Der kalifornische Multiinstrumentalist Cameron Lew alias Ginger Root gab im Mülheimer Club Volta sein Köln-Debüt. Unsere Kritik.
Ginger Root in KölnBloß keine Angst vorm Youtube-Algorithmus!
Zu den Unheimlichkeiten des modernen Alltags gehören jene Momente, in denen wir uns fragen, was genau die Algorithmen eigentlich über unser Leben wissen. Darüber rätselte jedenfalls ich, als mir Youtube eines Morgens ein Musikvideo für einen Song namens „Loretta“ empfahl. So heißt auch meine ältere Tochter. Hatte ich ihren Namen jemals bei YouTube eingegeben? Oder auch nur gegoogelt?
Das Unheimliche verpuffte angesichts der Freude: Sowohl der Song als auch seine optische Umsetzung gefielen mir sehr gut. Ginger Root nannte sich der Künstler, hinter dem Projektnamen verbarg sich ein gewisser Cameron Lew, ein kalifornischer Multiinstrumentalist asiatischer Abstammung.
Die Musik zitierte amerikanischen Yacht-Rock und japanischen City-Pop und war zugleich von einer überdrehten Funkyness, die sie vom bloßen Pastiche abhob. Er selbst spricht von „aggressivem Fahrstuhl-Soul“. Das Video zeigte den Künstler in sämtlichen Rollen einer Fernsehshow-Big-Band der 1970er Jahre, ein wenig wie in Paul McCartneys Clip zu „Coming up“ von 1980, aber offensichtlich mit bescheidenen Mitteln, aber viel Detailliebe selbst gebastelt.
Ginger Root begeister mit geschäftiger Nerdigkeit und trockenem Humor
„Loretta“ hält sich seitdem fest auf der Familien-Playlist und als Ginger Root am Montagabend sein Kölner Debüt im Mülheimer Club Volta gab, wollten die vermeintlich Angesungene und ich selbstredend dabei sein. Der Auftritt hielt, was der Algorithmus versprach: Cameron Lew ließ sich von einer Rhythmusgruppe aus zwei High-School-Freunden begleiten, Matt Carney und Dylan Hovis, die garantierten nicht nur durchgängig Tanzbarkeit, Hovis wechselte von supergut groovenden Bassläufen zu verzerrten Solopassagen, die klangen, als hätte er ein paar Saiten mehr zur Verfügung.
Ginger Root selbst konterte an seiner Keyboard-, Elektronik-, Gitarren-Station mit geschäftiger Nerdigkeit, sang in einen roten Telefonhörer, und charmierte mit bunten Video-Einspielern, die ihn als überforderten Grafikdesigner einer japanischen TV-Station in den 80ern zeigten und mit trockenem Humor.
Wir wären, lobte er, die deutscheste Menge, vor der er jemals gespielt habe. Völlig unnötigerweise fegte noch ein nicht minder hyperaktiver Kameramann über die Bühne und fing Musiker und Publikum, die im kleinen Club doch sowieso bestens zu sehen waren, in wackeligen Live-Bildern ein. So viel zur Schau gestellter Stress erzeugte, weil eben nur vorgeschützt, sogleich beste Laune. Und schließlich sagte Ginger Root den Song an, aufgrund dessen wahrscheinlich sowieso alle gekommen wären. Warum der Youtube-Algorithmus gerade „Loretta“ auf so viele Startseiten hochgespült habe, sei ihm selbst ein Rätsel.
Für mich aber war es die Lösung: Die Sache mit dem Vornamen war wohl nur ein Zufall. Aber ein unheimlich guter.