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„Britney X“-Festival in KölnAngezogen unter 50 zuckenden Nackten

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Szene aus Doris Uhlichs „Habitat“ 

Köln – „O dass wir unsere Ururahnen wären“, fällt mir Gottfried Benn ein, als ich die leere Fabrikhalle in Ehrenfeld betrete: „Ein Klümpchen Schleim in einem warmen Moor.“ Auf dem Boden der Halle wälzen sich nackte Körper in einer gelatineartigen Schleimmasse. Purzeln, gleiten übereinander, rappeln sich hoch, stülpen sich gegenseitig langgezogene Bahnen des klebrigen Zeugs über die Köpfe.

Eine Urszene, das kann man schon so sehen. Aber keine, die Zivilisationsmüdigkeit vermittelt. Eventuell wird hier sogar gar nichts vermittelt, sind es einfach konkrete Körper und sonst nichts, die sogleich von neugierigen Zuschauern umrundet werden.

Die Wiener Choreografin Doris Uhlich arbeitet schon lange mit Nacktheit. In ihrer Performance-Serie „Habitat“ versammelt sie immer neue Ensembles zum ortsspezifischen Körperfest. Das anfängliche Schleimbad stammt allerdings aus ihrer späteren Arbeit „Gootopia“.

Umkämpfte Körper beim „Britney X“-Festival

In Köln gastierte Uhlich nun im Rahmen des „Britney X“-Festivals des Kölner Schauspiels, das vor ein paar Jahren von Regieassistenten im Kleinen Haus am Offenbachplatz initiiert wurde, um sich mit Themen wie Gender, Diversität, Rassismus und Klassismus auseinanderzusetzen, um Stücke, Konzerte, Kurse und Vorträge in die Stadt zu holen, die unsere Körpern als Lustbringer, aber auch als Schlachtfelder politischer Interessen begreifen.

Die nackten Körper in „Habitat“ sind aber, wie gesagt, zuerst einmal einfach nur da, völlig unmetaphorisch. Es sind fast 50 an der Zahl, in vielerlei Geschlechtern und Bekleidungsgrößen und Behaarungsgraden. Man weicht ihnen aus (zumal, wenn sie noch mit Schleim bedeckt sind), gafft und guckt in derselben Sekunde schamhaft weg, folgt ihnen willfährig in die nächste Halle, ist heilfroh, nicht selbst nackt zu sein, und beneidet sie zugleich um ihre Freiheit.

Wenn Menschen ihre Kleidung ablegen, denke ich, sind sie so unterschiedlich und vielfältig wie Hunderassen – und irgendwie alle schön.

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Es beginnt mit einer schleimigen Urszene. 

Das mit dem Gaffen hat sich freilich schnell erledigt. Und schämen tue ich mich auch nicht mehr. Dafür ist hier schlicht zu viel Fleisch unterwegs, wuseln zu viele Arme, Beine, Bäuche, Vulvas und Schwänze durch die Industriebrache. Die hier alle zum Tanzen gebracht werden. Hinter einem DJ-Pult steht die Choreografin selbst, auch sie ist nackt, und wirft jetzt einen zwingenden, alle Körper – auch die der Zuschauer – erfassenden, Technobeat an.

Die Nackten werfen sich zu Boden, Oberschenkel und Arschbacken klatschen auf Beton. „Fetttanztechnik“ nennt Doris Uhlich ihre Schwabbelflatsch-Choreografie. Immer wieder bilden die einzelnen Nackten Gruppen, türmen sich zu kleinen Pyramiden auf, bilden ein Mandalas aus Extremitäten um eine Tänzerin im Rollstuhl. Oder stellen sich nach außen gewandt eng an eng zusammen, um dann wieder in Bewegung auszubrechen, als hätte sie die frühneuzeitliche Tanzplage erwischt.

Mit flatternden Backen posiert

Der Vergleich hinkt nur insofern, als diese Bewegungen nicht wirklich ekstatisch sind (wenn auch nicht streng choreografiert). Selbst das nahe liegende Bühnenklischee der dionysischen Raserei vermeidet Uhlich: Ihre Körper kennen keine Götter, nur die Freiheit.

Im Rahmen der abgesprochenen Aktionen: Mal wird mit flatternden Backen an den großen Fenstern posiert, mal statuesk auf Bierkisten, mal links und rechts am Publikum vorbeidefiliert, einzeln wie als zuckende Gruppe, dann laufen sie mitten durch die Zuschauermenge hindurch. Anfangs weicht man noch höflich aus, doch auch diese Berührungsängste vergehen.

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Schließlich bremst Uhlich die Schläge der Bassdrum ab, Ambientklänge lösen sie ab. Die Körper entspannen sich, werden schlaff und schwer. Nur um kurz darauf wieder zitternd an irgendeinem Gestänge zu hängen. Zum Abschluss pferchen sich die Nackten freiwillig in die Stauräume der hinteren Halle ein, rütteln manisch an den Gittern: Es bleibt das einzige symbolisch aufgeladene Bild und es ist nicht mehr nötig: Die Entgrenzung hat längst stattgefunden.

„Alles ist Ufer“, heißt es am Ende bei Gottfried Benn: „Ewig ruft das Meer.“ Doris Uhlich aber gelingt das Kunststück, das bloße Leben schützend in der Masse verschwinden zu lassen, und dabei doch jeden einzelnen Körper zu feiern.

„Habitat“ wird am Sonntag, den 12. 6., noch einmal um 17 Uhr in der Oskar-Jäger-Straße 175 aufgeführt.