Ist Hip-Hop für alle da? Die Autoren von „Remix Almanya“ haben darauf eine Antwort. Eine historische Spurensuche führt auch nach Köln.
Hip-Hop-Sachbuch „Remix Almanya“Wem gehört die Rap-Utopie?
Hip-Hop hat in Deutschland eine Selbstermächtigung erlebt: Er ist vom gesellschaftlichen Rand in die Mitte gerückt. Rapper und Rapperinnen sind kommerziell erfolgreich, Kiezdeutsch ist Kanon und Popkultur ohne Hip-Hop nicht denkbar. Auf diesem langen Weg ist auch Köln eine wichtige Ortsmarke. Heute stellt sich die Frage: Gehört der Hip-Hop jetzt uns allen? Womöglich nicht, denn wie tief die Hip-Hop-Kultur mit der Migrationsgeschichte der Bundesrepublik, deren politischen Umbrüchen und der Community in Köln verstrickt ist, zeigen Murat Güngör und Hannes Loh in ihrem neuen Buch „Remix Almanya“. Sie erzählen, wie das in den Anfängen so transnationale Genre „Rap“ zu „Deutschrap“ umgedichtet wurde, wie Hip-Hop trotzdem einen postmigrantischen Raum erschaffen konnte und wie er als Utopie weiterlebt, um spalterischen Erzählungen der Gegenwart etwas entgegenzusetzen.
Gleichzeitig problematisieren die beiden Aktivisten Loh und Güngör all das, was es ganz aktuell innerhalb der Szene zu problematisieren gibt: interne Diskriminierung, Gender-Ungleichheiten, Nationalismus und die altbekannte Stilisierung des Rappers zum unverletzlichen Übermann. „Remix Almanya“ ist dabei eben kein Text über Hip-Hop, sondern eine Stimme aus dem Hip-Hop. Güngör und Loh waren schon in den 80er Jahren Teil der Szene, dabei künstlerisch aktiv und kennen persönlich viele prägende Figuren, die im Rahmen eines ausführlichen Interview-Blocks auch selber zu Wort kommen. Im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ sagt Murat Güngör: „Hip-Hop war damals Teil unserer persönlichen Lebensrealität! Man sog diese Kultur in sich hinein. Mein Ansatz war: Machen! Später kam ich dann durch Hannes stärker zum Schreiben.“ Der ergänzt: „Mein Freundeskreis bestand damals erst nur aus Deutschen. Für mich hat der Einstieg in die Hip-Hop-Kultur dann dazu geführt, dass ich ganz unterschiedliche Menschen mit transnationalem Hintergrund kennengelernt habe. Das hat auch meinen Blick auf die Gesellschaft sehr verändert.“
Dass „Remix Almanya“ eine Innenansicht aus dem Hip-Hop ist - nicht wissenschaftlich, aber sachlich - zeigt auch die Sprache. Hier werden (im Originaltext ebenfalls gegenderte) Zweifler:innen mit „Hatern“ in einem Zuge genannt. Die Geschichte wird in einem distanzierteren Modus von den Autoren mal als problematisch bezeichnet, kann aber auch einfach ein „Hundesohn“ sein.
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Aus Deutschland wird Almanya
Diese sprachliche Flexibilität und der unmittelbare, persönliche Bezug zur postmigrantischen Realität bringt die Aktivisten dazu, dass Deutschland als Raum in ihrer Arbeit sogar einen ganz anderen Namen trägt. Zu viel Ausgrenzungsgeschichte und antiquierte Identität hänge am Wort „Deutschland“. „Almanya“ nennen sie die postmigrantische Sphäre in ihrem Werk stattdessen. Bei der Lektüre stolpert man immer wieder über das titelgebende Wort - das ist Absicht: „Wir haben diesen Begriff Almanya bewusst gewählt“, erläutert Murat Güngör. „Zum einen als Provokation, zum anderen, weil die Beschäftigung mit Hip-Hop uns eine Utopie offenbart hat. Eine Geschichtsschreibung von Menschen, die aus verschiedenen Kulturen willkommen geheißen wurden und sich ausdrücken konnten, ohne auf ihre ethnische und soziale Herkunft reduziert zu werden. Unser Verständnis von Almanya ist ein Angebot an die Gesellschaft. Es ist eine Utopie, die nicht mit Ein- und Ausschluss von diversen Gruppen arbeitet. Die aktuelle Realität im Land wird dem oft noch nicht gerecht.“
Romantisiert wird das multilinguale und multinationale Zusammenleben außerhalb vom Hip-Hop eben gerade nicht. Die Autoren zeigen, wie konsequent die Bundesrepublik früher und heute daran scheitert, sich als echte Einwanderungsgesellschaft zu begreifen. Die Chronik führt dabei von der Zeit der ersten sogenannten Gastarbeitergeneration über die Geistig-moralische Wende unter Altkanzler Helmut Kohl bis in die hitzige Gegenwart, in der wieder Unwörter wie „Remigration“ aufkeimen.
Empowerment „Made in Cologne“
Fokussieren die Autoren in dieser geschichtlichen Betrachtung ihren Blick dann aber auf die Spuren der postmigrantischen Rap-Utopie, landen sie auch immer wieder in Köln: Im Niehler Ford-Werk, wo die „Gastarbeitergeneration“ bereits in den 70er Jahren eine eigene Sprache und ein musikalisches Empowerment hervorbringen konnte; auf dem Hansaring, der Geburtsstätte des Pionier-Labels Türküola Müzik; und in den Vierteln von bekannten Künstlern wie Eko Fresh, aufgewachsen in Köln-Kalk. „Eko Fresh wird ja jetzt mit dem Holger-Czukay-Preis für Popmusik geehrt - überfällig, finde ich. Er hat schließlich bestimmte Orte in Köln erst sichtbar gemacht: Mülheim, Keupstraße, Kalk, Gremberg. Alles Gegenden, die durch Eko im medialen Diskurs aufgetaucht sind“, sagt Hannes Loh.
In Anbetracht solcher Fortschritte ist der Leser immer wieder hin- und hergerissen, ob „Remix Almanya“ nun eine Multikulti-Erfolgsgeschichte ist oder ein Fingerzeig auf nicht heilen wollende gesellschaftliche Wunden. Sicherlich etwas dazwischen. Das Buch räumt romantische Illusionen von einem deutschen „Melting pot“ beiseite, bietet aber die Hip-Hop-Kultur als (trotz allem nicht hierarchiefreie) postmigrantische Utopie an. Wem das zu gewagt ist, der wird durch „Remix Almanya“ immerhin an Verständnis darüber gewinnen, warum Rap in Deutschland so ist, wie er ist - sprachlich, kulturell und ästhetisch. Und warum er mittlerweile im Radio rauf- und runterläuft.
Die Eingangsfrage danach, wem Hip-Hop und der zugehörige Slang gehört, beantworten die Autoren zwar wie im Buch mahnend, aber auch versöhnlich: „Man muss einfach wissen, auf wessen Schultern man steht. Meine Kinder (ohne Migrationsgeschichte) nutzen auch eine Sprache, die vom Gangsta-Rap und damit von Migrationserfahrung geprägt ist. Aber sie nutzen sie nicht, um sich über andere zu erheben, sondern weil sie sich in der Haltung wiederfinden. Das ist ja dann sogar ein verbindendes Element“, findet Hannes Loh. Als Murat Güngör mit Hip-Hop in Berührung kam, hätte die Kultur nicht danach gefragt, wo du herkommst. Dazu sagt er: „Wir finden es spannend, dass das multilinguale Sprechen in der Mehrheitsgesellschaft angekommen ist. Trotzdem gilt: Es ist von Rassismuserfahrungen durchzogen und bleibt das auch. Das sollte man nie vergessen. Je nachdem, wer sich dieser Multilingualität bedient, gilt wahlweise als cool oder wird als asozial stigmatisiert. Ungleichtheit wird auch im Sprechen erzeugt.“ (Leon Iselt)
Lecture Performance in Köln
Am 13. Dezember 2024 stellen Murat Güngör und Hannes Loh „Remix Almanya“ in einer Lecture Performance im King Georg (Sudermanstraße 12) vor. Tickets kosten 11 Euro
„Remix Almanya: Eine postmigrantische HipHop-Geschichte“ von Murat Güngör, Hannes Loh und Uh-Young Kim ist im Hannibal Verlag erschienen, 412 Seiten kosten 27 Euro.