Ein Buch über mittelalterlichen Tierdarstellungen im Kölner Museum Schnütgen sucht Wege aus dem Schlachthaus der Schöpfung.
Freitags nur FischEin schöner Bildband über die Raubtiernatur des Christentums
Das menschliche Verhältnis zum Tier ist facettenreich, aber niemals unschuldig. Der Spielgefährte zu Hause, die Kuh im Stall, das Pferd auf der Rennbahn, der Leopard in der Savanne: Auf die eine oder andere Weise sind sie allesamt Nutztiere, weil sich der Mensch bevorzugt im Gegensatz zum Kreatürlichen definiert. So kann die Darstellung von Tieren gleichermaßen Spiegel, Experiment oder Trophäensammlung sein; Schaulust spielt dabei aber immer eine Rolle.
In der Sammlung des Kölner Museums Schnütgen springen einem die Tiere selten sofort ins Auge. Oft muss man den Blick über die steinernen Skulpturen und Holzschnitzereien schweifen lassen, bis man ihnen, etwa unter dem Fuß einer Madonna oder auf einem Chorgestühl, begegnet. Aber sie sind da, als natürliche Teile des mittelalterlichen Lebens und als treuer Bewohner der christlichen Vorstellungswelt. Die Bibel kennt nicht nur Opferlämmer und Evas Schlange, Drachen und andere Fabeltiere, sondern auch die Passagiere der Arche Noah. An Bord des Rettungsboots stellte Gott noch einmal den paradiesischen Frieden unter Fleisch- und Pflanzenfressern her. Allerdings wohl nur, damit die Menschheit nach Ablaufen der Sintflut ausreichend tote Tiere auf dem Teller hat.
In der Sammlung des Kölner Museums Schnütgen springen einem die Tiere selten sofort ins Auge
Im Kölner Greven Verlag erscheint jetzt ein schöner, aus einem Forschungsprojekt erwachsender Bildband, der die Tierdarstellungen im Museum Schnütgen explizit aus dem Blickwinkel der Tierrechte betrachtet. Im Titel „Krallen, Federn, Drachenblut - Tiere in der Kunst des Mittelalters“ klingt davon wenig an. Aber liegt die Frage, wie Christen das massenhafte Leid und Töten von Mitgeschöpfen vor sich und ihrem Glauben rechtfertigen können, nicht ohnehin auf der Hand? Die Bibel liefert auch in dieser Hinsicht manch billige Ausflucht, von denen jedoch selbst der Auftrag, sich die Erde untertan zu machen, im Sinne der Tiere ausgelegt werden kann: Statt als herrischer Ausbeuter wäre der Mensch demnach als Heger und Pfleger von Gottes Schöpfung ausersehen.
Im Buch schleicht sich das Thema langsam an. Der Theologe Gregor Taxacher führt zunächst in die Bedeutungsgeschichte der tierischen Darstellungen im Mittelalter ein, mit all den Verkörperungen des Bösen und Heiligen und den Symboltieren tugend- oder frevelhafter Eigenschaften. Die bei mittelalterlichen Künstlern so beliebten Drachen und Ungeheuer, erfahren wir, fungierten oft als Abwehrzauber, der den Teufel vom Betreten einer Kirche oder vom Bad in der Taufschale abhalten sollte. Der berühmte „Wilde Mann“ aus der Schnütgen-Sammlung, die Holzfigur eines Manns im Fellkleid, stehe hingegen für die „tierische“ Triebnatur des Menschen, die es zu überwinden gelte, um nicht der ewigen Verdammnis anheimzufallen. „Kann Erlösung nur Abtrennung vom Dunklen in und um uns bedeuten?“, fragt Taxacher. „Oder müsste wahre Erlösung nicht diese Trennung selbst heilen, in und zwischen den Lebewesen?“
Gerade das Angesicht der Tiere hält für Christen und Theologen (aber nicht nur für diese) eine unangenehme Erkenntnis bereit: Die von Gott geschaffene Natur ist grausam. Taxacher zitiert die US-Philosophin Christine Korsgaard, bei der die Schöpfung einem „Mastbetrieb“ gleicht, der „Milliarden kläglicher, kurzlebiger Geschöpfe produziert, nur um einige wenige andere zu ernähren“. Von diesem Zyklus von Fressen und Gefressen-Werden ist lediglich der moderne Mensch ausgenommen: Die Krone der Schöpfung sitzt auf der Spitze der Ernährungspyramide.
Für die Theologin Simone Horstmann definiert sich der moderne Mensch nicht zuletzt als „uneaten eater“, als Fleischesser, der selbst nicht gegessen wird. Im Mittelalter ließ sich diese Trennung noch nicht so einfach ziehen, denn damalige Menschen mussten durchaus fürchten, auf der Speisekarte einheimischer Raubtiere zu stehen. In den zahllosen Todesdarstellungen finden sich allerdings keine angenagten Knochen – nur Maden, Käfer und Würmer dürfen sich auf Memento-Mori-Darstellungen am Fleisch des Menschen laben, so Horstmann. Dadurch sollte die Zumutung der Sterblichkeit wenigstens gemildert werden. Die Möglichkeit, als Mensch zu den Beutetieren zu gehören, wurde hingegen verdrängt, um das christliche Stufenmodell der Schöpfung nicht zu beschädigen. In dieser „scala naturae“ sei alles auf die menschlichen Bedürfnisse ausgerichtet; das Gras wächst, damit es von der Kuh gefressen werden kann, und die frisst das Gras, damit sie schön saftig wird und besser schmeckt.
Laut Horstmann stand der Mensch zwar nicht an der Spitze der „scala naturae“, aber weder die ihm übergeordneten Engel noch Gott hätten „allzu große Gelüste nach menschlichem Fleisch“ gekannt. Dieser Heißhunger wurde an den Höllenschlund delegiert, der Teufel tritt im Mittelalter als unersättliches Untier auf. Eine solche Bestie haben die Autoren im Schnütgen auf einem dreiteiligen Glasfenster Hans Gitschmanns ausgemacht. Sie besteht praktisch aus nichts als Schlund und Zunge, wird aber von der heiligen Margareta, die sich einem Vergewaltiger erfolgreich entziehen konnte, zum Bettvorleger degradiert.
Heute verbreitet vor allem das menschliche Raubtier Angst und Schrecken unter den Geschöpfen
Heute verbreitet vor allem das menschliche Raubtier Angst und Schrecken unter den Geschöpfen – und auf christlichen Bildern lernen wir, Tiere als etwas Essbares zu betrachten. Horstmann äußert die vage Hoffnung, dass wir dies am Beispiel uns fremd gewordener mittelalterlicher Tierbilder wieder verlernen könnten. Weil wir uns vor ihnen die Frage stellen müssen: Was sehe ich, wenn ich ein Tier sehe?
Ein Zurück in den „veganen“ Paradiesgarten, in dem kein Lebewesen das andere frisst, gibt es bekanntlich auch in der Bibel nicht; der desillusionierte Gott verbot seinen Geschöpfen lediglich, die eigene Spezies zu essen (woran sich auch nicht alle halten). Gegen die Idee, Raubtiere zu zähmen und ihrer Beute zu entwöhnen, rebellieren vor allem die Tierrechtler. Aber entlässt dies das Raubtier Mensch aus der Verantwortung?
Das Tier mag der beste Freund des Menschen sein, umgekehrt gilt dies jedoch nicht einmal annähernd. Die Verwertungskette, die der Mensch für die tierische Kreatur geschaffen hat, ist gerade in ihren scheinbar unvereinbaren Gegensätzen lückenlos. Immerhin ist die christliche Kirche vielleicht schon weiter, als sie selbst ahnt: Was ist das Brot beim heiligen Abendmahl anderes als ein Fleischersatzprodukt?
Thomas Ruster, Simone Horstmann, Gregor Taxacher: „Krallen, Federn, Drachenblut - Tiere in der Kunst des Mittelalters“, Greven Verlag, 160 Seiten, 69 Abbildungen, 40 Euro.