Harrison Ford wird 80Wie aus einem Verlierer ein Held wider Willen wurde
Köln – Als Harrison Ford 1964 nach Hollywood ging, war er einer von vielen: jung, attraktiv, nicht unbedingt mit Talent gesegnet. Für 150 Dollar die Woche spielte er kleine Rollen in Filmen, die er insgeheim verachtete und er ließ es die Leute, die ihm vielleicht auch zu besseren Jobs verholfen hätten, spüren. Er konnte sich einfach nicht verstellen. Keine guten Voraussetzungen, um es als Niemand in Hollywood zu schaffen.
Ein Dutzend Jahre später war Harrison Ford zwar kein Niemand mehr, aber immer noch einer von vielen. Er ging allmählich auf die 40 zu und hatte sich, um seine Familie zu ernähren, ein zweites Standbein als Tischler geschaffen. Als er Maß für die Möbel in Francis Ford Coppolas neuem Büro nahm, fiel für ihn eine Nebenrolle in dessen Film „Der Dialog“ ab; später folgte eine Minute in „Apokalypse Now“. Ansonsten hatte Ford einen Auftritt in George Lucas‘ nostalgischem Teenagerdrama „American Graffiti“ vorzuweisen – als großer Bruder der irrlichternden Jungs.
George Lucas wollte ihn nicht als Indiana Jones besetzen
Offenbar war Harrison Ford jemand, den die Hollywood-Wunderkinder (ein anderes Wort für Außenseiter) gerne um sich hatten. Ein lässiger Typ, der bei Frauen und Männern gleichermaßen gut ankam und lockere Sprüche machen konnte. Als Lucas eine endlose Reihe von Schauspielern für sein erstes „Krieg der Sterne“-Epos vorsprechen ließ, war Ford als Stichwortgeber dabei. Am Ende fiel wieder etwas für ihn ab: die Rolle des Han Solo.
Es war eine Rolle, wie für ihn gemacht, in einem Film, für den er zu alt, zu intelligent und zu bodenständig war. Während George Lucas seine vor dem Fernseher geformten Tagträume zur Religion erhob, schlüpfte Ford in die Rolle des Skeptikers, der im Lucas-Evangelium vor allem eine Abenteuergeschichte sah. Was blieb ihm auch anderes übrig, als die Sternenkriege mit Humor zu nehmen? Sein bester Freund war ein gutmütig brüllendes Fellmonster und seine Liebesdame trug die lächerlichste Frisur der Filmgeschichte zur Schau.
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Beinahe hätte Ford dann der „Star Wars“-Fluch ereilt – ein ewiges Leben als Sternenkrieger. Für die Heldenrolle des Indiana Jones wollte Lucas eigentlich Tom Selleck engagieren; erst als dieser absagte, durfte Ford, ohnehin Steven Spielbergs Favorit, nachrücken. Als archäologischer Schatzgräber stieg Ford zum erfolgreichsten Schauspieler seiner Epoche auf, ein serieller Leinwandstar, der es verschmerzen konnte, dass der heute legendäre „Blade Runner“ an den Kinokassen durchfiel.
Selten stieg jemand so hoch, der so lange in der Niederungen lebte. Vielleicht blieb Ford deshalb seiner Skepsis gegenüber Hollywood und der eigenen Berufswahl treu. Selbst Indiana Jones, seine Paraderolle, muss ihm seltsam vorgekommen sein, weil die Sehnsüchte, die Spielberg und Lucas mit ihr verbanden, nicht die seinen waren. Er war als Erwachsener in eine Kinderwelt geraten, ließ sich aber von ihren Wundern mitreißen. Man sah ihm das Vergnügen an Indianas Abenteuern an – jedenfalls solange alles ein Spiel blieb und er sich nicht mit Nazis duellieren musste.
Im seriösen Fach schien sich Harrison Ford unwohl zu fühlen
Im seriösen Fach schien sich Harrison Ford hingegen immer ein wenig unwohl zu fühlen. Er spielte einen Großstadtpolizisten, den es in eine friedliebende Amish-Gemeinde verschlägt („Der einzige Zeuge“), einen Aussteiger, der im Urwald seine Familie terrorisiert („Mosquito Coast“), den Hollywood-Traum aller Sekretärinnen („Die Waffen der Frauen“), Mordverdächtige, CIA-Agenten, den ewig flüchtigen Richard Kimble und sogar den US-Präsidenten – und das stets mit einer Zurückhaltung, als wäre es ihm unangenehm, sich für etwas auszugeben, was er nicht ist.
„Ich wurde Schauspieler“, sagte Harrison Ford einmal, „weil ich auf allen anderen Gebieten gescheitert war.“ Seine späten Erfolge verführten ihn aber nicht dazu, sich in der Heldenrolle zu gefallen. In seinen schlechteren Filmen machte er den Eindruck, sich am liebsten in einem Wookiee-Kostüm verstecken zu wollen; stattdessen fand er in der Skepsis die Antriebsfeder weiterzumachen. Seine Vorbehalte gegen strahlende Helden (auf der Leinwand und im Leben) sah man seinen Figuren selbst dann noch an, wenn sie unschuldig verfolgt wurden. Dabei ginge Ford auch privat durchaus als Vorbild durch. Seit Jahrzehnten engagiert er sich für den Umweltschutz, als Hubschrauberpilot war er an Rettungseinsätzen beteiligt; zuletzt machte er freilich eher mit Bruchlandungen von sich reden.
Im Grunde ist Harrison Ford der große Bruder seiner Generation geblieben. Jemand, auf den man sich verlassen kann und zu dem man aufsehen möchte, selbst wenn man seine Skepsis gegenüber Helden teilt. Und wer wollte es ihm verdenken, dass auch ihn, beinahe im Rentenalter, die Nostalgie ereilte und zu seinen Starrollen zurückkehren ließ? Als Indiana Jones zeigte er eine rüstige Leistung, als Han Solo wurde ihm der Wunsch erfüllt, den ihm Lucas noch verwehrt hatte. Er durfte sterben, und dass auch noch durch die Hand seines jüngeren Selbst.
In mittleren Jahren blühte Ford stets auf, wenn er seine Figuren ironisch funkeln lassen durfte. Jetzt sucht er sein Heil eher mit Auftritten aus dem Geisterreich. Sein weiser alter Rick Deckard in der „Blade Runner“-Fortsetzung war jedenfalls nicht ganz von dieser geschweige denn einer zukünftigen Welt. An diesem Mittwoch wird Harrison Ford 80 Jahre alt, sein nächster Indiana-Jones-Film ist für 2023 angekündigt. Das Abenteuer, das wir Leben nennen, geht für ihn einfach immer weiter.