Der Bildband „Fotografen sehen Köln“ hebt einen Schatz unbekannter Aufnahmen aus dem Rheinischen Bildarchiv.
„Fotografen sehen Köln“Ikonische und seltene Aufnahmen aus 100 Jahren Stadtgeschichte
Als Bildhauer gehörte Ernst Altmann (1861-1952) zu den Menschen, die nicht nur von Natur aus, sondern auch von Berufs wegen räumlich sehen. Vielleicht beließ es der zugereiste Kölner deswegen nicht dabei, sich selbst bei jeder Gelegenheit vor Sehenswürdigkeiten zu fotografieren – er wollte mithilfe der Stereofotografie in echten „Raumbildern“ posieren. Also erwarb Altmann eine Kamera mit zwei Objektiven, die das gleiche Bild zweimal, aber leicht versetzt aufnimmt und auf diese Weise dem menschlichen Augenpaar anpasst. Um die Bilder in Stereo zu sehen, musste er sich nur noch einen Guckkasten vors Gesicht halten – die VR-Brille der Schwarzweiß-Fotografie.
964 dieser Stereoaufnahmen sind im Rheinischen Bildarchiv in Köln erhalten – sie zeigen Altmann im eigenen Atelier, auf Reisen in Venedig oder vor dem frischen Grab seiner verstorbenen Ehefrau. Offenbar führte der Bildhauer, mit der Kamera stets per Draht verbunden, ein fotografisches Tagebuch per Selbstauslöser; auf einem etwas gruseligen Stereobild steht er für die seiner Frau zugedachte Grabfigur Modell.
Ein Gang durch die Bildgeschichte der Stadt Köln
Leider konnte Johanna Gummlich, Leiterin des Rheinischen Bildarchivs, nur einen schmalen Auszug aus Altmanns Selfie-Sammlung in ihren Bildband „Fotografen sehen Köln“ aufnehmen – was sind schon 964 Doppelbilder in einer Sammlung, die seit 1926 auf 5,6 Millionen Aufnahmen angewachsen ist? Und doch würde man gerne mehr aus diesem Leben sehen, das zum Glück nicht nur den passionierten Amateurfotografen und ferne Länder kannte, sondern auch ein Wasserflugzeug auf dem Rhein, die weihnachtlich geschmückte Hohe Straße oder über Köln aufsteigende Heißluftballons. Andernfalls hätte er es nicht in die vom Buchtitel vorgegebene Auswahl geschafft.
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Man kann den im Emons Verlag erschienenen Band auf zwei Weisen lesen: Als Gang durch die Bildgeschichte der Stadt, wie sie zahlreiche Fotografen zwischen 1875 und 1960 jeweils auf Glasnegativen festgehalten haben. Oder als ein Stück Fotografiegeschichte, die sich in den Aufnahmen spiegelt. Im ersten Fall hält man zu auf dem Titel in roter Farbe hervorgehobenen „Köln“; im anderen zu den Fotografen. Origineller und lohnender ist der zweite Weg.
„Köln wie es war“, diese Leitidee hat schon viele Bücher geprägt. Auch „Fotografen sehen Köln“ bietet in ihrem Geiste nicht unbedingt neue, aber immer wieder erstaunliche Einblicke in die sich wandelnde Stadt. Man sieht ein Köln ohne Straßenverkehr, mit Menschen, wo heute Autos fahren, und blühende Sonnenschirme vor dem Domportal. Man sieht, wie die alten Stadtmauern geschleift werden, damit sich die damals noch prachtvolle Ringstraße ausdehnen kann, wie die vergessenen Domtürme in den Himmel wachsen, neue Stadtviertel entstehen, wie dann alles in Trümmern liegt und sich die Stadt als moderne neu erhebt. Das passt, auch weil das Rheinische Bildarchiv seit jeher die wichtigste Quelle des Stadtkonservators ist.
Das früheste vom Krieg zerstörte Haus im Band wurde bereits 1918 aufgenommen - als Opfer einer britischen Bombe. Heute erscheint das Bild als Menetekel dessen, was noch kommen sollte. Trotz solcher stadtgeschichtlicher Lektionen empfiehlt sich eher der fotohistorische Blick ins Buch, das einem aus dem schier unerschöpflichen Reservoir unbekannter Amateur- und Berufsfotografen interessante Figuren wie Erich Altmann oder Heinrich Ewertz näherbringt. Ewertz, von Beruf Volksschullehrer, machte die von den Gebrüdern Lumière entwickelte Autochromie zu seinem Hobby und avancierte so zum kölnischen Pionier der Farbfotografie. Bei der Autochromie werden die Glasnegative mit Silberbromid-Gelatine bestrichen, die wiederum orangerot, grün und violett eingefärbte Kartoffelstärkekörnchen als Farbfilter enthält. Dabei entsteht eine frühe Form der Rasterfotografie – und bei Ewertz ein Köln, das sich aus Gärten, Blumenbeeten und rotberockten Frauen zusammensetzt.
Am Ende hinterlassen die bekannten Fotografen den tiefsten Eindruck
Johanna Gummlich und ihre Mitherausgeberin Katja Hoffmann haben das Buch in thematische Kapitel aufgeteilt und jedem Thema einen Fotografen zugewiesen. So lernen wir Emil Herrmann kennen, der lange ein Quasi-Monopol auf Kunstpostkarten im Wallraf-Richartz-Museum hatte, und Margarita Neiteler, im Brotberuf Röntgenschwester, die einzige Fotografin, die sich bei der oft schlechten Quellenlage identifizieren ließ. Sie dokumentierte, offenbar im Auftrag der Dombauhütte, nach 1945 die Reparaturarbeiten an der Kathedrale. Dabei gleicht ihre Innenaufnahme eines Baugerüsts einer Quadratur des Kirchenschiffs, und natürlich blickte Neiteler während der Arbeit vom Kirchendach über das zerstörte Häusermeer. Die Glasnegative stellte die Dombauhütte; vermutlich war bei den Aufnahmen eine Detailgenauigkeit gefragt, die modernere Plan- und Rollfilme nicht bieten konnten.
Am Ende dieses wie mit Ärmelschonern geschriebenen Buchs hinterlassen aber vor allem die bekannten Fotografen den tiefsten Eindruck – insbesondere wenn sie mit eher untypischen Bildern vertreten sind. Von Werner Mantz, dem Kölner Chronisten des Neuen Bauens, haben die Herausgeberinnen frühe, noch vor seiner Ausbildung entstandene Aufnahmen ausgewählt, darunter einige aus der Serie „Aus der Besatzungszeit“, die britische Soldaten im Offizierskasino zeigt oder das besagte im Bombardement des Ersten Weltkriegs zerstörte Haus.
August Sander darf mit seinem „Köln wie es war“ selbstredend nicht fehlen. Die Hohenzollernbrücke wird bei ihm zur grafischen Struktur, so sehr eine Ikone der modernen Ingenieurskunst wie der sachlichen Fotografie. Auch Sanders Aufnahme des damals umstrittenen Dischhauses gerät zur Verteidigung der Moderne: Die Fensterfront der runden Neubauecke harmoniert ganz prächtig mit den Fassadenlaufbändern der gegenüberliegenden Kirche St. Kolumba.
Ein ganz anderes Dischhaus ist freilich bei Hugo Schmölz, dem größten Architekturfotografen der Stadt, zu sehen. Er stapelte einzelne Motive zu einer expressionistischen Collage des 1930 gerade fertiggestellten Baus – und versendete sie als private Neujahrskarte. Bei diesem Jahreswechsel lag Köln auf halber Strecke zwischen Fritz Langs Metropolis und Berlin.
Johanna Gummlich, Katja Hoffmann (Hrsg.): „Fotografen sehen Köln – Glasnegative 1875-1960 aus dem Rheinischen Bildarchiv Köln“, Emons Verlag, 320 Seiten, 55 Euro