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Gefeiert, vergessen, wiederentdecktMit dem Fotografen Horst H. Baumann durch die rasende Nachkriegszeit

Lesezeit 4 Minuten
Fotografie eines grünen Rennautos, das durch die Geschwindigkeit verwischt und verzerrt wird.

Die Aufnahme „Jim Clark auf Lotus, Großer Preis von England, Silverstone 1963“ von Horst H. Baumann ist im Kölner Museum für Angewandte Kunst zu sehen

Fotografen wie Horst H. Baumann waren selten in der deutschen Nachkriegszeit. Wurde er deswegen vergessen? Jetzt wird sein Werk im Kölner Museum für Angewandte Kunst aus der Versenkung geholt.

Jeder stürzt sich auf seine eigene Art ins Unglück – bei Horst H. Baumann war es die Liebe zur modernen Kunst. In den 1960er Jahren war der Düsseldorfer Fotograf zu einem der Großverdiener seiner Zunft in Deutschland aufgestiegen, für die Kölner Zeitschrift „Twen“ reiste er um die Welt und porträtierte Stars wie Jane Fonda oder Juliette Greco. Schließlich glaubte Baumann, er habe als Fotograf alles erreicht, was es für ihn zu erreichen gebe. Er verlegte sich auf Lichtkunst, verblüffte 1970 die Kollegen auf der Kölner Photokina mit einem „Videodom“ und wurde 1977 mit einer seiner Laserlichtskulpturen zur Documenta eingeladen.

Mit dem „Lichtzeitpegel“ (1981) für den Düsseldorfer Rheinturm verließ Baumann das Künstlerglück. Die senkrechte, aus Lichtpunkten gebildete Dezimaluhr ruinierte ihn so gründlich, dass in der Folge, so erzählt es der Kurator Hans-Michael Koetzle, auch seine Ehe in die Brüche ging. Die Kunstwelt verlor bald darauf das Interesse an Baumanns Laserkunst, und in die Welt der Fotografie wollte er offenbar nicht zurück. Als Koetzle seine erstaunlichen Aufnahmen entdeckte, war ihr Schöpfer vergessen und verarmt. Baumann starb 2019 im Alter von 84 Jahren - zu früh, um die von Koetzle arrangierte Wiederentdeckung seines fotografischen Werkes zu erleben.

Horst H. Baumann starb vergessen und verarmt in Düsseldorf

Nach der Premiere im Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museum ist „Apropos Visionär“, die dem Fotografen Horst H. Baumann gewidmete Retrospektive, jetzt für fünf Monate im Kölner Museum für Angewandte Kunst zu sehen. Koetzle hat sie mit Originalabzügen aus dem Nachlass sowie der eigenen Sammlung bestückt – und für Köln neu arrangiert. Am Anfang der Ausstellung hängen jetzt Bilder, die Baumann auf der Photokina zeigen, darauf folgen seine Aufnahmen von Kriegsruinen. Hier zeigt sich bereits seine Vorliebe dafür, scheinbar nebensächliches in den Vordergrund zu rücken: Die Domspitzen versteckt er hinter Dachfirsten, einige Kinder verlieren sich am Rand einer urbanen Wüstenei und das Bild eines Häuserschattens auf einem Dach ist beinahe abstrakt – in der Wirklichkeit verankert es lediglich der schmale Streifen einer Fensterzeile.

Koetzle sieht in Baumann einen der wenigen deutschen Autorenfotografen der Nachkriegszeit – vergleichbar mit dem Kölner Chargesheimer und Will McBride, einem „Twen“-Kollegen. Tatsächlich scheint sich Baumann kaum für das journalistische Sehen interessiert zu haben, das die Dinge auf den ersten Blick erklärt. Bei ihm wird ein Motiv vor allem durch den Bildaufbau interessant, sieht man von seinen Kinderaufnahmen ab. In den Gesichtern der Nachkriegskinder findet er Staunen, aber vor allem Misstrauen gegenüber einer Welt, die sich allzu lange als feindlich erwiesen hat.

Kinder stehen staunend vor einem Karussell auf dem Rummelplatz

Kinder fotografierte Horst H. Baumann immer wieder. Seine Aufnahme „Am Karussell“ entstand 1957

Baumann machte nicht nur diese Bilder ohne Auftrag, „für die Schublade“, wie Koetzle sagt. Seine Aufnahmen einer spanischen Osterprozession entstanden während seiner Hochzeitsreise, die spitzen Mützen der Gläubigen arrangierte er zu einem gespenstischen Schattenspiel. Eine Gruppe Nonnen wird bei ihm zu einem grafischen Muster, weiße Schleier auf schwarzem Grund, und die Silhouette eines Sprungturms im Hallenbad zum Bühnenbild vor Stadtlandschaft. Man kann sich lebhaft vorstellen, wie deutsche Bildredakteure dankbar ablehnten – bis Willy Fleckhaus visuelles Futter für „Twen“ oder eine längst vergessene Gewerkschaftspostille namens „Aufwärts“ brauchte.

Allerdings wusste sich auch Baumann später zu verkaufen. Er stieg mit Bergarbeitern unter Tage und diente seine Nahaufnahmen dem Bergbauunternehmen an; seine Farbexperimente wurden dankbar von der Werbeabteilung von Agfa unterstützt, und für einige Jahre war er offiziell bestellter Fotograf für Fiat. Hier verband er das Nützliche mit seiner Neigung zu Bewegungsunschärfe, ein Stilmittel, auf das er bei der Basler Fastnacht ebenso virtuos zurückgriff wie beim Kreisverkehr der Formel Eins. Den „neuen Matadoren“ des automobilen Rennsports widmete er 1965 sein einziges Fotobuch und kostete dessen Sensationen in Farbe aus.

Danach verfiel Baumann dem trügerischen Charme von Künstlern wie Nam June Paik und kehrte der Fotografie den Rücken. Für Koetzle kam er schlichtweg 20 Jahre zu früh, vielleicht wäre er seinem künstlerischen Anspruch an die Fotografie weiter gefolgt, hätte es schon einen Markt, Kuratoren und Museen dafür gegeben. Allerdings unterscheidet Baumann eines von Zeitgenossen wie Chargesheimer, die für ihre Arbeit das Fotobuch als Medium nutzten. Daran war er entweder nicht interessiert oder ihm fehlte der nötige lange Atem, die hartnäckige Faszination für ein Thema, um einen solchen Roman in Bildern zu erzählen.


„Apropos Visionär. Der Fotograf Horst H. Baumann“, Museum für Angewandte Kunst, An der Rechtschule 7, Köln, Di.-So. 10-18 Uhr, bis 28. Januar 2024. Der Katalog zur Ausstellung ist im Steidl Verlag erschienen und kostet 48 Euro.