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Musiklegende Roedelius in KölnAls David Bowie vergeblich klingelte

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Hans-Joachim Roedelius

Köln – Auf dem alten Gutshof Forst im Weserbergland klingelt das Telefon. David Bowie ist am Apparat, mal wieder. „Andauernd hat der David bei uns angerufen“, erinnert sich Martha Roedelius, „wollte wissen, wann der Eno endlich kommt.“ Und ihr Mann, Hans-Joachim Roedelius, ergänzt: „Der hatte gerade diese Produktion mit Bowie in der Schweiz. Aber Brian Eno hat es verstanden, sich rar zu machen.“

Etwa indem der englische Soundtüftler und Meisterproduzent lieber mit seinen beiden deutschen Musiker-Freunden, Roedelius und Dieter Möbius, im Wald improvisierte (zwei fantastische Alben spielte das Trio ein). Den Telefonhörer mit dem lauthals fordernden Bowie hielt sich Eno vom Ohr weg, zwinkerte ironisch und kommentierte: „He’s a real popstar.“

Zusammen mit dem Beuys-Schüler Conrad Schnitzler hatten Möbius und Roedelius Ende der 1960er Jahre die Band Kluster gegründet. Die klang zuerst noch dunkel, elektronisch, konfrontativ, ein Vorläufer der späteren Industrial Music.

Wie sich Brian Eno verliebte

Später, als Schnitzler, der es nie lang bei einem Projekt aushielt, die Gruppe verlassen hatte, zog das Duo von Berlin in die niedersächsische Provinz und benannte sich in Cluster um, mit englischem „C“. Mit dem Namen änderte sich der Sound, Alben wie „Zuckerzeit“ von 1974 atmen die Ruhe des Landes, aber blicken weit nach vorn: Knisternder Elektropop, bevor es ein Wort dafür gab. Kein Wunder, dass sich Eno, erst vor kurzem bei Roxy Music ausgestiegen, in diese Musik verliebte.

„Brian war zu einem Konzert von Harmonia gekommen“, erzählt Roedelius, „hatte sich an ein frei stehendes Instrument gesetzt und mitgespielt. Daraus ist dann eine Freundschaft entstanden.“ Harmonia, das war das Trio, das Roedelius und Möbius zusammen mit dem Düsseldorfer Gitarristen Michael Rother bildeten. Eine kurzlebige Supergroup. „Der Michael wollte, dass wir die schönen Strukturen punktgenau wiederholten. Aber wir waren schnell genervt, wenn wir mal dasselbe spielen sollten. Wir wollten frei bleiben.“

Körperkneten mit Musik

Das erklärt, warum Hans-Joachim Roedelius im Gegensatz zu David Bowie nie ein Popstar geworden ist (und auch nie einer werden wollte), obwohl er die Entwicklung der populären Musik gleich mehrfach beeinflusst hat. Es gibt noch einen ganz simplen Grund, warum Roedelius’ ganz andere Ambitionen hegte, als manche seiner Mitstreiter: Zur Musik fand er erst spät, die 30 hatte er schon überschritten. Roedelius zeigt seine Hände, sagt: „Ich habe jahrelang in meinem eigentlichen Beruf als Physiotherapeut gearbeitet, habe mir beim Fasziendehnen die Finger krumm gemacht. Als Masseur ist man Beichtvater, da habe ich mehr gelernt als irgendwo anders. Mit der Musik habe ich letztlich da weitergemacht, wo ich mit dem Körperkneten aufgehört habe.“

Erste Erfahrungen mit der Kulturproduktion hatte er bereits in jungen Jahren gemacht. Sein Vater, erzählt Roedelius, hatte als Zahnarzt einige UFA-Größen in Behandlung, denen der hübsche Junge in der Praxis auffiel. Weshalb die Karriere dieses elektronischen Gründervaters als Kinderstar in Durchhaltefilmen der Nazis begann. „Ich bin für Deutschland geritten“, scherzt er am Abend nach seinem Konzert auf der Freilichtbühne des Kölner Stadtgartens in Anspielung auf den Willy-Birgel-Film, in dem er mitgespielt hat. „Aber ein anderer Film trug immerhin den Titel »Verklungene Melodie«.“ In dem sollte er sich als Sohn von Brigitte Horney mit Kopfschmerzen ins Bett legen. „Das musste man mir mit ganz viel Schokolade einreden. Da habe ich schwindeln gelernt.“

Aus dem DDR-Gefängnis geschwindelt

Das kam ihm nach dem Krieg zupass. Er wuchs im Erzgebirge auf, in der DDR. Als er zur Volkspolizei eingezogen werden sollte, flüchtete er in den Westen, kam zurück und wurde zu vier Jahren Haft verurteilt. Da musste er Reue heucheln, um wieder herauszukommen. Doch als Roedelius nach einer Krankengymnastik-Ausbildung bei der Stasi vorsprechen sollte, ging er endgültig in den Westen Berlins. Das war 1960, die Mauer war noch nicht gebaut.

Der Republikflüchtling schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch, vom Dachdecker bis zum Detektiv, aber er war schon in der richtigen Familie angekommen: Conrad Schnitzler hatte ihn großzügig bei sich aufgenommen. „Der hatte ein gutes Gespür für Leute, in denen er Musiker vermutete. Dieter Möbius hatte er als Steakbrater in einer Küche gefunden und dem sofort ein Schlagzeug hingestellt.“

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Das erste Instrument des Nicht-Musikers Roedelius war die Stimme, „ich habe mit Rückkoppelungen gearbeitet, später kam die Orgel dazu“. Und dann die analogen Synthesizer und anderes schweres Gerät. Er gründete die Musik-Kommune Human Being und zusammen mit Schnitzler das Zodiak Free Arts Lab, ein Künstlerlabor im Keller von Peter Steins Schaubühne am Halleschen Ufer. „Wir waren das erste Arts Lab in Deutschland. Das war musikalischer Aktionismus, Krach, aber die Leute kamen zuhauf.“ Das Zodiak war die Keimzelle dessen, was britische Journalisten später, etwas unglücklich, „Krautrock“ tauften: Tangerine Dream, Ash Ra Tempel, Klaus Schulze und Kluster.

Als Kind, erzählt Roedelius, habe ihn nichts so sehr geprägt, wie die Bomben, die 1943 auf Berlin fielen. Ob es das ist, was man im Lärm der ersten Kluster-Jahre hören kann? „Sicher nicht bewusst. Aber wir haben ein Loch gefüllt, es musste etwas Neues Geschehen.“

Heute macht sich Hans-Joachim Roedelius Gedanken über die Töne, die er damals erzeugte, „man weiß ja bis heute nicht, was das psychoakustisch mit dem Körper macht“. In seinem späteren Solowerk jedenfalls spielt die Elektronik eine immer geringere Rolle, er will sich bei seiner Klangsuche nur noch auf die schwingenden Saiten des Klaviers verlassen. „Ich werde bald 88, verabschiede mich langsam. Jetzt will ich nur noch bis ans Ende meines Lebens so authentisch bleiben, wie ich es bisher war.“