Die Frankfurter Buchmesse ringt in ihrer 75. Ausgabe damit, angemessen über die Krisen und Kriege unserer Zeit zu diskutieren.
Frankfurter BuchmesseWie viel „Aber“ verträgt der Diskurs?
Der Stand des Israeli Institute for Hebrew Literature auf der Buchmesse ist leer. Nur die Stellwände mit dem Logo stehen. Bücher, Menschen, Diskussionen sucht man hier vergeblich am ersten Tag der Frankfurter Buchmesse. Der Krieg zwischen der Terrororganisation Hamas und Israel sorgt auch in Frankfurt dafür, dass die Normalität weit entfernt ist.
Seit 75 Jahren sei die Buchmesse „ein Ort der Meinungsfreiheit, der Meinungsvielfalt und ein Ort des friedlichen Miteinanders der Kulturen der Welt“, hatte die Vorsteherin des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, Karin Schmidt-Friderichs, bei der Eröffnungspressekonferenz am Dienstag gesagt. Doch schon bei der Eröffnung stellte sich für viele die Frage, wie viel Streit die Buchmesse aushält.
Der slowenische Philosoph Slavoj Zizek sorgte mit seiner Rede für einen Eklat. „Ich verurteile uneingeschränkt die Attacke der Hamas auf die Israelis - ohne Wenn und Aber. Und ich gebe Israel das Recht, sich zu verteidigen und die Bedrohung zu zerstören“, so Zizek. Aber die Situation der Palästinenser werde zu wenig beleuchtet. Sobald man sage, es sei notwendig, den komplexen Hintergrund zu analysieren, werde man verdächtig, den Terrorismus der Hamas zu unterstützen oder zu rechtfertigen.
Offener Brief an die Messe kritisiert Verschiebung der Preisverleihung an palästinensische Autorin
Zizek beklagte ein „Analyseverbot“. Seine Vorredner hätten alle über Israel, aber niemand über die Palästinenser gesprochen. Die Entscheidung, die palästinensische Autorin Adania Shibli nicht auf der Buchmesse auszuzeichnen, halte er für „skandalös“.
In einem offenen Brief an die Buchmesse hatten auch mehr 600 Schriftsteller, Autoren und Menschen aus der Literaturbranche die Frankfurter Buchmesse dazu aufgefordert, palästinensischen Stimmen mehr Platz zu geben. Unterschrieben haben ihn die drei Nobelpreisträger Abdulrazak Gurnah, Annie Ernaux und Olga Tokarczuk und weitere prominente Namen wie Ian McEwan, Judith Butler und Eva Menasse.
Der hessische Antisemitismusbeauftragte Uwe Becker widersprach Zizek während seiner Rede lautstark und verließ zeitweilig den Saal. Er warf dem Slowenen unzulässige Vergleiche vor, was der Philosoph von sich wies. Er relativiere auch nichts.
Karin Schmidt-Friedrichs eröffnete die Messe im Anschluss „mit einem ganz klaren Bekenntnis zu Frieden, Toleranz und Respekt vor Israel - und mit einer Ablehnung des Wortes Aber“.
Bei einem Gespräch auf der Literaturbühne von ARD, ZDF und 3sat betonte Zizek am Mittwoch hingegen, das Wort „Aber“ sei wichtig für den Dialog. Anscheinend dürfe man es jedoch nicht mehr benutzen.
Zizeks Rede war auch am Mittwochmorgen Thema bei der Runde „In Sorge um Israel“. Dort sprachen die Schriftsteller Tomer Dotan-Dreyfus und Doron Rabinovici und der Leiter der Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel, sichtlich angefasst und doch erstaunlich ruhig und bedacht über den Krieg. Sie alle kennen Menschen, die bei den Terrorangriffen der Hamas getötet oder verletzt wurden. „Israel wird nie wieder so sein wie zuvor“, sagte Mendel. Alle drei beklagten, dass die Illusion, Israel sei ein sicherer Zufluchtsort für Jüdinnen und Juden, endgültig zerstört sei.
Bei den Massenmorden in Butscha oder Srebrenica sei auch nicht ständig nach einer Einordnung gerufen worden, sagte Mendel. Gleiches wünsche er sich nun als Reaktion auf die Taten der Hamas. Sie seien „ein Symbol für das absolut Böse“. Da müsse Zizek ihm nicht erzählen, das müsse kontextualisiert werden. Die mangelnde Solidarität entsetze ihn.
Tomer Dotan-Dreyfus betonte, der Philosoph habe viel Kritikwürdiges gesagt, aber in einem Punkt habe er recht. „Damit wir in Zukunft den Konflikt besser verstehen können und Lösungen finden, müssen wir fähig sein, die aktuelle Situation zu analysieren.“ Doch das sei ihm im Moment noch nicht möglich. „Wir können es nicht, weil wir so nah an der Sache sind.“ Er hoffe, dazu in der Zukunft wieder in der Lage zu sein.
Mendel betonte, als erster Schritt müsse das Existenzrecht Israels anerkannt und das auch ausgesprochen werden. „Wenn wir diese gemeinsame Grundlage haben, können wir über alles sprechen.“ Das betonte auch Doron Rabinovici. Die jüdische Existenz sei über Jahrhunderte in Zweifel gezogen worden, deshalb sei die Anerkennung elementar.
Die Kontroverse um Zizeks Rede hat auch dazu geführt, dass der Auftritt seines Heimatlandes Slowenien, das in diesem Jahr Ehrengast der Messe ist, zur Randnotiz wird. Der Pavillon ist im Vergleich zu den Auftritten vergangener Jahre sehr zurückhaltend gestaltet. Slowenien möchte alle Konzentration auf die Autorinnen und Autoren und deren Werke lenken.
Hohe Energie- und Papierkosten machen der Branche zu schaffen
Und neben all den großen weltpolitischen Fragestellungen muss es ja für die mehr als 4200 Aussteller aus 95 Ländern auch ganz normal weitergehen. Hohe Energie- und Papierkosten machen der Branche zu schaffen, die Zahl der kontinuierlichen Buchkäufer sinkt seit Jahren, die Konkurrenz durch andere Medien ist groß.
Da verwundert es nicht, dass die Messe in ihrer Jubiläumsausgabe neue Wege geht. In einem „Meet the Author“-Areal soll dank fester, vorab kostenlos buchbarer Timeslots „eine direkte Begegnung mit Ihrem Star garantiert“ werden. Treffen kann man dort unter anderem Verona Pooth, Sasha, Elke Heidenreich, Susanne Fröhlich und Guido Maria Kretschmer.
Und wer darauf wartet, kann sich die Zeit auf TikTok-Aktionsflächen vertreiben. Denn unter dem Hashtag BookTok sprechen gerade junge Leserinnen vor großen Fangemeinden über Literatur. BookTok gehört zu den wichtigsten Themen bei TikTok, der Hashtag hat mehr als 180 Milliarden Aufrufe auf der Plattform.
Aber die Kriege und Konflikte, über die es zu diskutieren gilt, gehen der Buchmesse nicht aus. Im Anschluss an die Diskussionsrunde über Israel stellte der Journalist Deniz Yücel unter anderem Kulturstaatsministerin Claudia Roth die Frage, welche Hoffnung es für Russland gebe. Diese betonte, alles Russische zu boykottieren, sei der falsche Weg. Die russische Sprache gehöre nicht Putin.
Die russische Menschenrechtsaktivistin Irina Scherbakowa, Gründungsmitglied der Menschenrechtsorganisation Memorial, die 2022 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, betonte: „Es gibt keine andere Chance, als dass Russland den Krieg gegen die Ukraine verliert. Wenn das nicht geschieht, sehe ich schwarz.“ Auch der in der Schweiz lebende Autor Michail Schischkin ist pessimistisch. Derzeit könne russische Kultur nur in der Emigration existieren.
Es sind düstere Zeiten, in denen die Frankfurter Buchmesse versucht, das Licht der Literatur in die Welt scheinen zu lassen.