Deutschland-PremiereHarry Potter jetzt als Theaterstück – Der Zauber wirkt noch immer
Hamburg – Der Kontrast könnte größer kaum sein. Nass und kalt ist es an diesem zweiten Adventswochenende in Hamburg. Das Mehr!-Theater am Großmarkt liegt im unwirtlichen Niemandsland der Hansestadt. Bürogebäude, ein Hotel, eine Tankstelle, Lagerhallen. Schön ist anders. Doch hier soll sie nun zu Hause sein, die Magie, die seit bald 25 Jahren Millionen begeistert, ihre Schöpferin zu einer reichen Frau und ein armes Waisenkind zu einer der berühmtesten Figuren der Jugendbuchliteratur gemacht hat.
„Harry Potter und das verwunschene Kind“ feiert in Deutschland Premiere. Es ist die erste nicht-englischsprachige Inszenierung des Stücks, das 2016 am Londoner West End uraufgeführt wurde – und so viele Preise in Großbritannien abräumte wie noch keines zuvor. 42 Millionen Euro haben sich die Produzenten den Umbau des Theaters und die Show kosten lassen. Ein hohes Risiko. Doch in London und auch am Broadway war das Stück ein Selbstläufer, der Name Harry Potter lockt die Massen. Was sollte also schiefgehen?
Doch dann kam Corona
Doch dann kam Corona. Und die für März 2020 geplante Premiere musste mehrfach verschoben werden. Auch vor diesem Wochenende werden die Verantwortlichen einige schlaflose Nächte durchlitten haben. Die Inzidenzen steigen, aus der 2G- wurde eine 2G+-Veranstaltung, im Theater herrscht auch auf den Plätzen Maskenpflicht.
Aber all das darf in den kommenden acht (!) Stunden, die die beiden Teile des Stücks mit Pausen dauern, keine Rolle spielen. Ein ganzer Arbeitstag im Potter-Universum. Und abgesehen von den allgegenwärtigen Masken, die die trübe Realität von draußen mitbringen, gelingt der Übertritt in die Zaubererwelt erstaunlich gut. Viele Zuschauer tragen Hogwarts-Pullover, Schals in Gryffindor-Farben oder schwarze Umhänge.
Das Merchandising läuft auf Hochtouren, der Zauberstab aus Schokolade kostet 13, ein T-Shirt 30 Euro. Es ist eine merkwürdige Mischung aus der Kommerzialisierung einer Erfolgsgeschichte und der unschuldigen Faszination, die der Name Harry Potter immer noch und immer wieder ausstrahlt – und der man sich nur schwer entziehen kann.
Erst recht nicht im Dunkel des Theatersaals. „Harry Potter und das verwunschene Kind“ erzählt die Geschichte des bekanntesten Zauberlehrlings und seiner Freunde knapp zwei Jahrzehnte nach der Schlacht um Hogwarts weiter. Und setzt nahtlos am Epilog des letzten Bandes an. Harry und Ginny und Ron und Hermine bringen ihre Kinder zum Bahnhof 9 ¾, wo sie den Zug Richtung Zauberinternat besteigen.
Hermine ist inzwischen Zaubereiministerin, Ron verkauft mit seinem Bruder Scherzartikel, Ginny ist Sportreporterin beim Tagespropheten. Harry arbeitet wie Hermine beim Ministerium und leitet die Abteilung für magische Strafverfolgung.
Nicht gerade ein Sympathieträger
Und er ist zu Beginn nicht gerade ein Sympathieträger. Die Nöte seines Sohnes Albus Severus, dem der Ruf des berühmten Vaters sehr zusetzt, kann er nicht so recht verstehen. Der schüchterne Junge sehnt sich nach Anerkennung – und freundet sich im Zug ausgerechnet mit Scorpius Malfoy an, dem Sohn von Harrys früherem Erzfeind Draco.
Auch er hat es nicht leicht. Es kursieren Gerüchte, seine Eltern hätten keine Kinder bekommen können, sein Vaters sei mit Hilfe eines Zeitumkehrers in die Vergangenheit gereist – und er sei der Sohn von Lord Voldemort. Die beiden Söhne wollen sich, ihren Vätern und der Welt beweisen, dass mehr in ihnen steckt, als die meisten glauben. Als sie vom Schicksal Cedric Diggorys erfahren, der einst beim Trimagischen Turnier starb, beschließen sie, einen kürzlich aufgetauchten Zeitumkehrer zu stehlen, um in der Vergangenheit Cedrics Tod zu verhindern. Doch mit diesem Plan lösen sie ungeahnte und sehr gefährliche Ereignisse aus, die erneut die gesamte magische Welt bedrohen.
Jack Thorne und John Tiffany haben in Zusammenarbeit mit J.K. Rowling bei dieser Geschichte vieles richtig gemacht. Sie befriedigen die Sehnsucht der Fans zu erfahren, wie es mit ihren Helden weitergeht. Die Ermordung Cedrics, der das erste Todesopfer in den Büchern war, markierte das endgültige Ende der Unschuld und ist als Dreh- und Angelpunkt der neuen Geschichte klug gewählt.
Treue zu den Themen
Vor allem aber bleiben sie den Themen treu, die neben all der Magie, den fliegenden Besen, Quidditch-Turnieren und zauberhaften Wesen den Kern der Reihe ausmachen: Auch in „Harry Potter und das verwunschene Kind“ geht es um den Wert der Freundschaft, um Zusammenhalt und Familie, um Söhne, die ihren Platz in der Welt suchen, die sich abgrenzen wollen und die gleichzeitig die Liebe ihrer Väter ersehnen.
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Zu Beginn glaubt man zwar noch, hier beginne gleich jemand zu singen, die Ästhetik gleicht schon sehr der eines Musicals. Aber „Harry Potter und das verwunschene Kind“ ist tatsächlich ein Theaterstück, das seine Protagonisten ernst nimmt und ihnen Entfaltungsraum gibt. Und das Ensemble nutzt seine Gestaltungsmöglichkeiten, allen voran Jilian Anthony als Hermine und Mathias Reiser als stets überdrehter Scorpius, der dennoch nie zur Karikatur gerät.
Die Magie kommt natürlich auf der Bühne nicht zu kurz, die Macher wissen, was das Publikum sich wünscht. Und sie lassen auch Erwachsene staunen. Da fliegen Kämpfende durch die Luft, eine Telefonzelle saugt Zauberer ins Ministerium, leuchtende Zauberstäbe scheinen tatsächlich Übernatürliches zu vollbringen. Und irgendwann fliegen erstaunlich beängstigende Dementoren über die Bühne und durch den Saal.
Kleine Tricks neben großen Effekten
All das überzeugt auch deshalb, weil neben den großen Effekten die ganz kleinen Tricks eine Rolle spielen dürfen. Wenn ein Stuhl durch den Raum zu schweben scheint, ist klar, dass ein schwarz-gekleideter Darsteller das Möbelstück vor einer schwarzen Wand bewegt. Bei anderen Szenen rätselt man hingegen, wie sie das bloß gemacht haben.
„Hattest du nicht auch das Gefühl, es wurde tatsächlich kälter, als die Dementoren kamen?“, fragt eine erwachsene Frau in der Pause in der Schlange vor der Toilette ihre Begleiterin. Sie wirkt immer noch, die Magie der Potter-Welt. Und dieses Theaterstück wird den Hype in Deutschland zweifellos aufs Neue befeuern.