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Bildband zur „Neuen Sachlichkeit“So kölnisch war die Weimarer Republik

Lesezeit 4 Minuten

Heinrich Hoerles „Selbstportrait“ (um 1931), eine Abbildung aus dem besprochenen Band

Köln – Anfang der 1920er Jahre waren Franz Wilhelm Seiwert, Heinrich Hoerle und Gerd Arntz noch ziemlich dada. Das Kölner Dreigestirn gehörte zur kurzlebigen Künstlergruppe „Stupid“, doch nach wenigen Monaten wurde ihm der höhere Unernst offenbar zu blöd. Seiwert und Hoerle malten nun engagierte Arbeiterkunst in satten Farben und geometrischen Formen, der Graphiker Arntz verknappte den Alltag zu feinsinnigen Piktogrammen. Sie teilten dabei eine Neigung zum Mondgesicht, das Typische erschien ihnen als treffender Ausdruck der sozialen Realität.

Lange gehörten die „Kölner Progressiven“ zu den Randfiguren der deutschen Kunstgeschichte – es gab prominentere Vertreter der in der Weimarer Republik geborenen „Neuen Sachlichkeit“. Etwa George Grosz und Otto Dix, deren kalter, sezierender Blick auf die angeblichen Stützen der Gesellschaft in der Rückschau wie Menetekel der NS-Zeit wirkten; oder Fotografen wie Albert Renger-Patzsch, deren „tote“ Bilder von Industrieprodukten einen noch heute frösteln lassen. Erst in den 1970er Jahren fand das Politische im zeittypisch-kühlen Weimar-Realismus wieder größeres Interesse; seitdem erleben auch Seiwert, Hoerle und Arntz eine verdiente Renaissance.

Die kleinen „Kölner Progressiven“ im großen Centre Pompidou

Es ist trotzdem immer noch etwas ungewohnt, dass die kleinen „Kölner Progressiven“ jetzt mithelfen, die größten Hallen der europäischen Kunstwelt zu füllen. Gerade zeigt das Pariser Centre Pompidou eine üppige Schau zur Neuen Sachlichkeit, und im Bildband zur Ausstellung (auf Deutsch erschienen bei Schirmer/Mosel) ist wie selbstverständlich ein Kapitel für ihre „Kunst der sozialen Sinngebung“ reserviert. Allerdings profitieren die Progressiven dabei auch von der Freundschaft zum Kölner Fotografen August Sander. Dessen Porträtserie „Antlitz der Zeit“ dient den Kuratoren als roter Faden durch die labyrinthische Weimarer Kunstwelt.

So sieht man im Bildband jetzt also ein mondgesichtiges Selbstporträt von Heinrich Hoerle (der Mond steht in seiner orangenen Phase) und daneben Sanders Aufnahme von Hoerle – zieht man die Farbe ab, schrumpft der Unterschied auf ein erstaunlich geringes Maß zusammen. Alles in allem werden 200 Sander-Porträts gezeigt, vor allem moderne Großstadtmenschen, vom Künstler über den Hausierer bis zur lässig rauchenden Sekretärin des Westdeutschen Rundfunks. Sander ordnete sie nach Typen, das Individuelle spielte nur noch eine Nebenrolle. Letztlich wurde so der technische Blick der Fotokamera in eine Neusortierung der Gegenwart nach „Sachen“ übersetzt.

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Die Technik spielte für die Künstler der Neuen Sachlichkeit eine enorme Rolle – vielleicht war der Technikkult sogar das einzige, was ihre letztlich sehr verästelten Stilrichtungen verband. Besonders schön kam dieser Kult bei Carl Grossberg zur Geltung (auch wenn der kein Kölner, sondern Wuppertaler war). Grossbergs Bilder von Industrieanlagen und Fabrikhallen wirken mitunter wie technische Zeichnungen, manchmal aber auch geradezu sakral. Die Deutschen fand er geradezu unerträglich romantisch: „Sie sehen immer noch die grüne Wiese und die Kuh darauf als Ideal für alle Zeiten an.“

Wenn wir heute unsere Hoffnungen und Ängste in die digitale Technik legen, sind wir im Grunde Erben der Weimarer Republik. Selten zuvor und selten danach wurde der Technik ein derart großer Einfluss auf die Gesellschaft zugestanden, und entsprechend umkämpft war die Kunst, die sich als „Neue Sachlichkeit“ dem Glauben an den industriellen Fortschritt verschrieb. Ihr Kult der Präzision war ein Versuch, Halt auf dem schwankenden Boden der Wirklichkeit zu finden.

Die Weimarer Republik blühte unter der Dollarsonne auf

Nach dem Alptraum des Ersten Weltkriegs und den Turbulenzen der Nachkriegszeit sehnte ganz Deutschland einen neuen Anfang herbei. Aber warum versprach für so viele ausgerechnet die Technik diese Sehnsucht zu erfüllen? Wenige Jahre zuvor hatte diese schließlich auf den Schlachtfeldern Europas noch ihr volles Zerstörungspotenzial gezeigt.

Dieser verblüffende Mentalitätswandel entwickelte sich, nach einem geflügelten Wort der Zeit, unter der Dollarsonne. Die USA halfen der Weimarer Republik mit Milliardenkrediten aus, der folgende Aufschwung brachte nicht nur Millionen Menschen in Lohn und Brot, sie versorgte den Mittelstand auch mit Konsumartikeln wie Plattenspielern, Staubsaugern und Radios. Amerika wurde zum wirtschaftlichen Vorbild, insbesondere mit der fordistischen Hochlohnpolitik, und plötzlich schien die eben noch dämonische Technik soweit gebändigt, dass sie als verlässlicher Motor einer stabilen Gesellschaft galt.

An dieser „Fetischisierung der Technik“ entzündete sich schon in den 1920er Jahren viel Kritik, wie man überhaupt sagen muss, dass sich wenige neusachliche Künstler dafür interessierten, unter welchen Bedingungen die Industrie Waren und Wohlstand produzierte. Gerade in dieser Hinsicht verdienten sich die Kölner ihr „progressiv“. Zwar sehen die Arbeiten bei ihnen immer ein wenig nach Robotern aus. Aber das war eher als Anklage denn als Zustimmung gedacht.

Angela Lampe (Hg.): „August Sander und die Neue Sachlichkeit der 1920er Jahre in Deutschland“, 320 Seiten, 340 Abbildungen, Schirmer/Mosel Verlag, 78 Euro.