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Halloween-KlassikerWarum Sie Horrorfilme mit Ihren Teenagern gucken sollten

Lesezeit 4 Minuten
The Fog, aka: The Fog - Nebel des Grauens, USA 1980, Regie: John Carpenter, Szenenfoto mit Zombie Piraten

John Carpenters „The Fog – Nebel des Grauens“

Von John Carpenter bis Jordan Peele: Horrorfilme haben zu Unrecht einen schlechten Ruf. Nichts ist lehrreicher als die Angst.

Die ARD zeigte in ihrer ausgezeichneten Nachtprogramm-Reihe „Der phantastische Film“ John Carpenters „The Fog – Nebel des Grauens“. Den durfte ich nicht sehen. Horrorfilme, wussten die Eltern, sind Gift für die psychologische Entwicklung. Damals machte gerade die Panik vor satanischen Rückwärtsbotschaften in den Schallplatten von Metal- und Hardrock-Bands die Runde. Überall lockte das Böse. Ob wir Kinder uns auf dem Autorücksitz anschnallten, war dagegen egal.

Der Weg vom Kinderzimmer im ausgebauten Dachboden bis zum TV-Gerät im Erdgeschoss schien endlos. Die Treppen waren aus Holz. Ich kannte alle knarzenden Stellen. Im Wohnzimmer setzte ich mich so nah vor den Röhrenbildschirm, wie es eben ging. Den Ton hatte ich auf kaum hörbar gestellt. Als der freundliche Wettermann, der nur mal kurz gucken wollte, wer da aus dem Nebel an seine Tür geklopft hatte, von einer Hakenhand aufgespießt wurde, sprang ich fast bis an die Decke. Im Papierkorb raschelte eine Chipstüte. Meine Nackenhaare stellten sich auf, von der Stirn rann kalter Schweiß.

Doch die Erinnerung an den heimlichen Ausflug zum Fernseher ist eine warme. Horrorfilme erzeugen keine Angst, sie setzen sie frei, hat Wes Craven gesagt, einer der Meister des Kinoschreckens. Als der seine Karriere mit Schockern wie „Das letzte Haus links“ und „Hügel der blutigen Augen“ begann, verließen viele Kritiker angewidert die Pressevorstellungen. Menschenverachtend und widerlich lautete das fast einstimmige Urteil. Horror, das war unterste Schublade.

Dabei ist das Genre so alt wie die Filmgeschichte, George Méliès' Dreiminüter „Le manoir du diable“ wird üblicherweise als erster Horrorfilm genannt. Er stammt aus dem Jahr 1896. Zwei Dekaden später erhob der deutsche Stummfilm — unter anderem mit Paul Wegeners „Der Golem“ (1915), Robert Wienes „Das Cabinet des Dr. Caligari“ (1920) und F. W. Murnaus „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ — das Genre zur hohen Kunst. Vor allem „Nosferatu“ schuf etliche, bis heute gültige Horror-Konventionen. Hundert Jahre später ist er so gruselig wie eh und je, nur der gute Ruf des Genres ging zwischenzeitlich verloren. Das hat sich erst in letzter Zeit wieder gedreht.

Das gemeinsame Horrorfilmgucken ist eine echte Erziehungsalternative

Stummfilme sind schwer vermittelbar, „Das letzte Haus links“ muss wirklich noch nicht sein, aber den „Nebel des Grauens“ habe ich mit den Töchtern schon geguckt. Mit großem Vergnügen. Die sind heute ungefähr so alt wie ich damals, aber sie müssen sich nicht nachts die Treppenstufen herunter tasten. Das gemeinsame Horrorfilmgucken ist für uns zum reinigenden Ritual geworden, zur Achterbahnfahrt auf den Nervensträngen — und zur echten Erziehungsalternative.

Mindestens lernt man etwas über die Handwerkskunst des Filmemachens. Wie sich allein mit schrägen Kameraperspektiven (direkt aus Wienes „Caligari“ übernommen), quietschende Türen, klatschenden Händen und Rembrandt'schen Hell-Dunkel-Effekten haarsträubende Spannung aufbauen lässt, die sich dann in einem gewaltigen Jump Scare entlädt, zeigt James Wan vorbildlich in „The Conjuring“ (2013). Dessen direktes Vorbild „Poltergeist“ (Tobe Hooper, 1982) erzählt zudem noch etwas über Alltag und Marktwirtschaft in den Reagan-Jahren.

Jordan Peeles Filme „Get Out“ (2017) und „Us“ (2019) verraten mehr über die afroamerikanische Erfahrung als 30 kluge Essays zum Thema, und kein anderer Film zeigt die Zumutungen des Heranwachsens — mobbende Schulkameradinnen, hyperaktive Jungs, hysterische Eltern — derart drastisch wie Brian De Palmas „Carrie“ (1976).

Erstaunlich, wie viel Angst und Schrecken die Körper von Frauen bergen, von den Wallungen der Pubertät in „Carrie“, in Wes Cravens „Nightmare on Elm Street“ (1984) und in William Friedkins Meisterwerk „Der Exorzist“ (1973), über Schwanger- (Roman Polańskis „Rosemary's Baby“, 1968) und Mutterschaft (Jennifer Kents „Der Babadook“, 2014).

Galten Horrorfilme lange Zeit als Agenten des Status quo, in denen zu früher oder außerehelicher Sex sofort zum Tod führt, oder weibliche Sexualität etwas Animalisches, Monströses ist — siehe etwa James Whales „Frankensteins Braut“, 1935, Jacques Tourneurs „Cat People“, 1942 oder Robert Eggers „The Witch“, 2015 — haben sich heute nicht nur andere Lesarten etabliert, es gibt auch immer mehr dezidiert feministische Horrorfilme wie Julia Ducournaus Cannes-Gewinner „Titane“ (2021) oder Ari Asters superverstörender „Midsommar“ (2019), beide übrigens definitiv nicht für ein jüngeres Publikum geeignet.

Aber man muss sich ja auch noch auf etwas freuen können. Und sollten die Töchter heimlich des Nachts die Treppe heruntersteigen ... nun, die furchteinflößendsten Kinoerlebnisse sind am Ende oft die befreiendsten. Lasst die Angst raus und: Happy Halloween.