Heike Makatsch„Es geht um die Kunst des Loslassens“
- Heike Makatsch spielt in ihrem neuen Film „Gott, du kannst ein Arsch sein“ eine Mutter, deren 16-jährige Tochter unheilbar an Krebs erkrankt ist.
- Unser Filmredakteur Frank Olbert sprach mit Makatsch, die selbst Mutter ist, darüber, wie nahe ihr die Rolle ging und wie schwierig es ist, das Loslassen zu lernen.
- Außerdem spricht Makatsch über ihre Zeit als Moderatorin und Jugendidol des deutschen Musikfernsehens.
Köln – Frau Makatsch, „Gott, du kannst ein Arsch sein“, dieser Titel ist ein Zitat des Vorbilds für die Hauptfigur, die an einer unheilbaren Krankheit litt. Wie stehen Sie dazu?
Ich übersetze das für mich so: „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ – oder „Voll ungerecht hier alles“, ich betrachte das also nicht in erster Linie religiös. Gott als Lenker des Schicksals oder sogar als das Schicksal selbst, so konkret sehe ich das nicht. Ich begreife es mehr in dem Sinn, dass das Schicksal einem manchmal miese Karten dealt. Ich denke an Gott nicht als einen Entscheider, der es gut oder schlecht mit einem meint. Insofern begreife ich auch den Titel nicht als Blasphemie, sondern als Ausdruck der Verzweiflung darüber, dass das Leben so gar nicht verläuft, wie man es sich gewünscht oder vorgestellt hat. Manchmal macht es einem einen Strich durch die Rechnung, den man nicht verdient hat.
Ich gehe immer mit der gleichen Hingabe ans Set
Ist es für Sie als Schauspielerin ein Unterschied, ob Sie in einem Film nach einem wahren Fall mitspielen oder in einer erfundenen Geschichte?
In dem Fall war es so, dass sich das Drehbuch sehr frei an die letzten Monate von Steffi Pape angelehnt hat – der Film ist eigentlich so wie eine fiktive Geschichte. Eine Geschichte, deren Ursprung allerdings Steffis Tagebuch ist. Ich habe sie deshalb auch immer als eine Geschichte mit einer universellen Message empfunden, eine Geschichte, die uns alle aufrütteln kann, aber nicht nur Steffi Pape so widerfahren ist. Wir alle sterben, manche früher, manche später. In diesem Fall ist es ein besonders trauriges Schicksal, weil das Leben erst beginnen wollte. Ich hatte allerdings nie das Gefühl eines Drucks, so als müsste ich in meiner Rolle der Mutter der Steffi Pape besonders nahe kommen. Ich glaube, für alle zu sprechen, wenn ich sage, dass wir das Gefühl hatten, das Andenken an Steffi respektvoll zu verwalten, indem wir eine Geschichte erzählen, die anderen vielleicht hilft, das Leben noch einmal neu zu betrachten. Vor allem: den Moment zu schätzen.
Aber macht eine solche Geschichte nicht auch Angst? Sie sind doch selbst Mutter.
Man erlebt ja, wenn man Kinder hat – wobei ich nicht sagen will, dass es nicht auch Leuten ohne Kinder so geht –, dass man ungeheure Angst vor dem Verlust eines anderen Menschen hat. Kinder will man gedeihen sehen, man will erleben, wie sie aufwachsen, man wünscht ihnen ein glückliches langes Leben, man will, dass sie all das verwirklichen können, was gut für sie ist, oder wovon man denkt, dass es gut für sie ist – so tickt ja auch Eva Pape. Es gibt nichts Traurigeres, als dass dieses unschuldige Leben, das man in Kindern sieht, so früh versiegen sollte – und dann auch noch das der eigenen Kinder: ein furchtbarer Gedanke, aber einer, den wir alle ab und zu einmal denken. Man kommt gar nicht drum herum: Geh weg von der Straße, lehn dich nicht zu weit aus dem Fenster! Die Vorstellungskraft ist ja vorhanden.
Auch wenn man sie verdrängt.
Natürlich, man suhlt sich nicht darin, aber hin und wieder wird man daran erinnert, was es für ein Geschenk ist, dass es diese Wesen gibt. Oder dass jeder Tag ein Geschenk ist, den man gesund und kräftig erleben darf.
Als Filmmutter begegnen Sie Figuren, die im Alter Ihres eigenen Karrierebeginns sind. Wie haben Sie sich darauf eingestimmt?
Ich habe versucht, diese Mutter zu verstehen. Was ist ihre Reise, wie glaubt sie, mit so einer Krise umgehen zu können? Das ist in dem Fall Kontrolle, Festhalten, Panik, die Maßnahmen des Arztes befolgen. Sie will die Tochter, die sich ja auf eine wirkliche Reise begibt, zurückholen, weil sie denkt, dass sie nur bei den Eltern Sicherheit findet. Und es ist eine Katharsis, als sie sieht, dass ihre Tochter ganz woanders und glücklich ist. Und das ist für die Mutter natürlich eine Erkenntnis, die sie wachsen lässt. Das waren die Gedankenspiele, mit denen ich mich vor dem Dreh befasst habe. Es ging um die Kunst des Loslassens, es ging um den eigenen Bedeutungsverlust als Mutter, je selbstbewusster die Kinder ihr eigenes Leben in die Hand nehmen. Das muss man lernen, und das ist die Reise der Eva Pape.
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Aber bleiben wir mal bei Ihrem Karrierebeginn als Moderatorin bei Viva. Mit welchen Gefühlen denken Sie daran?
Ehrlich gesagt, denke ich nicht oft daran. Es passen so viele Leben in ein einziges Leben, ich denke oft, dass es ein ganz anderer Mensch war, der mit 20 gemacht hat, was ich gemacht habe. Ich habe mal in England gelebt, ich habe bei Viva gearbeitet, ich war mal 20 und jetzt bin ich Ende 40, und das ist für mich nun meine Realität.
„Wir sind euer Sprachrohr und euer Freund. Ab heute bleiben wir für immer zusammen, ok?!“ Ihre ersten Sätze auf Viva. Erinnern Sie sich?
Das war anscheinend so, wie ich es gesagt habe – das wird mir bestätigt von denen, die sich das angeschaut haben. Nach der Schule wurde Viva geguckt, ich weiß gar nicht, ob es heute so etwas gibt, dass so nebenbei Fernsehen läuft. Das spielt sich auf anderen Formaten ab, und ich weiß tatsächlich nicht mehr so genau, wie das alles konsumiert wird: Videos – gibt es die noch? Oder Musik – das ist anders und für mich nicht mehr so ganz dechiffrierbar. Das heißt aber gar nicht, dass es nicht seinen Impact hat auf die Kids heutzutage, die sie sich dort abgeholt oder aufgehoben oder widergespiegelt fühlen. Das ist halt nix mehr für uns. Damals war das alles so ein bisschen handgemacht, im Wohnzimmer, alle haben das Gleiche zur gleichen Zeit geguckt – das wirkt heute anachronistisch. Jeder guckt sein eigenes Ding auf seinem Smartphone – I guess!
Zur Person
Heike Makatsch, geb. 1971 in Düsseldorf, begann als Moderatorin für Jugendsendungen. Ihren Durchbruch als Schauspielerin hatte sie 1996 in Detlev Bucks „Männerpension“ . Sie verkörperte unter anderem Margarethe Steiff und Hildegard Knef, singt und schreibt. In „Gott, Du kannst ein Arsch sein!“ spielt sie die Mutter eines unheilbar kranken Mädchens.
Dann die Wende zur Schauspielerei, die Sie seit 1996 erfolgreich betreiben. Das machen Sie immer noch gern?
Das ist eine lang andauernde und immer noch außerordentlich spannende Reise. Die Projekte, die mit der Schauspielerei verbunden sind, sind immer anders und unterschiedlich, mal kommt was Tolles dabei heraus, mal was Mediokres, mal floppt’s, aber ich gehe immer mit der gleichen Hingabe ans Set und würde mich noch überhaupt nicht am Ende dieses Weges sehen. Ich könnte auch gar nicht zurückblicken und sagen: Das waren also die Highlights! Denn die Schauspielerei ist noch immer ein langer, kreativer Prozess für mich.
Aber manches ragt heraus?
Natürlich sind so außergewöhnliche Projekte wie „Ich war noch niemals in New York“ von herausragender Bedeutung, große Projekte mit viel Kostüm und Maske und Bauten. Da kommt man noch mal anders in dieses Gefühl hinein: Wow, was machen wir hier? Illusion für die Leinwand – aber es gibt auch die kleinen Filme, die hochdramatisch sein können, das ist eine andere, aber ebenso wichtige Qualität.
Die Entdeckungslust bleibt Ihnen also erhalten?
Ja, tatsächlich. Es gibt immer wieder Neues zu entdecken, und wenn es eine Situation ist, in der man lernt zu verstehen, was es für einen Menschen bedeutet loszulassen oder sogar dem Tod zu begegnen, einen Menschen zu verlieren, den man liebte. Was mir im realen Leben glücklicherweise noch nie widerfahren ist, und trotzdem beschäftige ich mich damit. Das ist sozusagen der Mehrwert, den jeder Film mit sich bringt.