Noch ein Grund, Matt Bellamy ins Herz zu schließen: Nicht nur, dass sich der Muse-Gitarrist auf der Bühne im Kölner Mediapark eine Lederjacke mit blinkenden LED-Lichtern übergeworfen hat, die ungefähr so aussieht, wie sich alte Science-Fiction-Filme die Mode heute längst vergangener Zukunft vorgestellt haben.
Nicht nur, dass der Mann aus dem südwestenglischem Küstenstädtchen Teignmouth dazu als Accessoire einen ebenfalls lustig funkelnden Metall-Handschuh trägt, auf dessen eingebauten Touchscreen er ein herzergreifend wimmerndes Space-Solo spielt.
Nein, das Beste ist der Name, den er dem kleinen Stück gegeben hat: „Behold, the Glove“, „Siehe, der Handschuh!“
Bellamy ist inzwischen 44 Jahre alt, er spielt immer noch mit seinen beiden Schulkameraden Chris Wolstenholme und Dominic Howard in einer Rock‘n‘Roll-Band und erfindet vom Album zu Album ein neues Bedrohungs- oder Verschwörungsszenario - Drohnen, Supermassive Schwarze Löcher, Cowboys mit Laserpistolen - gegen das er auf seiner Gitarre, seinen vielen, oft selbst entworfenen Gitarren, anspielen kann.
Kurz, der Wundergitarrist und Kehlkopfsänger Matt Bellamy ist ein begnadeter Kindskopf, und das ist hier ausdrücklich als Kompliment gemeint.
Am Dienstagabend hatte man Gelegenheit das britische Power-Trio im Rahmen eines Telekom Street Gigs zur Messe Digital X mal ganz aus der Nähe zu betrachten. Zuletzt spielten sie im Juli 2019 im Rhein-Energie-Stadion und dort werden sie kommendes Jahr wieder Station machen, am 9. Juni. Dazwischen liegt eine Pandemie, dank derer sich die ganze Welt fühlen konnte, als sei sie in einem der stets etwas unausgegorenen Dystopie-Entwürfe eines Muse-Albums gefangen.
Weshalb die von der Realität eingeholte Band auf ihrem aktuellen Album „The Will of the People“ einen konzeptuellen Gang zurückschaltet und stattdessen eine Art Best-of der vorangegangenen acht Muse-Langspieler präsentiert: Widerstandshymen („Won’t Stand Down“), Machtdemonstrationen („Compliance“) und einen Grusel-Song („You Make Me Feel Like It’s Halloween“), der Michael Jacksons „Thriller“ parodiert, etliche Stephen-King-Titel zitiert und sich beim zweiten Hören als durchaus ernst gemeintes Statement zu häuslicher Gewalt während der Lockdowns entpuppt.
Das neue Material bereiten Muse für Köln jedoch mit vielen alten Favoriten auf, „Plug in Baby“, zum Beispiel, vom zweiten und besten Album „Origin of Symmetry“. Die glücklichen Ticketgewinner singen Bellamys Gitarrenriff mit, so wie sie vorher jedes kleine durchs Verzerrerpedal gejagte Quietschgeräusch enthusiastisch nachgeheult haben: Es herrscht große Einigkeit zwischen Fans und Band.
Die haben sich Muse redlich verdient. Auch damit, dass sie selbst bei so einem kleinen, nur gut einstündigen Werbe-Auftritt mit maximaler Spielfreude aufwarten. Zum Schluss treten, wie immer, die „Knights of Cydonia“ an, eine durchgeknallte Gitarrenarie, die Ennio Morricones „Spiel mir das Lied vom Tod“ und das verhallte „Telstar“-Instrumental der Tornados (bei denen Bellamys Vater Rhythmusgitarrist war) gemeinsam in eine weit, weit entfernte Galaxie versetzt.
Selten fanden Virtuosität und Pubertät so gelungen zusammen. Wer hätte gedacht, dass ein Dienstag so toll enden kann.