Peter Gabriel meldete sich nach neun Jahren wieder in Köln zurück. Für sein Konzert in der Lanxess-Arena versammelte er 16.000 Menschen vor einem Lagerfeuer. Wäre es nur so weitergegangen.
Konzert in KölnWarum Peter Gabriel nach einem fantastischen Anfang enttäuschte
Am Anfang ist das Feuer. Es lodert mitten auf der Bühne. Aus den Tipi-förmig aufgebockten Holzscheiten ziehen Rauchschwaden, sie ziehen vorbei an einem gigantisch großen römischen Ziffernblatt, hinter dem man die Silhouette eines Mannes ausmachen kann. Er trägt einen orangen Overall und malt alle paar Minuten ein neues Zeigerpaar auf den weißen Grund. Kaum, dass die Pfeile auf VIII und XII weisen, schlendert Peter Gabriel auf die Bühne.
„Die Zeit gibt den Ton an“, stellt er fest: „Sie hat jeden von uns fest im Griff, aber die Fantasie kann der Zeit entkommen.“ Er liest die Worte auf Deutsch ab, fordert sein Publikum auf, sich viereinhalb Milliarden Jahre in die Vergangenheit zurückzuversetzen, „als unser Planet ein toter Planet war, was er durchaus wieder sein könnte, wenn wir nicht sehr vorsichtig sind“.
Peter Gabriel scherzt über die Avatare von ABBA
In der Kölner Arena brandet am Samstagabend (10. Juni) Applaus auf, doch der Mann in der doppelreihigen Nehru-Jacke hat noch mehr zu sagen. Spricht von dem Meteoriten, der das Feuer des Lebens entfachte, als er auf der toten Erde einschlug, scherzt noch ein wenig über die verjüngten ABBA-Avatare, die in London auf der Bühne stehen. Sein lebensechter Avatar sei dagegen älter, schwerer und kahlköpfig. „In Wirklichkeit entspanne ich mich gerade an einem Strand in der Karibik und gleiche einem griechischen Gott.“
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Unter dem nun ebenfalls entspannten Gelächter der 16.000 Zuschauer setzt Gabriel sich ans Lagerfeuer, ein Keyboard auf dem Schoß. Tony Levin, sein langjähriger Bassist, gesellt sich mit seinem Chapman Stick dazu. Zusammen stimmen sie „Jetzt kommt die Flut“ an, Horst Königstein hatte einst das Stück von Gabriels erstem Soloalbum ins Deutsche übertragen. Das Ziffernblatt ist verschwunden, an seiner Stelle dreht sich langsam der Mond auf seine dunkle Seite. Die ist von der Erde aus bekanntlich nie zu sehen. Vielleicht träumen wir, eine absurd große Lagerfeuergesellschaft. „Trink leer, Träumer“, singt Gabriel, seine hohe, raue, warme Stimme dringt durch die Arena, „bald ist nichts mehr.“
Ein wunderbarer, unerwarteter Anfang ist das. Neun Jahre lang war Peter Gabriel nicht mehr in Köln zu erleben, doch schon für diese ersten Minuten hat sich das Warten gelohnt. Bald hat sich die ganze Band um das Feuer versammelt. In „Growing Up“ singt Gabriel von einer, seiner Geburt aus der Sicht des Kindes. Ganz sachte greifen die akustischen Instrumente ineinander, man fühlt sich von ihnen getragen, schwebend wie das Kind im Bauch der Mutter.
Dann geht der Mond unter, die Musiker wechseln an ihre jeweiligen Stationen und nur wenige Lieder später ist ein Großteil des Zaubers verflogen. Man muss an den Song denken, den neulich die Sparks aus der Sicht eines enttäuschten Neugeborenen veröffentlicht haben: „Nichts ist so gut, wie sie es sagen“, lautet dessen Refrain.
Nach 21 Jahren will Gabriel mit i/o ein neues Album veröffentlichen
Der Grund, aus dem sich Peter Gabriel entschlossen hat, mit 73 Jahren noch einmal auf große Tour zu gehen, heißt „i/o“: Sein zehntes Studioalbum, von dem bislang nur sechs Songs erschienen sind. Gabriel veröffentlicht sie immer zum vollen Mond, jeweils in drei verschiedenen Mixen. Es wird sein erstes Album mit neuem Material seit 21 Jahren. Angeblich hatte er die Songs dazu längst geschrieben – und grübelt seitdem über ihre bestmögliche Form. Eine schwere Geburt. Aber Gabriel war schon immer ein detailverliebter Zauderer, maximal desinteressiert am Verwertungszyklus des Musikgeschäfts.
Als ihm 1986 mit seinem fünften Album „So“ der Sprung in den Mainstream gelang, er mit der Single „Sledgehammer“ ausgerechnet seine alten Kollegen von Genesis vom Thron der US-Charts stieß, ließ er dem Erfolg keine neuen Songs von vergleichbarem Schmiss folgen. Komponierte stattdessen den Soundtrack für Martin Scorseses „Die letzte Versuchung Christi“, verarbeitete eine schwierige Scheidung in endlosen Therapiesitzungen und meldete sich endlich, sechs Jahre später, mit seinem hermetischsten Album „Up“ zurück. Aus dem spielt er in Köln die zerquälte Rocknummer „Digging in the Dirt“, eine einsame Trompete quetscht sich aus der aufgewühlten Erde.
Selbst die Apokalypse kommt hier recht gemütlich rüber
Ansonsten besteht die Setlist zur Hälfte aus den neuen Songs und die senken die Temperatur am Lagerfeuer doch beträchtlich. Nicht, dass sie objektiv schlecht wären. „And Still“, ein Nachruf an seine 2016 gestorbene Mutter, klingt nach „Strawberry Fields Forever“-Wehmut, „i/o“, der Titelsong, in dem sich Gabriel als winziger Teil des großen Ganzen beschreibt, trotz der Demut einen beinahe mitreißenden Refrain ab – und die Ballade „Playing for Time“, zuerst wieder nur mit Gabriel am Keyboard und Levin am Chapman Stick, berührt live sehr viel mehr als in der von Streichern zugebutterten Aufnahme.
Aber im Großen und Ganzen klingen die neuen Stücke doch nach Saturierten-Pop, selbst die Apokalypse (in „Four Kinds of Horses“) kommt hier recht gemütlich rüber. Für die visuellen Umsetzungen hat Gabriel mit verschiedenen Künstlern kollaboriert, Ai Weiwei, der Prominenteste unter ihnen, hat glatt polierte Stinkefinger-Skulpturen animiert.
Die Abfolge der Songs wirkt ähnlich abweisend: „Sledgehammer“ reißt das Publikum verlässlich von den Stühlen – selbst Gabriel tanzt in einer kleinen gemeinsamen Choreo mit Levin und seinem Gitarristen David Rhodes, aber nur, um es gleich darauf in die Pause zu schicken. „Don’t Give Up“ –möchte man sich eigentlich gar nicht ohne Kate Bush vorstellen, doch Gabriels Cellistin Ayanna Witter-Johnson erweist sich als große Stimme und erhält Standing Ovations. Und Gabriel? Lässt das emotional geschüttelte Publikum mit dem müden Menetekel „The Court“ ratlos zurück.
So geht das immer weiter: „Big Time“ elektrisiert, eine afrikanisch angehauchte Nichtigkeit namens „Live and Let Live“ zieht prompt den Stecker. Am Ende versöhnen das ewig frische „Solsbury Hill“, die „So“-Ballade „In Your Eyes“ und die Widerstandshymne „Biko“. Die lässt Peter Gabriel vom Publikum zu Ende singen. Aber wie viel überzeugender hätte diese Lagerfeuergemeinschaft geklungen, wenn in den zwei Stunden davor häufiger der Funken übergesprungen wäre.