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Gutes TimingMarie Jacquot wird Chefdirigentin des WDR Sinfonieorchester

Lesezeit 4 Minuten
Marie Jacquot wird ab der Spielzeit 2026/2027 Chefdirigentin des WDR Sinfonieorchesters.

Marie Jacquot wird ab der Spielzeit 2026/2027 Chefdirigentin des WDR Sinfonieorchesters.

Die 1990 in Paris geborene Musikerin folgt auf Cristian Măcelaru, der noch bis 2025 Chefdirigent und in der Saison 2025/26 Artistic Partner des Orchesters sein wird.

Mit der jetzt 33 Jahre alten gebürtigen Pariserin Marie Jacquot erklimmt erstmals eine Frau den Chefposten beim WDR Sinfonieorchester in Köln. Sie folgt, wie die Pressestelle des Senders am Donnerstag mitteilte, zur Spielzeit 2026/27 für zunächst vier Jahre auf Cristian Măcelaru, der noch bis 2025 Chefdirigent und in der Saison 2025/26 Artistic Partner des Orchesters sein wird.

Die Personalie mag etwas überraschend kommen, schließlich ist Jacquot nicht das, was man eine „gute alte Bekannte“ der Formation nennen könnte. Aber bei ihrem Debütkonzert im Dezember 2022 mit Werken von Chausson, Wagner („Tristan“-Auszüge) und Debussy („La Mer“) hat es, wie Orchestermanager Sebastian König dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ mitteilte, sofort „klick“ gemacht – und damals befand man sich noch gar nicht auf der Suche nach einer Măcelaru-Nachfolge. „Jacquot ist“, so König, „selbstbewusst und metiersicher, überzeugt aber auch total durch ihre Integration der Musiker. Sie spricht mit ihnen und steht einfach für ein gutes Teamwork.“

Der Orchestervorstand sieht das laut Pressemitteilung genauso: „Marie Jacquot verstand es vom ersten Augenblick an, das Orchester mitzureißen: natürlich, sympathisch, auf Augenhöhe und absolut überzeugend“, so der Orchestervorstand über das letzte gemeinsame Projekt. „Wir freuen uns riesig auf unsere neue Chefdirigentin und all die musikalischen Momente, die wir mit ihr erleben dürfen.“

Jacquot spielte in ihrer Jugend erfolgreich Tennis

Und wie reagiert die solchermaßen Gelobte auf die Berufung? „Das WDR Sinfonieorchester haben uns musikalisch wie menschlich von der ersten Sekunde an bestens verstanden. Ich bin von der stilistischen Vielseitigkeit des Ensembles begeistert und vor allem von seinem unbedingten Willen, die bestmögliche musikalische Qualität zu erreichen.“

Während die Meldung „Frau wird Chefdirigentin“ inzwischen nicht mehr zur Sensation taugt – für Jacquot hat ihren eigenen Worten zufolge der Genderaspekt für ihr Selbstverständnis als Musikerin und ihre Arbeit als Dirigentin keine Rolle gespielt –, trifft das für einen anderen Aspekt ihrer Vita schon eher zu: Bevor sie ihre Laufbahn als Musikerin einschlug, war sie auf dem Weg zum Tennisprofi. Bis ins Teenageralter wurde Jacquot in diesem Sinne gefördert, spielte bei den French Open.

Doch parallel zum Leistungssport musizierte sie und spielte Posaune. Mit 15 Jahren entschied sich für die Musik und gegen den Sport. Zeit für das Tennisspielen hat sie heute kaum noch, doch Yoga versuche sie regelmäßig zu machen, berichtet sie im Interview. Warum kein Tennis mehr? „Tennis hat mir immer Freunde bereitet, doch irgendwann war das Spiel nicht mehr vorhanden, sondern nur noch der Druck, besser zu sein. Es war nur noch dieser Kampf-Aspekt da und nicht mehr die Freude am Spielen.“ Gefehlt habe das ihr wichtige Prinzip einer im Team erarbeiteten Leistung.

Trotzdem war, wie sie sagt, das Tennis eine gute Schule auch für die Musik: „Es hat mir für das gesamte Ich-Sein und die persönliche Entwicklung sehr geholfen.“ Beim Tennisspiel habe sie auch die Flexibilität und unterschiedliche, gleichzeitige Bewegung der Arme trainiert – etwas, das ihr beim Dirigieren nun zugutekommt.

Zunächst also verdrängte die Posaune den Tennisschläger. Dem Instrumentalstudium in Paris folgten ein abgeschlossenes Dirigierstudium in Wien und ein Aufbaustudium in Weimar. Bis heute ist Jacquot, die ausgezeichnet Deutsch spricht, als Opern- und Konzertdirigentin überwiegend in deutschsprachigen Ländern unterwegs.

Seit der laufenden Spielzeit ist Jacquot Erste Gastdirigentin der Wiener Symphoniker

Ihre erste feste Anstellung bekam sie 2016 als erste Kapellmeisterin und GMD-Stellvertreterin am Mainfranken-Orchester Würzburg. Da standen Rossinis „Barbier“, Verdis „Nabucco“, Meyerbeers „Hugenotten“, Mozarts „Idomeneo“ und Bartóks „Blaubart“ auf der Agenda. 2019/20 baute sich dann die Rhein-Connection auf: Jacquot wechselte als Kapellmeisterin an die Düsseldorfer Oper. Beim Gürzenich-Orchester dirigierte sie ein Familienkonzert, während ihre Beziehung zur Kölner musikFabrik sogar noch aus ihrer Studienzeit datiert: Damals arbeitete sie als Assistentin von Peter Rundel für die Produktion von Stockhausens „Michaels Reise“ in der Avery Fisher Hall in New York.

In der Repertoireorientierung ist Jacquot eine Allrounderin, aber traditionell ist ein ausgewiesenes Faible für die zeitgenössische Produktion für einen WDR-Chefdirigenten unerlässlich. Das bringt die Pariserin unstrittig mit: Als Assistentin von Kirill Petrenko, dem heutigen Chef der Berliner Philharmoniker, arbeitete sie an der Uraufführung der Oper „South Pole“ von Miroslav Srnka an der Bayerischen Staatsoper mit. Und im Rahmen der Münchner Opernfestspiele von 2018 leitete sie die Uraufführung der „Vorübergehenden“ von Nikolaus Brass.

Seit der laufenden Spielzeit ist Jacquot Erste Gastdirigentin der Wiener Symphoniker und designierte Chefdirigentin des Royal Danish Theatre in Kopenhagen. Ihren Lebensmittelpunkt hat sie in Graz, wo sie zusammen mit ihrem Freund, ebenfalls einem Musiker, wohnt. Den Posten in Wien gibt sie auf, wenn sie nach Köln wechselt.

Als Gastdirigentin war Jacquot, die unter anderem mit dem Ernst-von Schuch-Preis und einer Nominierung zu den International Opera Awards 2021 ausgezeichnet wurde, aktuell beim Gewandhausorchester Leipzig, dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, dem hr-Sinfonieorchester, dem Deutschen Symphonieorchester Berlin, der Staatskapelle Dresden, dem Dallas Symphony Orchestra und dem Göteborg Symphony Orchestra zu erleben.

Das darf man eine große Laufbahn im Aufgang nennen. Wie es aussieht, hat der Kölner Sender auch hinsichtlich des Timings dieser Neuverpflichtung ein gutes Händchen bewiesen.