Die amerikanische Sängerin SZA gab in der Lanxess-Arena ihr Köln-Debüt. Das löste beim Publikum ozeanische Gefühle aus.
Debüt des US-Superstars am RheinSZA liefert die beste Show des Jahres in der Kölner Arena
Solána Imani Rowe hatte ihr Studium der Meeresbiologie fast beendet, träumte von Forschungsreisen über alle Ozeane, als sie im letzten Semester die Delaware State University abrupt verließ, scheinbar richtungslos und die meiste Zeit high. Bis sie beschließt, ihre andere große Leidenschaft endlich ernsthaft zu verfolgen, die Musik.
Am Sonntagabend sitzt SZA, wie sich Rowe in ihrem professionellen Leben nennt, in der Lanxess-Arena am Rand eines ins Nichts ragenden Sprungbretts. Unter ihr wogen Wassermassen, blauer Nebel steigt auf. Singend ringt sie mit sich: „Ich wusste schon immer, dass alles gut werden würde“, gefolgt von: „Oh, ich wusste immer, dass es mit der Zeit schlimmer werden würde.“ Dann wirft sie das Mikrofon von sich und springt ins endlose Meer.
Letzteres selbstredend nur auf der LED-Wand, die sich im rechten Moment zwischen die Sängerin und ihre gut 13.000 Fans geschoben hat, aber der Effekt ist nahtlos, so überzeugend wie die hochauflösend projizierten Wellen im Hintergrund. Je größer die Auflösung, desto klarer die Metapher.
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Der Sprung ins kalte Wasser hat sich für SZA gelohnt
Dass sich der Sprung ins kalte Wasser gelohnt hat, dürfte hinlänglich bekannt sein. Nach ihrem gefeierten Debüt „CTRL“ ließ sich SZA fünfeinhalb Jahre lang Zeit für das zweite Album, eine Ewigkeit im Popgeschäft, doch der Ruhm der Amerikanerin stieg in dieser scheinbaren Auszeit stetig an. Sie sang mit ihrem damaligen Labelkollegen Kendrick Lamar auf „All the Stars“, der Single zum „Black Panther“-Film, sie kollaborierte mit allen möglichen Stars, von Justin Timberlake bis Doja Cat, von Beyoncé bis Phoebe Bridgers. Ihre vielfältige Anschlussfähigkeit hatte sie ja auf „CTRL“ bewiesen, ein R’n’B-Album, das die Grenzen des Genres stolz überschritt, in Richtung Rock, Rap, oder auch Indie-Folk, je nachdem, wonach die Beziehungsarbeit verlangt.
Und „CTRL“ hielt sich all die Jahre lang in den Billboard-Charts, bis SZA soweit war, „SOS“ zu veröffentlichen, ein Album so übervoll mit Ideen, dass man sich darin fast verlieren konnte. „SOS“ führte zehn Wochen lang die US-Hitparade an, machte SZA endgültig zum Superstar, der fortan nur noch im großen Maßstab auftreten würde.
Was uns zurück nach Köln führt. Die Sängerin wäre nicht die erste frisch gekürte Diva, die in so einer weiträumigen Halle verloren geht. Doch hier zahlt sich die lange Vorbereitungszeit aus: Die „SOS Tour“ ist die überzeugendste, weil kohärenteste Arena-Produktion der vergangenen Jahre. So etwas hat man in der erzählerischen Qualität noch nicht erlebt.
Wo kommt den der rostige Kahn plötzlich her?
SZA nimmt ihr Publikum auf ein Jules-Verne-würdiges Seefahrt-Abenteuer mit, vom Hafenpier, unterspült von geborstenen Schleusen, an Bord eines U-Boots, schließlich an Steilküsten entlang auf einem rostigen Kahn (wo kam der nur plötzlich her?), die Übergänge von Szene zu Szene sind nahezu perfekt, erzeugen einen erzählerischen Flow. Die aufwändige Inszenierung lenkt keineswegs von den Songs ab, im Gegenteil, sie verknüpft sie zu einer emotionalen Reise und gibt SZA reichlich Gelegenheit, sich auf ihren Gesang zu konzentrieren – von geraspelten Bekenntnissen zu goldenen Tönen – und auf ihren inneren, ungefilterten Monolog, ihre Enttäuschungen, ihre Anklagen, ihre Selbstzweifel.
Daran scheint jede Zuschauerin und jeder Zuschauer in Köln anknüpfen zu können, trotz des Altersunterschiedes zwischen der 33-jährigen Performerin und ihrem jungen Publikum, das wohl noch nicht ganz so viele Brüche in seinem Leben durchlitten hat. Und während SZA jeden Ton trifft und jeder Position ihrer Choreografie folgt, inklusive eines obligatorischen „Titanic“-Moments am Bug des Schiffes, findet sie doch die Zeit, auf einen eventuellen Ohnmachtsanfall in der Menge aufmerksam zu machen, oder ein bekanntes Gesicht in der ersten Reihe zu grüßen.
Ihre Musik ist so unberechenbar wie das Wetter auf hoher See, auf eine Pop-Punk-Nummer („F2F“) folgt ein Slow Jam („Doves in the Wind“), folgt ein Trap-Stück („Low“) und dazwischen, zum kollektiven Mitsingen, ihr erster Hit „Drew Barrymore“, in dem die romantischen Komödien der Hollywood-Schauspielerin mit dem echten Liebeselend der Sängerin kontrastieren.
Plötzlich schlagen die Wellen immer höher, das Schiff kentert, SZA rettet sich in ein Schlauchboot, das hoch über den Köpfen der Zuschauer auf Laserwogen einem Leuchtturm am anderen Ende des Innenraums entgegen schippert. SZA bewirft ihre Fans mit Konfettiblumen, reiht dort oben eine Powerballade an die nächste, es ist eine Pracht. Der Rest der Show findet am Meeresgrund statt, ein riesiger Anker hat sich in die Bühne versenkt, Haie und fluoreszierende Quallen schwimmen vorbei. Es ist endlich Zeit für ihren Nummer-Eins-Hit „Kill Bill“, der eine traurige Kinderliedmelodie mit einer Tarantino-haften Rachefantasie verbindet: „Ich könnte meinen Ex umbringen, nicht die beste Idee. Seine neue Freundin ist als Nächste dran. Wie ist es nur so weit gekommen?“
Die Arena fällt begeistert ein. Und als alle ihre dunkelsten Gedanken herausgebrüllt haben, geht auch die Sonne wieder auf und SZA sitzt wieder am Rande des Sprungbretts. Aber diesmal hat sie es sich hier gemütlich gemacht. Das geht, wenn man die perfekte Balance gefunden hat.