Bei den US-amerikanischen Musikpreisen gewannen 2024 vor allem Künstlerinnen. Unsere Einschätzung.
66. Grammy-AwardsWarum Taylor Swift jetzt größer als Frank Sinatra ist – und Killer Mike verhaftet wurde
Höchste Zeit, die Grammys umzutaufen. In – Sie ahnen es schon – die Swifties. Taylor Swift gewann am Sonntagabend bei der 66. Ausgabe der US-amerikanischen Musikpreise den Grammy für das beste Album. „Midnight“, ihr zehntes Studioalbum, Neuaufnahmen nicht mitgezählt, zog damit an Alben von Olivia Rodrigo, Lana Del Rey, Boygenius, Miley Cyrus, Janelle Monáe und John Batiste – dem einzigen männlichen Konkurrenten – vorbei.
Und an Paul Simon, Stevie Wonder und Frank Sinatra. Die sind jeweils dreimal für das beste Album ausgezeichnet worden. Für Swift war es der vierte Sieg (und die sechste Nominierung) in der Königskategorie der wichtigsten Musikpreise der Welt.
Grammys: Céline Dion verkündet überraschend Preis für Taylor Swift
Damit ist sie – zusammen mit Beyoncé, aber dazu gleich mehr – die erfolgreichste Künstlerin (das müssen Sie als generisches Femininum lesen) in der Geschichte der Grammys. Swift zog ihre Freundin Lana Del Rey mit sich auf die Bühne der Crypto.com-Arena in Los Angeles - als Geste der Freundschaft, oder um die Mitbewerberin auf ihren Platz im Taylor-Hofstaat zu verweisen.
Sie ignorierte, wohl eher aus Aufregung, die andere Legende auf der Bühne: Die am sogenannten Stiff-Person-Syndrom erkrankte Céline Dion, die den Preis verkündet hatte. Und bedankte sich zuerst bei ihrem Produzenten Jack Antonoff. Der hatte zuvor bereits den Produzent-des-Jahres-Preis gewonnen, zum dritten Mal in Folge. Seine Karriere hat er zum großen Teil Swift zu verdanken.
Sie würde ja gerne behaupten, sagte Swift, dass dies der glücklichste Moment ihres Lebens sei. Aber sie fühle sich ebenso glücklich, wenn sie einen Song fertig geschrieben habe, oder den Code einer Bridge geknackt habe, ein Musikvideo konzipiere oder mit ihren Tänzern und Tänzerinnen und ihrer Band probe. Mit anderen Worten: die Arbeit selbst ist der Preis.
Niemand ist derzeit erfolgreicher als Taylor Swift, mit ihrer „Eras“-Tour hat sie bislang eine Milliarde Dollar eingespielt, es ist die lukrativste Tournee aller Zeiten. Und niemand ist fleißiger: In den vergangenen fünf Jahren hat Swift acht Alben veröffentlicht, die Neuaufnahmen ihres Frühwerks mit eingeschlossen. Als sie früher am Abend den Grammy für das beste Pop-Vokal-Album gewann, nutzte Swift ihre Dankesrede, um überraschend ihren neunten Langspieler zu annoncieren: „The Tortured Poets Department“ soll am 19. April erscheinen.
Rechte Verschwörer behaupten, Taylor Swift würde die Präsidentschaftswahlen manipulieren
Anschließend, raunen rechte Verschwörer, wird Swift die US-Wahlen zugunsten von Joe Biden manipulieren. Aber im Ernst: Die Diskussion, ob das nicht alles ein bisschen viel wird, ob Swifts Werk wirklich verdienstvoller ist als etwa das Stevie Wonders, wird nicht lange auf sich warten lassen. Auch, weil „Midnight“ nicht unbedingt den Höhepunkt ihrer Diskografie darstellt. Andererseits: 2014 war Swift für eines ihrer besten Alben, „Red“, leer ausgegangen.
Kritikerfavorit für das Album des Jahres war eindeutig „SOS“ von der Singer-Songwriterin SZA. Die war mit Nominierungen als Favoritin ins Grammy-Rennen gezogen, musste sich aber mit drei Gewinnen in Nebenkategorien zufriedengeben. Immerhin: für ihr Debüt „Ctrl“ war SZA 2018 fünfmal nominiert worden und konnte kein einziges goldenes Grammofon mit nach Hause nehmen.
Das erinnert an eine andere schwarze Ausnahmekünstlerin: Beyoncé hat in ihrer Karriere 32 Grammys gewonnen, mehr als Quincy Jones und Sir George Solti. Als Jay-Z am Sonntag den „Dr. Dre Global Impact Award“ entgegennahm, nutzte er als vorbildlicher Ehemann das Podium, um die Recording Academy zu schelten: „Ich will diese junge Dame nicht in Verlegenheit bringen“, sagte der Rapper mit Blick auf seine Frau im Publikum, „aber sie hat mehr Grammys als jeder andere und hat noch nie das Album des Jahres gewonnen.“ Im vergangenen Jahr musste sich Beyoncés ehrgeizige Clubkultur-Hommage „Renaissance“ gegen Harry Styles nettes „Harry’s House“ geschlagen geben. Eine ausgemachte Peinlichkeit.
Ähnliche Aufreger blieben 2024 aus. Grund zur Empörung hatte einzig der Rap-Veteran Killer Mike – bekannt als eine Hälfte des Hip-Hop-Duos Run the Jewels: Er wurde direkt nach seinem dreifachen Grammy-Gewinn von der LAPD in Handschellen abgeführt. Angeblich hatte er zuvor außerhalb des Veranstaltungsortes einen Security-Posten niedergeschlagen.
Rapper Killer Mike wurden nach drei Grammy-Gewinnen Handschellen angelegt
Es war, wie Moderator Trevor Noah in seinem Eingangsmonolog betonte, das Jahr der Frauen. Boygenius, die weibliche Supergroup aus Lucy Dacus, Julien Baker und Phoebe Bridgers, gewann nicht nur in der Kategorie „Best Alternative Album“, sondern überholte zudem beim besten Rock-Song die altehrwürdigen Rolling Stones. Die R’n’B-Sängerin Victoria Monét, seit Jahren im Hintergrund als Songschreiberin unter anderem für Ariana Grande tätig, gewann erwartungsgemäß den „Best New Artist“-Award. Miley Cyrus, die noch nie einen Grammy gewonnen hatte, wurde gleich mehrfach für ihren Hit „Flowers“ ausgezeichnet. Und auch Billie Eilish konnte gleich zwei Statuetten für ihren Song „What Was I Made For?“ vom „Barbie“-Soundtrack entgegennehmen.
Ihre zurückhaltende Performance der introspektiven Ballade im Duett mit ihrem Bruder Finneas O’Connell gehörte zu den besten Auftritten des Abends. Ebenso wie Luke Combs' Duett mit Tracy Chapman. Die legendäre Folk-Sängerin war seit Jahrzehnten nicht mehr in der Öffentlichkeit aufgetreten. Dem Country-Star Combs war 2023 mit seinem Cover von Chapmans „Fast Car“ einer der größten Hits des Jahres gelungen – ihm jetzt dabei zuzuschauen, wie er der Komponistin das Rampenlicht überließ, war einer der schönsten Augenblicke der Gala.
Getoppt nur von Joni Mitchells Debüt als Grammy-Performerin im Alter von 80 Jahren. 2015 hatte die Taylor Swift der 1970er Jahre nach einem Schlaganfall ihr Sprachvermögen verloren. Nun thronte Mitchell grinsend auf einem goldenen Sessel und gab, mit Unterstützung unter anderem von Brandi Carlile, „Both Sides, Now“ zum Besten, einen ihrer ersten Erfolge, vor allem in der Coverversion von Frank Sinatra. Im Publikum konnte man Dua Lipa, Beyoncé, Meryl Streep und Swift feuchten Auges zuschauen sehen.