Das britische Power-Trio Muse entspann vor einer Masse aus 45.000 Zuschauern in Köln das Drama des Individuums.
Konzert im Rhein-Energie-StadionWie Muse den Teufel besiegen
Eine Viererbande Aufständischer stürmt die Bühne im Rhein-Energie-Stadion, verkündet mit erhobener Faust den Willen des Volkes. Herrscher sollen im Meer versenkt, ihre Richter eingekerkert, ihre Institutionen zerstört werden. Sie haben sich futuristisch maskiert, tragen unter ihren schwarzen Hoodies Spiegelmasken mit Gitterschlitzen, halb Espressokanne, halb Spaghetti-Sieb. Auf den Videowänden links und rechts der Bühne umzüngeln sie Flammen wie in einer pubertären Vision von Coolness.
Das Volk, an die 45.000 Menschen sollen gekommen sein, grüßt die schrägen Guerilleros freudig. „The will of the people, the will of the people, the will of the, will of the“, skandieren diese nun wütend auf dem Brückenkopf des Laufstegs, inmitten der Menge. Der Wille bleibt, das Volk verschwindet, die Verkürzung versetzt den Song in einen taumelnden Swing. Die Revolution findet, trotz der günstigen Witterung, nur in der Musik statt.
Die Einspielfilme von Muse erinnern an New York im Waldbrandnebel
Ihren Alben stülpen Muse oft recht unausgegorene dystopische Erzählungen über, mal sind es Drohnen, mal der Klimawandel, mal virtuelle Welten, die unsere Existenz bedrohen. An diesem Freitagabend im Kölner Stadion unterbrechen immer wieder kleine Einspielfilme die Bühnenaction. Szenen aus einer Zukunft, die orange leuchtet wie New York im Waldbrandnebel. Bald meldet sich auch der Teufel persönlich auf dem Bildschirm, oder einer seiner gehörnten Unterdämonen, ein rot glühender Hellboy, der vom Publikum absolute Unterwerfung verlangt.
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Da hat er aber nicht mit Matt Bellamy, dem falsettierenden Wundergitarristen, und seinen beiden Schulfreunden aus dem südenglischen Ferienstädtchen Teignmouth gerechnet. Das Muse-Trio und ihr neuer Tour-Musiker Dan Lancaster haben inzwischen ihre Espressokannen-Masken abgelegt, so lässt es sich leichter gegen das Böse anmusizieren.
So jedenfalls klingt das, wenn Bellamy gleichzeitig Gitarrensaiten und Kehlkopf vibrieren lässt, wenn der hochgewachsene Chris Wolstenhome – er trägt jetzt einen Biker-Hufeisenbart – seinen Bass mit Donnerfingern bedient oder wenn Drummer Dominic Howard die eine ihrer vielen Widerstands-Hymnen, die sie einfach gleich „Resistance“ genannt haben, mit mächtigem Trommelfeuer beendet. Rockmusik als Sieg des Einzelnen über die erdrückende Masse, diese Erzählung ist so alt wie das Genre. Und Muse sind auch nicht die ersten, denen aufgefallen ist, dass etwas daran nicht ganz aufgeht, wenn Zehntausenden im Gleichtakt gegen das System klatschen.
In ihrer Grandiosität mögen Muse albern sein, aber in ihrer Albernheit sind sie schlicht grandios: Sehen Sie Matt Bellamy, wie er zu „Psycho“ seitwärts über den Steg hüpft, verspricht uns alle in Drohnenkiller zu verwandeln und zugleich tapfer gegen die Kriegsmaschine angniedelt. Hören Sie die Europe-artigen (wir sprechen von der „Final-Countdown“-Band) Keyboard-Stöße, die in „Compliance“ vom Publikum Gehorsam einfordern, fragen Sie sich kurz, wie ironisch man eigentlich einen Marsch klatschen kann, dann vergessen Sie diesen Gedanken gleich wieder, weil: Luftschlangen! In ihren Glam-Bombast mögen Muse an Queen erinnern, aber in ihrer Verbindung von Heftchenroman-Science-Fiction und schierer musikalischer Virtuosität knüpfen sie eher an ein anderes Power-Trio an, die kanadischen Rock-Heroen Rush.
Matt Bellamy zieht die Quersumme aus Eddie van Halen und Björn Ulvaeus
Dabei variieren viele Muse-Songs die gleichen Tricks: Auf gedämpfte Strophen – wie etwa in „Madness“ wo Wolstenhome Bellamys Falsett mit einem pluckernden Rumpeln begleitet, das er an einem zweistegigen Bass mit Touch-Screen erzeugt – folgen weit ausgreifende, mitreißende Refrains, oft durch erbauliche Synthie-Arpeggi ergänzt. Und schließlich, als Ausrufezeichen, ein Gitarrensolo, stets überraschend, so gut wie nie in Rock-Klischees verfallend. Wie Bellamy am Ende von „You Make Me Feel Like It’s Halloween“, eigentlich kein Höhepunkt der Muse-Discografie, die Quersumme aus Eddie van Halen und Björn Ulvaeus zieht! Und wie er denselben Song mit dem berühmten Vorspiel aus Bachs „Toccata“ einorgelt, ein verrückter Wissenschaftler aus einem Roger-Corman-Film!
Je tiefer die Sonne sinkt, desto höher steigt der Spektakel-Faktor der Show: monolithenartige LED-Spiegel formieren sich bedrohlich am Bühnenhimmel, Feuerstöße bringen den Abendhimmel zum Flimmern, schließlich bläst sich ein riesiger Teufel im Bühnenhintergrund auf.
Ja, der besteht nur aus hohler Luft, aber wer bis zu diesen noch keinen Kontakt zu seinem 12-jährigen Ich aufgenommen hat, wer nicht Bellamys in Captain-Future-Farben funkelnde Handschuh-Orgel bewundert hat, wer nicht zu „Uprising“ mit voller Inbrunst „they will not control us and we will be victorious“ geschmettert hat, der ist hier schlicht falsch. Freilich ist kein Dissident auszumachen, der zum Muse-Motto „Ihr seid alle Individuen“, „Ich nicht“ gerufen hätte.
Als dann endlich, es ist das immer gleiche Ritual, Chris Wolstenhome mit der Mundharmonika vortritt, um das bekannte Ennio-Morricone-Thema zu spielen und Matt Bellamy mit seiner Alarmgitarre zur Laserduell-Hymne „Knights of Cydonia“ überleitet, hat die hohe Kunst der Albernheit dem Alltagsteufel den Todesstoß versetzt. Triumph! Die Band verlässt die Bühne, auf dem Rücken von Bellamys Jacke leuchten weiße LED-Flügel auf.