Netflix und andere Sender läuten einen neuen Trend ein: kitschige Weihnachts-Romanzen, in denen Frauen halbnackten Männern nachstellen.
„Hot Frosty“, „The Merry Gentlemen“ auf NetflixHilfe, Weihnachtsfilme sind jetzt sexy!
Wenn die Thermostate anspringen und Schoko-Nikoläuse die Supermarktregale füllen, stellen Bezahlsender und Streaming-Plattformen ihre neuesten Weihnachtsfilme ins Programm, kuschelige Romanzen in übersättigtem Grün-Rot. Angefangen hatte damit vor gar nicht allzu langer Zeit der amerikanische Hallmark-Channel, ein TV-Ableger der bekannten Grußpostkartenfirma. Der läutete 2009 den „Countdown to Christmas“ ein, mit damals ganzen vier Eigenproduktionen. Die Zahl hat sich im Laufe der Jahre verzehnfacht, zudem produzieren inzwischen auch andere Anbieter wie der US-Bezahlsender Lifetime und der Streaming-Gigant Netflix Weihnachtsfilme nach bewährtem Hallmark-Muster. Die funktionieren ähnlich wie extra hässliche Weihnachts-Strickpullis: Man begegnet ihnen mit hochgezogener Augenbraue. Dann macht man es sich in ihnen gemütlich.
In der vergangenen Adventszeit fügte Lifetime der immergleichen Mischung eine pikante Note hinzu: Der Film „A Cowboy Christmas Romance“ hob sich durch die erste Sexszene des festlichen Genres von der keuschen Konkurrenz ab. Die war zwar völlig jugendfrei und bestand zum größten Teil aus dem im golden-schimmernden Dämmerlicht abgefilmten Sixpack des männlichen Hauptdarstellers, doch man muss das im Kontext betrachten: So ein Beischlaf im Pferdestall, in unmittelbarer Nachbarschaft von Lichterketten, Lametta und lieblichen Weihnachtsliedern, bleibt eine unverhoffte Bescherung.
„A Cowboy Christmas Romance“ war der erste Weihnachtsfilm mit einer Sexszene
Das Geschenk kam beim Zielpublikum gut an, weshalb in dieser Weihnachtssaison gleich ein halbes Dutzend aufgesexte Weihnachtsfilme unterm Tannenbaum liegen: Apfel, Nuss und Waschbrettbauch lautet die neue Festtradition. Lifetime etwa legt mit „A Carpenter Christmas Romance“ nach, wie sein Cowboy-Vorgänger geschrieben und produziert von der langjährigen „Grey’s Anatomy“-Darstellerin Sarah Drew. Im Quasi-Sequel spielt Sasha Pieterse eine Bestseller-Autorin, die sich vor übergriffigen Fans ins idyllische Kaff ihrer Kindheit rettet und dort auf einen alten Schulschwarm (Mitchell Slaggert) trifft, der sich körperlich bestens entwickelt hat und als Tischler hilft, das bei einem Feuer schwer in Mitleidenschaft gezogenen Dorf wiederaufzubauen – vorzugsweise oberkörperfrei.
„Ich liebe dich nur wegen deines fantastischen Körpers“, juchzt Jessica Lord als sie in „Christmas in the Spotlight“ ihre Hand auf die durchtrainierte Brust ihres Co-Stars mit dem fantastischen Namen Laith Wallschleger legt. Der ironische Unterton verbirgt das ungebremste Verlangen nur notdürftig, wie eine notdürftige Geschenkverpackung. Wallschleger spielt einen Football-Star, Lord eine Popdiva auf der Suche nach dem Richtigen. Sie sei zuvor nur mit ernsten Schauspielern und Indie-Rockern ausgegangen, haucht die Sängerin, da sei so eine Sportler-Physis noch völlig ungewohnt. Der Film, ebenfalls eine Lifetime-Produktion, imaginiert die Klatschspalten-Romanze von Taylor Swift und Travis Kelce als heiße Weihnachtsfantasie für Freundschaftsbändchen-Fanatikerinnen.
Auch Netflix folgt dem Trend zum gepfefferten Eierlikör-Content, unter anderem mit „The Merry Gentlemen“ (wie im englischen Weihnachtslied „God Rest You Merry, Gentlemen“). Der hält sich zwar streng an den beliebten Weihnachtsfilm-Topos „Großstadtfrau kehrt in die festlich dekorierte Kleinstadt zurück und verliebt sich in den örtlichen Handwerksburschen“, aber hier ist das City-Girl (Britt Robertson) eine Broadway-Tänzerin, die den strauchelnden Veranstaltungsraum ihrer Eltern mit einer Chippendales-ähnlichen Weihnachts-Revue vor der Pleite retten will. Chad Michael Murray gibt den nur anfangs unwilligen Hobbystripper der Herzen. „The Merry Gentlemen“ ist „The Full Monty“, aber mit einem Extrateller Plätzchen vor den entscheidenden Stellen.
Fast noch unverfrorener huldigt „Hot Frosty“ dem Ideal des männlichen Sixpacks. Lacey Chabert, Veteranin unzähliger Hallmark-Weihnachtsfilme wie „Pride, Prejudice, & Mistletoe“ oder „Christmas in Rome“, spielt darin eine junge Witwe, die sich in einen Schneemann verliebt. Das muss man erst einmal sacken lassen. Dustin Milligan, der liebenswerte Tierarzt aus „Schitt’s Creek“, muss als aufgetaute Eisskulptur namens Jack einzig mit einem magischen Schal bekleidet durch die schnee- beziehungsweise styroporbedeckte Klischee-Kleinstadt mit dem sprechenden Namen Hope Springs hüpfen. Ein reiner Tor, unbedarft wie Olaf aus den „Die Eiskönigin“-Filmen, aber mit definierten Muskeln und ohne störende Karotte.
„Du wirst niemals Wärme finde, wenn du dich nicht in die Kälte traust“, mahnt ein altes Ehepaar die trauernde Kathy. Sie ist dann beinahe die Letzte, die dem naiven Charme von Jack erliegt. „Die Wissenschaftlerin in mir sagt, das ist unmöglich“, sagt die Dorfärztin, nachdem sie Jacks Temperatur gemessen hat. Dann verschlingt sie ihren unterkühlten Patienten mit den Augen und fügt hinzu: „Aber es ist ja Weihnachten!“ Auch die restlichen Einwohner von Hope Springs haben den allzeit Hilfsbereiten längst als einen der ihren akzeptiert, mit Ausnahme von Craig Robinson (der „Pontiac Bandit“ aus „Brooklyn Nine-Nine“), dem so paranoiden wie geltungssüchtigen Dorfsheriff: Jede gute Weihnachtsgeschichte braucht ihren Ebenezer Scrooge.
Bedient sich „The Merry Gentleman“ großzügig bei „Magic Mike“, so versetzt „Hot Frosty“ „Edward mit den Scherenhänden“ ins winterliche Dekor: Jack repariert jede undichte Stelle im Haus im Nu, spricht frei über seine Gefühle, kocht und shoppt gerne. Ein so perfekter Mann, schwärmen Kathys Nachbarinnen, da muss es ja mit Zauberei zugehen. Wenn er denn nicht ständig Gefahr liefe, zu schmelzen, sobald man ihm zu nahe kommt. So dient der heiße Frostkerl zugleich als Sexobjekt und als Symbol für fragile Männlichkeit. Und natürlich ist das Ganze von schamloser Albernheit: „Hot Frosty“ ist alles andere als ein Meisterwerk, aber doch der „Citizen Kane“ im jungen Genre des sexy Weihnachtsfilms.