Ziel angesichts der aktuellen Entwicklungen mit der Quasi-Aufkündigung des transatlantischen Bündnisses durch die USA und Trumps Flirt mit Putin für realistisch?
Eines der wichtigsten Zwischenziele ist in den vergangenen Wochen erreicht worden: die Spaltung des Westens. In Amerika ist seit Trumps Amtseinführung eine systematische Aushöhlung der demokratischen Institutionen in schwindelerregendem Tempo zu beobachten. Ich sehe Tendenzen der beiden Großmächte USA und Russland, den Einfluss in Europa aufzuteilen. Auch in Europa selbst sind die anti-demokratischen Kräfte stark. Es stellt sich für die nächsten Jahre die Frage, ob – und wenn ja wie – wir in Europa die Demokratie erhalten können, wie wir sie seit 1945 kennen: geprägt von Freiheit und Wohlstand. Das wird nicht allein auf nationaler Ebene gelingen, dazu müssen wir als Europa vereint auftreten.

Professor Florian Töpfl von der Universität Pasau
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Andernfalls wird die Ukraine ein Satellitenstaat und Russland andere Länder angreifen?
Wenn wir nicht auf europäischer Ebene zusammenarbeiten, wird Russland einen Staat nach dem anderen in Scheibchen-Taktik destabilisieren. Wir sehen dies aktuell am Beispiel von Georgien, wo die Zivilgesellschaft in den vergangenen Monaten zu Hunderttausenden demonstriert hat – aber letztlich den russischen Einfluss voraussichtlich nicht zurückdrängen können wird. Die russische Forderung nach „Wahlen“ in der Ukraine zielen auf dasselbe Ziel: Man will im Trubel des Kriegszustandes unter zu Hilfenahme massiver Propaganda und hybrider Angriffe einen Kreml-loyalen Kandidaten an die Macht bringen. Wenn das gelungen ist, wird man sich weiter nach Westen wenden. Die aktuelle Führung ist in ihrer Ideologie imperial und expansiv. Ziel ist es, möglichst viele europäische Staaten, die man als Verfügungsmasse zwischen den Großmächten USA und Russland begreift, dem eigenen Einflussbereich unterzuordnen.
Welche Rolle spielt Medien-Propaganda für die Erreichung der Ziele des Kremls?
Die Auslandspropaganda ist einerseits ein Mittel zur informationellen Einflussnahme, aber eben auch ein wichtiges Instrument in der so genannten hybriden Kriegsführung. Als hybride Kriegsführung bezeichnet man eine Kombination von militärischen Mitteln mit politischer, wirtschaftlicher, geheimdienstlicher, cybertechnischer und eben auch informationell-medialer Einflussnahme.
Neu und schockierend ist, dass Folter nun vom Regime auch gezielt öffentlich zur Abschreckung kommuniziert werden
Sie haben festgestellt, dass der öffentliche Diskurs des Kremls seit Beginn des Kriegs gegen die Ukraine brutaler geworden ist. Inwiefern?
Gut belegt ist, dass Russland in den besetzten Gebieten ein Netzwerk aus Foltereinrichtungen betreibt und auch im Inland systematisch foltert. Neu und schockierend ist, dass Folter nun vom Regime auch gezielt öffentlich zur Abschreckung kommuniziert werden. Nach den Anschlägen auf die Crocus City Hall nahe Moskau veröffentlichten russische Sicherheitskräfte etwa ein Video, in dem ein als Terrorist verdächtigter Mann in Haft sein zuvor abgeschnittenes Ohr in den Mund nehmen musste und essen sollte. Später wurde der von Folter schwer gezeichnete Mann in den großen staatlichen Fernsehsendern vorgeführt. Solche Diskurse werden in einer engmaschig zensierten Medienlandschaft vom Kreml toleriert und damit gutgeheißen. Uns muss klar sein: Das sind die „Partner“, mit denen sich rechts- und linksextreme Akteure in ganz Europa in den vergangenen Jahren eng vernetzt haben, auf deren Unterstützung sie zurückgreifen – und für deren Interessen und Ziele sie werben.
Wie zeigt sich die Beeinflussung auf der Ebene der Auslandspropagnada?
Die Auslandspropaganda des Kremls arbeitet mit einer Vielzahl von Kanälen. Die mittlerweile berüchtigten Troll-Fabriken – also verdeckte Kampagnen, die Bürgerbeteiligung oder Nachrichtenmedien simulieren – sind nur ein Werkzeug. Hinzu kommen: die offiziellen Auslandssender RT und Sputnik, in die jährlich viele Millionen Dollar investiert werden, Kreml-nahe Think Tanks und Kulturinstitute. Eine weiteres kaum zu überschätzendes Einflussmittel ist die gezielte Beeinflussung oder Bestechung von politischen, medialen, kulturellen und ökonomischen Eliten. Ein Beispiel ist unser ehemaliger Bundeskanzler Gerhard Schröder, der über Jahre mit mehreren Hundertausend Euro im Jahr auf der Gehaltsliste von russischen Staatskonzernen stand. Schröder ist kein Einzelfall: Unter den österreichischen Bundeskanzlern der vergangenen zwei Jahrzehnte gab es nahezu keinen, der nicht nach Ausscheiden aus dem Amt ein lukratives Job-Angebot aus Russland annahm. Und das, was investigative Journalisten aufdecken, ist nur die Spitze des Eisberges.
Wie analysieren Sie die Propaganda-Strategie in Ihrer Forschung?
Wir haben Zehntausende Treffer der Google-Suchmaschine und deren russischem Gegenstück Yandex ausgewertet und analysiert, wie Kreml-gesteuerte Verschwörungsmythen zur Corona-Pandemie in Suchmaschinen verbreitet werden. Ein Doktorand untersucht die Arbeitsweise der St. Petersburger Trollfabrik, die Hunderttausende Propagandabeiträge gegen die Politik des Westens veröffentlicht. Eine Doktorandin hat Verbindungen so genannten alternativen und rechtsextremen deutschen Medien wie Compact oder Politically Incorrect zu russischen Eliten erforscht. Eine andere Forscherin hat Interviews ausgewertet, die sie mit russischsprachigen Deutschen zu deren Mediennutzung geführt hat.
Werden Sie bedroht, wenn Sie sich öffentlich zur russischen Propaganda äußern?
Nach Interviews bekomme ich gelegentlich Emails, die mich beleidigen und mir mit Gewalt drohen. Solche Reaktionen führen dazu, dass sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der öffentlichen Kommunikation zurückhalten, was im Sinne der russischen Einflussnahme ist.
Theoretisch wäre es sogar möglich, dass Russland einen internationalen Strafbefehl gegen mich beantragt, der dann von einem befreundeten Staat vollstreckt werden könnte
Wie spüren Sie die Folgen?
Beispielsweise ist es für mich schwieriger geworden, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen – vor allem Russland die Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde als „extremistische Organisation“ eingestuft hat. Ich bin hier Mitglied, gelte damit – und wohl auch wegen meiner Kriegskritik – als Extremist. Damit kann nicht nur ich, sondern auch alle meine MitarbeiterInnen in Russland strafrechtlich verfolgt und zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt werden. Theoretisch wäre es sogar möglich, dass Russland einen internationalen Strafbefehl gegen mich beantragt, der dann von einem befreundeten Staat vollstreckt werden könnte. Brachiale Einschüchterungen wie diese sollten Wissenschaftler aber nach Möglichkeit nicht abhalten, nur so kann Wissenschaft authentisch bleiben.
Sie können, auch weil sie Kreml-kritisch forschen, also schon lange nicht mehr nach Russland reisen?
Richtig, das Risiko ist zu hoch. Das Umfeld ist derzeit für Forschende repressiver als zu Zeiten des Kalten Krieges. Damals war die Osteuropawissenschaft nicht in ihrer Gänze und pauschal als „extremistisch“ kriminalisiert. Leider fehlt momentan noch ein breites Bewusstsein dafür, dass hoch repressive Regime wie Russland oder China die internationale sozialwissenschaftliche Forschung enorm erschweren – und zudem die öffentliche Meinung und auch den internationalen wissenschaftlichen Diskurs geschickt in ihre Richtung lenken.
Forscher: EU sollte über Verbot von Musks Plattform „X“ nachdenken
Wie könnte dieses Bewusstsein für die geostrategischen Ziele Russland und die Methoden, um diese zu erreichen, sensibilisiert werden?
Die Zeitenwende, von der Bundeskanzler Olaf Scholz nach der russischen Invasion in die Ukraine gesprochen hat, zeigt sich mit Trumps zweiter Amtszeit erst in seiner ganzen Tragweite: Dass Trump, der seit Jahrzehnten mit russischen Oligarchen Geschäfte macht, noch einmal Präsident geworden ist, liegt auch an seiner digitalen Kommunikationsstrategie. Die Wahrheit spielt keine Rolle mehr, das Bild des starken Machthabers, der sich nimmt, was er will, und nationalistisch denkt, verfängt. Sein enger Berater Elon Musk lässt die Algorithmen seiner Plattform „X“ Verschwörungstheorien und Rassismus verbreiten. Europa sollte darüber nachdenken, wie sich von anti-demokratischen Akteuren kontrollierte Plattformen regulieren oder im Notfall blockieren lassen. Von der Ukraine können wir lernen, dass man in Situationen großer äußerer Bedrohung auch im Medienbereich hart regulieren kann. Die Ukraine hat bereits Ende der 2010er Jahre viele reichweitenstarke, aus Russland heraus kontrollierten sozialen Netzwerke, Suchmaschinen und Nachrichtenmedien blockiert. Maßnahmen wie diese haben sicherlich mit dazu beigetragen, dass die Ukraine als souveräner Staat heute noch existiert.
Deutschland oder die EU sollte also hart durchgreifen gegen die Autokraten?
Wir sollten die Aussagen rechtsextremer Akteure ernst und wörtlich nehmen. Vladimir Putin hat in den vergangenen Jahren immer wieder offen seine expansionistischen Ziele dargelegt. Auch führende Politiker rechtsextremer Parteien in Europa machen immer wieder recht deutlich, was ihre Geisteshaltung und Ziele sind. Wir sollten nicht daran zweifeln, dass sie diese in die Tat umsetzen wollen. Die EU muss in jedem Bereich überlegen, wie sie diesen Gefahren geschlossen und mit aller Härte des Rechtsstaates begegnet – um unsere liberale Demokratien zu erhalten.
Zur Person: Prof. Dr. Florian Töpfl ist seit 2020 Inhaber des Lehrstuhls für Politische Kommunikation mit Schwerpunkt auf Osteuropa und die postsowjetische Region an der Universität Passau. In der Forschungsgruppe RUSINFORM erforscht er mit seinem Team seit fünf Jahren die Auswirkungen der Digitalisierung auf Russlands informationellen Einfluss im Ausland. In einem neuen Projekt, das im April 2025 startet, befasst er sich mit der Frage, wie Russland und andere Autokratien die Entwicklung von Large Language Models (LLMs), großen generativen Sprachmodellen, regulieren und kontrollieren. In diesen Tagen erscheint von ihm ein deutschsprachiger Beitrag in der Zeitschrift Osteuropa, der den Wandel der russischen Öffentlichkeit seit dem russischen Überfall der Ukraine beschreibt.