Harald Naegeli wurde als „Sprayer von Zürich“ erst gejagt und dann gefeiert. Zum 85. Geburtstag eines Bürgerschrecks.
Harald Naegeli wird 85In Köln tanzt der Tod wie nirgends sonst
Heute wirbt sogar Zürich mit Harald Naegeli, dabei war der Sprayer in seiner Heimatstadt lange Jahre ein antibürgerliches Schreckgespenst. Im Schutze der Nacht hatte er Gebäude und Wände mit über Tausend Strichfiguren überzogen und die Einheimischen, so urteilte 1981 der Richter, der Naegeli für sechs Monate ins Gefängnis brachte, „mit beispielloser Härte, Konsequenz und Rücksichtslosigkeit“ in ihrem Glauben an die Unverletzlichkeit des Eigentums erschüttert.
Der „Sprayer von Zürich“ wurde durch seine Haftstrafe nicht geläutert. „Die Bereicherung des öffentlichen Raums ist verboten“, verkündete er trotzig und verlegte seine umstürzlerische Verschönerung von Betonwänden ins Nachbarland. In Köln inspirierte ihn das reiche mittelalterliche Erbe (oder der morbide Charme der Stadt) dazu, seine luftigen Naturgeister in Abbilder des Todes zu verwandeln, wobei seine Knochenmänner nicht die Sichel, sondern das Tanzbein schwingen. Sie drohen nicht mit Höllenqualen, sondern erinnern uns lustvoll daran, dass es keinen Sinn hat, sich hinter Betonmauern zu verschanzen. Am Ende findet der Tod uns doch.
Im katholischen Köln verstand man das. Mehrere Hundert illegale Vanitas-Motive tanzten Anfang der 1980er Jahren durch die Stadt, im Kunstverein würdigte man Naegelis „andere Malerei“ und Anton Legner, damaliger Direktor des Museum Schnütgen für mittelalterliche Kunst, ließ ein Tödlein an eine Wand von St. Cäcilien sprühen. Heimisch wurde Naegeli unter dem Dom trotzdem nicht. Er zog nach Düsseldorf, und sein Todesreigen wurde im Laufe der Jahre durch städtische Reinigungskommandos auf ein Trio zusammengeschrubbt.
Aber die Verbindung zum Museum Schnütgen blieb erhalten. 2018 schenkte Harald Naegeli dem Haus 102 Zeichnungen und Radierungen, 2022 bedankte es sich mit einer Ausstellung zu Naegelis Zeit in Köln. Mittlerweile lebt der schwer erkrankte „Sprayer von Zürich“ wieder am Ort seiner Verbrechen – allerdings werden diese nun anders gesehen. Am 4. Dezember wird Harald Naegeli 85 Jahre alt. (KoM)