Aviv Geffen ist einer der bekanntesten Musiker Israels. Solange es die Hamas gebe, sagt er, werde es in Israel keinen Frieden geben.
Israelischer Musik-Star Aviv Geffen„Es tut sehr weh, von Beerdigung zu Beerdigung zu gehen“
Herr Geffen, wie geht es Ihnen und Ihrer Familie in diesen Tagen?
Aviv Geffen: Körperlich geht es uns gut, aber als Nation sind wir durch das grausame Massaker der Hamas seelisch tief verletzt. Es tut sehr weh, von Beerdigung zu Beerdigung zu gehen, die schrecklichen Geschichten zu hören, die die Opfer durchmachen mussten, die Traurigkeit in den Augen der Angehörigen zu sehen. Mein älterer Sohn ist 16, er ist sich der Situation voll bewusst, mein jüngerer Sohn ist sieben, er versteht vieles nicht, spürt aber die traurige Realität. Was empfinden Kinder jetzt? Was macht der Terror und der Krieg mit ihnen? Das frage ich mich gerade ständig.
Wo waren Sie während der Terroranschläge der Hamas?
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Es kurz vor 6:30 Uhr morgens, als wir in unserem Haus in Tel Aviv von der ersten Sirene geweckt wurden. Um 8 Uhr wussten wir schon, dass es nicht nur der übliche Raketenalarm war, an den wir längst gewöhnt sind und der uns nur kurz in die Luftschutzräume gehen lässt. Weil die Sirenen nicht aufhörten zu schreien und plötzlich die Schreckensnachrichten kamen. Als ich erfuhr, dass Freunde von Freunden und Bekannte vermisst wurden, habe ich angefangen, ihre Fotos mit Kontaktnummer in meinen Social-Media-Accounts zu posten. Viele Influencer haben das auch gemacht. Von einigen habe ich erfahren, dass sie ihre Angehörigen auch dank meiner Nachrichten finden konnten – die meisten von ihnen erhielten später die schlimmstmögliche Nachricht.
Auch Aviv Geffens Freunde vom Hamas-Terror in Israel betroffen
Wie können wir uns Ihre Tage im Moment vorstellen?
Als schwierig, sehr schwierig. Und traurig. Der Sohn eines Freundes von mir wurde bei dem Massaker im Kibbuz Beeri abgeschlachtet. Zu wissen, was geschehen ist, mit weit mehr als tausend Menschen, die früher in denselben Straßen wie Sie gelebt haben, dieselbe Sprache sprechen wie Sie, Gesichter, die Sie täglich gesehen haben, das ist schwer auszuhalten. Kinder, Frauen, Männer und ältere Menschen wurden lebendig verbrannt, vor den Augen ihrer Familien enthauptet, abgeschlachtet, vergewaltigt oder entführt. Ich singe dieser Tage auf Beerdigungen, um den Menschen die letzte Ehre zu erweisen, die von der schrecklichen Terrororganisation namens Hamas abgeschlachtet wurden.
Gibt es noch so etwas wie einen Alltag?
Nein, es gibt keinen Alltag mehr, gar nicht. Die Straßen sind leer, die Gedanken sind von Ängsten und Sorgen erfüllt. Israel ist nicht mehr das Land, das es vor dem 07.10.2023 war. Keiner von uns ist mehr der, der er vorher war.
Was tun Sie gegen die Ohnmacht, die Wut, die Angst?
Ich versuche zu helfen, wo ich kann, sei es durch Spenden, durch Besuche bei Beerdigungen oder bei den Familien derer, die ermordet oder in den Hamas-Staat Gaza entführt wurden. Ich informiere mich über die Nachrichten und sorge dafür, dass es meinen Kindern möglichst gut geht.
Der Sänger wünscht sich, dass die Musikszene an Israels Seite steht
Für viele Menschen in Israel haben die Terroranschläge der Hamas Traumata aufgerissen. Das Gefühl der Sicherheit scheint verloren gegangen zu sein. Können Sie versuchen zu beschreiben, wie es für Sie persönlich ist?
Ich glaube, wir stehen alle noch zu sehr unter Schock, so ist es zumindest bei mir. Das Trauma wird erst nach dem Krieg richtig aufbrechen.
Sie haben in einem Social-Media-Account internationale Stars wie Billie Eilish, Coldplay oder die Rolling Stones mit einem Hashtag versehen und gebeten, sich an die Seite Israels zu stellen. Was erhoffen Sie sich von der internationalen Musikszene?
Ich wünsche mir, dass die Musikszene ohne Wenn und Aber an der Seite Israels steht. Babys wurden vor den Augen ihrer Eltern enthauptet, Familien wurden gefesselt und bei lebendigem Leib verbrannt. In dieser Situation darf es kein „aber“ geben. Die Hamas sind keine Kämpfer für die Rechte der Palästinenser. Wie kann die Vergewaltigung und Enthauptung unschuldiger Menschen, die in Frieden mit ihren Nachbarn leben wollen, die Rechte der Palästinenser fördern? Das tut es nicht. Die Hamas ist eine Terrororganisation, deren einziges Ziel Blut ist, Hass und Gewalt, nicht Freiheit. Es ist eine Organisation von blutrünstigen Terroristen.
Das Motto des Festivals, bei dem mindestens 260 Menschen von der Hamas ermordet und mehr als 100 als Geiseln genommen wurden, lautete „Freunde, Liebe, grenzenlose Freiheit“. Glauben Sie, dass die Terroristen absichtlich ein solches Fest der Freiheit angegriffen haben?
Nein. Sie haben angegriffen, weil sie unschuldige Israelis töten wollten, genauso wie sie die Kibbuzim, Sderot und Ofakim angegriffen haben, wo sie Familien abschlachteten und Dinge taten, für die es nur ein anderes Beispiel in der Geschichte gibt: die Nazis.
Der Popstar hat seine Meinung zum Siedlungsbau im Westjordanland geändert
Ihr Lied Livkot Lecha wurde zu einer Friedenshymne, nachdem Yitzhak Rabin 1995 ermordet wurde. Sie waren wohl der letzte Mensch, der Rabin die Hand geschüttelt hat. Rabin war ein Kritiker der Siedlungsbewegung im Westjordandland – genau wie Sie. Vielen Jahre haben Sie sich für die Versöhnung von Juden und Palästinensern eingesetzt und die Israelis aufgefordert, die Siedlungsgebiete zurückzugeben. Seit einem Jahr treten Sie in den Siedlungsgebieten auf – auch an der Seite ultraorthodoxer Juden, die sich auf die in der Bibel beschriebene Befreiung von Judäa und Samaria berufen. Sie haben sich für Ihre früheren Äußerungen entschuldigt, in denen Sie die Siedler scharf kritisiert haben. Wie kam es zu der Kehrtwende?
Erstens hat Rabin tatsächlich viele Straßen im Westjordanland gebaut – zu diskutieren, wie er zum Siedlungsbau stand, würde den Rahmen sprengen. Zweitens kann ich Menschen und ihre Haltung immer kritisieren und werde das auch weiterhin tun – ich denke aber heute wahrscheinlich mehr als früher, dass die Musik für alle da ist und Boykotts selten etwas bringen. Nur durch Gespräche lassen sich Probleme lösen – nicht, in dem man sich abwendet. Die Orte im Westjordanland, an denen ich aufgetreten bin, sind übrigens keine Orte von Extremisten, wie Sie sagen. Ich dulde keinen Extremismus, egal von welcher Seite.
Uri Dromi, der früher als Rabins Sprecher fungierte, kritisierte Ihre Entschuldigung an die Siedler. „Rabin muss sich im Grab umdrehen. Das Letzte, was Rabin tun würde, wäre es gewesen, vor den Siedlern in die Knie zu gehen. Ich bin mir sicher, er hätte etwas Scharfes dazu gesagt“, wurde er zitiert. Was würden Sie zu ihm sagen?
Rabin war Befehlshaber der Streitkräfte während des Sechstagekriegs, als Israel das Westjordanland besetzte. Er ließ Straßen und Siedlungen bauen, während er den Frieden mit den Palästinensern förderte. Die Zeiten haben sich geändert. Heute ist Frieden in Israel mit der Hamas, einem Verbündeten des IS, leider keine Option mehr. Wir müssen uns um den Frieden, die Einheit im eigenen Land kümmern – das ist schwer genug.
Sie waren früher ein bekennender Atheist und Säkularist. Hat sich auch das geändert?
Nein, ganz und gar nicht. Ich bin immer noch Atheist, und ich glaube an die Religionsfreiheit. Die Menschen können glauben, woran sie wollen, und dürfen dafür nicht diskriminiert werden.
Geffen diente nicht in der Armee
Woran können Sie nach den letzten Tagen noch glauben?
Ich glaube an unser Volk, ich glaube, dass wir trotz der Opfer und tiefen Verletzungen weitermachen werden und wir den Krieg für alle, die wir verloren haben, gewinnen werden.
Sie haben nicht in der Armee gedient – und die Armee einst als „Todesverteidigungseinheit“ bezeichnet. Würden Sie heute Militärdienst leisten?
Ich konnte damals wegen einiger Rücken-Operationen keinen Militärdienst leisten und wurde ausgemustert. Heute arbeite ich freiwillig und unentgeltlich für die Streitkräfte. Ich habe in den vergangenen zwei Jahren mehrfach für das Militär gespielt und bin heute überzeugter denn je, dass Israel nichts dringender braucht als eine starke Armee. Meine Kinder werden natürlich auch dienen, keine Frage.
Hass erzeugt neuen Hass. Gewalt führt zu neuer Gewalt - diese Gleichung gilt im Nahen Osten seit vielen Jahrzehnten. Jetzt herrscht wieder Krieg. Es wurden mehr Juden ermordet als jemals zuvor seit dem Holocaust, und die Offensive in Gaza hat gerade erst begonnen. Sehen Sie einen Ausweg?
Ich glaube, dass eine Welt ohne die Hamas eine sicherere Welt ist, die Terroristen benutzen Zivilisten als menschliche Schutzschilde. Wir versuchen zu vermeiden, dass unschuldige Menschen getötet werden – es ist traurig und zynisch, dass die Hamas die Zivilisten jetzt dazu aufruft, in ihren Häusern zu bleiben.
Was kann die Musik, was kann die Kunst jetzt tun?
Zu Israel und dem jüdischen Volk stehen. Lasst das Licht durch die Dunkelheit scheinen, unterstützt die Seite, die sich für die Rechte von Frauen und LGBTG einsetzt, und nicht die Seite, die unschuldige Zivilisten enthauptet, vergewaltigt und lebendig verbrennt, wobei sie von bösartigen Regimen wie Iran und Nordkoreas unterstützt wird.
Zur Person
Aviv Geffen (50) ist einer der bekanntesten Rock-Musiker Israels. Sein Lied Livkot Lecha (To cry for you), in dem er den Mord am damaligen israelischen Ministerpräsidenten Jitzchak Rabin bei einer Kundgebung in Tel Aviv verarbeitete, wurde zur Friedenshymne. Geffen hatte Rabin kurz vor dem Anschlag begrüßt. Er stand, während die tödlichen Schüsse fielen, vier Meter entfernt. Geffens Vater ist der israelische Dichter Jonathan Geffen, sein Onkel war Mosche Dajan, Verteidigungsminister während des Jom-Kippur-Krieges. Aviv Geffen hat sich über viele Jahre für die Aussöhnung von Juden und Palästinensern und die Rückgabe der Siedlungsgebiete im Westjordanland engagiert. Inzwischen tritt er in den Gebieten der Siedler und vor den israelischen Streitkräften auf.
Zum Autor
Uli Kreikebaum hat Aviv Geffen vor sieben Jahren während einer Europa-Tournee in Köln kennengelernt. Im Jahr 2017 besuchte er ihn in Israel. Seinerzeit trat Geffen mit dem iranischen Musiker Shahin Najafi in Tel Aviv auf.