AboAbonnieren

Gottesdienst der SelbstliebeWarum Lizzo in der Lanxess-Arena weinen muss

Lesezeit 5 Minuten
Lizzo steht in einem blau glitzernden Einteiler auf der Bühne der Lanxess-Arena.

Überlebensgroß und doch ganz nahbar: Lizzo in der Lanxess-Arena.

Wer hier keine gute Laune bekommt, ist selbst schuld. Lizzo begeistert am Montagabend in der Lanxess-Arena.

Irgendwann muss auch die Hohepriesterin der Selbstliebe auf die Couch. Und die steht für Lizzo am Montagabend etwa nach der Hälfte der Show auf der Bühne. Einen Therapeuten braucht die 34-jährige Rapperin, Sängerin und Querflötistin dann aber doch nicht. Den Part erfüllt sie einfach selbst und macht ihr knapp zweistündiges Konzert in der Lanxess-Arena zu einer Therapiestunde für alle, die gekommen sind.

Ihre Botschaft ist eindeutig. Und damit es auch der und die Letzte versteht, wiederholt die Amerikanerin es wie ein Mantra in unterschiedlichen Facetten: Liebe dich selbst! Du bist schön! Und falls es dir heute noch niemand gesagt hat: Du bist etwas ganz Besonderes!

Das mag nun vielleicht alles ein wenig banal klingen, aber man muss nicht esoterisch angehaucht sein, um die Energie zu spüren, die diese Lektion in Selbstliebe in der nicht ganz vollbesetzten Halle auslöst. Wer bei diesen Texten, Botschaften und ihrer unwiderstehlich tanzbaren Musik keine gute Laune bekommt, ist selbst schuld.

Alles zum Thema Lanxess Arena

Rappen konnte sie schon immer, aber auch ihre Gesangsstimme hat enorme Kraft. Und zwischendurch spielt sie auch noch Querflöte, die sie übrigens nach Beyoncés Alter Ego Sasha Fierce, ihrem großen Vorbild, benannte.

Sie weiß, wie es sich anfühlt, Außenseiterin zu sein

Wenn man auf die Karriere der Frau schaut, die mit bürgerlichem Namen Melissa Viviane Jefferson heißt, versteht man schnell, dass der Weg zum Erfolg oft schmerzhaft war. Ihr wurde jahrelang gesagt, sie passe nicht in die Welt, in der sie einen Platz suchte.

Eine Frau wie sie, schwarz und dick, sieht nicht aus, wie man sich einen Popstar so vorstellt. Diven nannte man Sängerinnen wie Mariah Carey, Whitney Houston oder Celine Dion in den 1990ern. Fans blickten zu ihnen auf, weil sie eine beinahe göttliche Aura umgab.

Bei Lizzo ist das anders. Ihre Musik, ihr Songtexte, ihr Auftreten, alles ist immer verknüpft mit der Botschaft: Ich bin wie ihr. Ich kenne eure Dämonen. Und auch wenn sie heute die großen Hallen füllt, viel Geld verdient und weltweit gefeiert wird - man nimmt ihr ab, dass sie nicht vergessen hat, wie es sich anfühlte, eine Außenseiterin zu sein. „Bin ich bereit, geliebt zu werden?“, fragt sie deshalb in „2 Be Loved“. Der Erfolg ist da, die Unsicherheit bleibt.

Da verwundert es auch nicht, dass sie nach der Selbstvergewisserungs-Hymne „Special“ weinen muss. Sie habe sich morgens nicht gut gefühlt. „Aber ich wollte die Show nicht absagen. Ich wollte für euch performen. Danke, dass Ihr mich daran erinnert habt, dass ich besonders bin“, sagt sie und Tränen laufen ihr über die Wangen. Applaus brandet auf. Die Liebe, die sie aussendet, kommt zu ihr zurück. Denn auch wenn sie uns versichert, ihre eigene Seelenverwandte zu sein, Unterstützung braucht auch die stärkste Frau manchmal.

Und auch wenn ihr zum Schluss hin vermutlich wegen einer Erkältung die Stimme mitunter etwas versagt, hält sie durch und wird von den Fans getragen.

In der Arena ist heute jeder ein „big girl“

Vor gut drei Jahre, als sie zuletzt in Köln spielte, war es noch im Palladium und die Musik kam vom Band. Heute steht sie mit einer vierköpfigen Frauenband, einer DJ und zehn Tänzerinnen mit den unterschiedlichsten Körpern auf der Bühne.

So viele Dellen und Röllchen sieht man selten auf einer Bühne. Und man muss sich tatsächlich erst daran gewöhnen. Einfach, weil es so ungewohnt ist, weil hier niemand den Bauch einzieht, unsicher wirkt. In der Werbung, in Filmen, in Musikvideos werden wir mit einem Schönheitsideal konfrontiert, das die meisten nicht mal im Ansatz erfüllen können.

Lizzos Tänzerinnen sind größtenteils dick, aber es kümmert niemanden. Sie begeistern trotzdem mit einer unglaublichen Ausdauer, Ausstrahlung und Beweglichkeit. Warum auch nicht? Lizzo selbst trägt glitzernden, hautenge Outfits, twerkt selbstbewusst und wirbelt über die Bühne.

Rassismus, Misogynie und Fat-Feindlichkeit branden der Sängerin gerade im Internet ständig entgegen. Menschen glauben, ihr Aussehen, ihre vielen Fotos mit nackter Haut kommentieren zu dürfen. Ihr ist das egal. Sie lebt Diversität und hängt sich in der Arena eine Pride-Flagge um als Zeichen ihres Supports der queeren Community. Es ist eben nicht nur egal, wie du aussiehst, sondern auch, wen du liebst.

Männer, Frauen? In diesen Kategorien denken wir einen Abend lang nicht. Jeder im Saal sei ein „big girl“, ruft sie. Und die will sie am liebsten alle kennenlernen. Das erlebt man in der Arena auch eher selten, dass in den Weiten des Saals gezielt Besucherinnen und Besucher angesprochen werden. Lizzo nimmt sich die Zeit, lobt Outfits und Frisuren, und die Angesprochenen können ihr Glück kaum fassen.

Irgendwann lässt sich sie aus dem Publikum ihr anderes Lieblingswort bitch übersetzen, was eine Zuschauerin etwas zögerlich macht. In Deutschland sei sie dann eben 100-prozentig eine Schlampe, so wie sie es in „Truth Hurts“ besingt. Doch bei ihr ist das kein Schimpfwort, sondern Selbstermächtigung.

Als sie vor zwei Wochen bei der Grammy-Verleihung den Preis in der Kategorie „Record of the Year“ für ihren Hit „About Damn Time“ gewann, mit dem sie in Köln die Show beendete, widmete sie ihn in ihrer Dankesrede Prince. Nach dessen Tod habe sie beschlossen, positive Musik zu machen. Sie ist ihrem Vorhaben treu geblieben. Das hat sie in der Lanxess-Arena eindrucksvoll bewiesen.