Walkürenritt ins FamilienchaosDer „Ring" bei den Bayreuther Festspielen
Bayreuth – „Kinder, macht Neues!“ gehört zu den bekannten Wagner-Zitaten. „Sichern Kinder die Zukunft?“ ist eine der Fragen von Regisseur Valentin Schwarz bei seinem Bayreuther „Ring“. Der Versuch des jungen Österreichers, auf Frank Castorfs Welterklärung die Tetralogie als Familiensage folgen zu lassen, lag coronabedingt zwei Jahre auf Eis. Als es dann endlich doch so weit war, musste der vorgesehene, aber erkrankte Dirigent Pietari Inkinen kurzfristig ersetzt werden. So wurde Cornelius Meister seinen vorgesehenen Eröffnungs-„Tristan“ wieder los und hatte plötzlich den ganzen Ring auf dem Pult. (Er macht ihn aber daheim in Stuttgart sowieso.)
Zur Person
Valentin Schwarz, geboren 1989 in Österreich, studierte in Wien Musiktheaterregie, Volkswirtschaftslehre und Philosophie. Er arbeitete bereits mit verschiedenen deutschen und österreichischen Opern und Theatern, darunter auch die Oper Köln. 2017 wurde er im Rahmen des Ring Award für die Regie von Gaetano Donizettis "Don Pasquale" ausgezeichnet.
Nach der „Walküre“ kann man anfügen: eine gute Entscheidung, denn er beherrscht nicht nur die Partitur, sondern auch die besondere Akustik des Festspielhauses hervorragend. Schon viele Passage im „Rheingold“, besonders aber die kammermusikalisch zurückgenommenen und die auftrumpfenden Höhepunkte der „Walküre“ bieten Festspielniveau.
Durch Corona nicht eingerostet
Auch bei den Sängern knüpft man auf dem vor Corona etablierten, in den letzten Jahren deutlich gestiegenen Niveau an. Selbst die Einspringer wie Egilis Silins als Rheingold-Wotan oder im dritten Akt der „Walküre“ der den im zweiten leicht verunfallten (die Designersitzmöbel sind auch nicht mehr, was sie mal waren!) Tomasz Konieczny als Wotan szenisch und vokal vertretende Michael Kupfer-Radetzky waren eher Entdeckung als Ersatz.
Wenn Okka von der Damerau eine referenzverdächtige Erda beisteuert, Christa Meyer die Göttergattin Fricka mit knallharter Eloquenz verkörpert oder Lise Davidsen und Klaus Florian Vogt Sieglinde und Siegmund verkörpern, dann ist das, was die Gemeinde an vokalem Wagnerglück erwartet. Und im Großen und Ganzen bislang auch bekommt.
Mit Mut auf Tradition antworten
Wenn gespaltene Reaktionen auf die Regie (so muss man die erste Buhsalven nach jeder Premiere wohl deuten, das Regieteam stellt sich dem ja erst nach der „Götterdämmerung“ persönlich) auf etwas Polarisierendes, Spannendes, Neues, auf jeden Fall Bewegendes deuten, dann ist auch die szenische Herausforderung gelungen. Schwarz jedenfalls zieht seinen Ansatz unbeeinflusst von möglichen Einwänden oder der stets präsenten Checkliste der Insider durch.
Es fehlt zwar vieles, was eigentlich zum Ring gehört, vor allem fehlt der Ring selbst. Auch der Speer oder die Augenklappe für Wotan, Nothung und der Feuerzauber für Brünnhilde. Dafür gab es aber jede Menge von Personal und Anspielungen, die es bislang in den ersten beiden Ringteilen noch nicht zu sehen gab.
Schwarz hatte seinen Ring als Familiengeschichte angekündigt. Und die fängt nicht im Rhein, sondern im Mutterleib an. Mit einem Video zwei Embryos miteinander kämpfen und der eine des anderen Auge trifft. Wenn das Spiel beginnt, ist der eine, Wotan, Clanchef im Luxus. Jeans und Lederjacke zum ergrauten Haar bei Alberich (Olafur Sigurdarson) lassen auf einen eher weniger erfolgreichen Lebensweg schließen.
Doch ist der so helle, dass er nicht nach irgendwelchem Gold grabscht, sondern sich den Goldjungen vom Pool der Rheintöchter wegschnappt, der die Zukunft ist. Er ist der personifizierte Ring. Jeder will das, was er bedeutet. Nibelheim ist hier eine Kita für die Walküren-Mädels. In der „Walküre“ wird die zum Beauty-Salon für die inzwischen unerträglich selbstverliebt Gewordenen - man versteht, was mit „Weibergezücht“ gemeint ist, auf Anhieb!
Erzählstarke Räume
In der Villa des Wotanclans (Bühne: Andrea Cozzi) kann man sich also gut über eine Art von vorausgreifender origineller Binnenlogik der Regie freuen. In der „Walküre“ wird es dann auch ernst. Es beginnt in einer ziemlich vermüllten Kellerbehausung von Hunding (Georg Zeppenfeld - wie immer erstklassig!) und der bereits hier hochschwangeren Sieglinde. Wenn dann die Winterstürme dem Wonnemond weichen und sich Siegmund und Sieglinde näher kommen, wird deren Erinnerung an die Kinder- und Jugendzeit zum Raum.
Ihre noblen Kinder-und Jugendzimmern aus der Wotansvilla schweben ein. Und damit eine der viel diskutierten Fragen, nämlich die, ob sie hier schon ein Liebespaar wurden? Steht nicht so bei Wagner und ist auch hier nicht sicher. Wäre aber in der Logik der Inszenierung plausibel. Wobei diesmal sogar Wotan als Vater in Frage käme. Kurz vor Siegmunds Tod macht er sich an der Tochter so zu schaffen, dass man das als Vergewaltigungsversuche oder die Erinnerung daran deuten könnte.
Wotan nimmt seinen Hut
Wenn Brünnhilde auf der Flucht mit Sieglinde bei ihren Schwestern Schutz sucht, hat sie den kleinen Siegfried schon im Arm. Akt zwei und drei beginnen mit einem szenischen Coup: im Zweiten ist das der aufgebahrte Sarg von Freia, nebst Trauer-Show der ganzen Wotanssippschaft. Im dritten zieht Schwarz dann für den Walkürenritt alle Register für den Schönheitssalon der Walküren. Nur mit sich selbst beschäftigt, sind diese Frauen völlig unfähig zur Empathie mit Brünnhildes Rettungsambitionen.
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Zum Schluss dann: ein Wotan allein und wörtlich am Boden zerstört. Wenn Fricka am Ende nochmal auftaucht und mit ihm anstoßen will, wird der Feuerzauber von nur einer brennenden Kerze auf ihrem Barwagen vertreten. Aber Wotan stößt mit dieser Frau nicht an. Sie hatte ihn gezwungen Siegmund zu erschießen. Sie mag Recht haben, aber versteht nichts von dem, was Wotan bewegt. Er nimmt seinen (Wanderer-) Hut und geht.
Man ist gespannt, wohin ihn die nächste Folge führen wird. Cornelius Meister jedenfalls ist auch mit dieser „Walküre“ vollständig angekommen. In einem Ring, der bisher, bei aller mitunter überraschenden Sichtweise und ohne manche der gewohnten Utensilien, musikalisch leuchtet und spannend erzählt ist. Fortsetzung folgt.