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Holocaust-Überlebender erzählt„Vieles erinnert mich heute an die Weimarer Republik“

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Sally Perel bei einer Lesung in der Leverkusener Marienschule Anfang Dezember. Der 95-Jährige erklärt im Interview, was ihn heute an die Weimarer Republik erinnert.

  1. Sally Perel ist Jude. Er hat den Holocaust überlebt – getarnt als Deutscher, beeinflusst von der NS-Ideologie.
  2. Der 95-Jährige erzählt im Interview, warum er immer noch regelmäßig Schulen besucht. Er spricht darüber, was dem gesellschaftlichen Diskurs fehlen wird, wenn bald keine Zeitzeugen mehr leben werden – und was der Klimawandel mit Faschismus zu tun hat.
  3. Die politischen Entwicklungen in Deutschland bereiten Perel große Sorgen. Der Mord an Walter Lübcke hat böse Erinnerungen geweckt.

Herr Perel, Sie besuchen regelmäßig deutsche Schulen. Warum?

Ich empfinde es als Pflicht, die jungen Mitmenschen als Überlebender aufzuklären. Ich will aus dem Bösen, was ich erlebte, etwas Gutes machen. Ich will unbedingt auf die erneute Gefahr aufmerksam machen, die in Deutschland deutlich zum Ausdruck kommt und massiv gewählt wird.

Wie groß ist das Interesse von Schülerinnen und Schülern an Ihrer Geschichte?

Das Interesse ist riesengroß. Die Schüler sagen immer, sie wurden bereichert. Sogar eine Geschichtslehrerin sagte, sie könne viel von mir lernen. Heute sagte ein Schüler: „Du bist ein Geschenk“.

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Es gibt immer weniger Zeitzeugen. Wird Ihnen heute dadurch anders zugehört?

Nein. Meine Geschichte ist so interessant und vielseitig wie ein Krimi, mir wird immer zugehört.

Was geht dem gesellschaftlichen Diskurs verloren, wenn es einmal keine Zeitzeugen mehr geben wird?

Dann werden nur noch Bücher, Dokumente und Filme da sein. Mit diesen Beweisen fällt es leichter, den Holocaust zu leugnen – es kann gesagt werden, sie wären gefälscht. Ein wirklicher Zeitzeuge bewirkt viel mehr, da spürt jeder: Das ist echte Wahrheit, das kommt von Herzen. Ein Buch kann jeder schreiben, es kann aber nie bewiesen werden, was da steht. Mündliche Zeitzeugen können das, das wird uns fehlen.

Unter Feinden

Sally Perel, geboren am 21. April 1925 in Peine, lebte als verdeckter Jude während des Zweiten Weltkriegs in Deutschland. In der „Hitlerjugend“ identifizierte er sich mit der nationalsozialistischen „Rassenkunde“ und haderte mit seiner jüdischen Herkunft. Heute sagt er über die Zeit im Dritten Reich: „Den Nazis ist es gelungen, mein Gehirn zu vergiften.“ Perel tritt als einer der letzten NS-Zeitzeugen regelmäßig in Schulen auf und liest dort aus seiner Autobiografie „Hitlerjunge Salomon“.

In vielen europäischen Staaten werden erfolgreich rechtspopulistische Wahlkämpfe geführt. Erinnert Sie das an die Zeit vor dem Dritten Reich?

Ja, vieles erinnert mich an die Weimarer Republik. Genau so hat es begonnen – nur sind wir heute viel weiter. Damals gab es immer wieder Gewalttaten: Hier wurde ein Kommunist erschossen, da ein Gewerkschaftler verprügelt. Es hieß immer, das seien Einzelfälle, man nannte das „Wildkraut“. Es wurde weggeschaut, und irgendwann wurden diese Verbrecher gewählt. Vor wenigen Monaten wurde Walter Lübcke ermordet. AfD-Wähler sind dumme Wähler. Wenn es keine Möglichkeit mehr gibt, eine Koalition ohne die AfD zu bilden, sind wir bald so weit wie am Ende der Weimarer Republik.

Passiert in der Aufarbeitung des Holocaust in Deutschland heute genug?

Nein, man kann immer mehr machen. Aber Schüler fahren heute regelmäßig nach Auschwitz und Buchenwald, das gab es früher nicht. Das finde ich sehr gut.

Ist Deutschland anfälliger für faschistische Ideologien als andere Staaten?

So scheint es sein. Dass es zum zweiten Mal eine weite Verbreitung solcher Ideen gibt, ist unbegreiflich. Deutsche hatten – im Gegensatz zu anderen Mitteleuropäern – immer Kaiser, Könige, Feldherren oder Kronprinzen. Sie wurden immer zu absolutem Gehorsam erzogen. Dass es hier keine französische Revolution gab, ist kein Zufall. So etwas war in Deutschland nie möglich, hier ist der Boden leichter. Sobald es hier eine politische oder wirtschaftliche Krise gibt – das Flüchtlingsthema war eine politische Krise –, dann sind faschistische Gruppen da.

Was müssen wir als Gesellschaft leisten, um ein autoritäres Regime zu verhindern?

Man muss demonstrieren, man muss Schulen aktiv machen. Schulen dürfen nie gleichgültig sein – sie müssen ihre Verantwortung wahrnehmen und gegen Rassismus vorgehen, auch gegen Umweltzerstörung. An diesen Themen müssen Schulen aktiv Anteil nehmen, dürfen nie isoliert sein. Junge Menschen müssen dafür kritisch denken, nicht zu allem Ja sagen.