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Im KZ Majdanek ermordetKölner Pianist entdeckt vergessenen Komponisten

Lesezeit 4 Minuten

Pianist Alexander Breitenbach interpretiert Ernst Bachrich.

Köln – Sie hat ihn gepackt, die Musik des Anfangs, die erste Begegnung mit einem ihm fremden Werk, die Musik, die er erst spielen musste, um sie hören zu können, die er für sich und dann für andere auch erschließen wollte, um sie zu verstehen. Damit hat Alexander Breitenbach einen Schatz gehoben. Der Pianist, 1997 geboren und in Siegen aufgewachsen, ist im Zuge seines Studiums an der Hochschule für Musik und Tanz in Köln auf den österreichischen Komponisten Ernst Bachrich gestoßen.

„Schau dir das mal an“, habe seine Professorin gesagt. Florence Millet leitet an der Musikhochschule das Projekt „EchoSpore“, das sich der Wiederentdeckung verfolgter Komponistinnen und Komponisten widmet. Sie wolle, so Florence Millet, ihre Studierenden nicht allein pianistisch ausbilden, sondern auch dazu anregen, „sich zu engagieren, sich zu positionieren“.

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„Alexander Breitenbach hatte schon Reger gespielt, später auch Berg-Sonaten, in dieser Sprache fühlt er sich wohl.“ Und so habe sie den eher empfindsamen Studenten mit dem expressionistischen Werk Ernst Bachrichs zusammengebracht. Breitenbach machte sich, auch auf der Basis einer intensiven Recherche des US-amerikanischen Musikhistorikers Matthew Vest, auf die Spur des Pianisten, Dirigenten und Komponisten.

Dessen Geschichte beginnt am 30. Mai 1892 in Wien und endet am 11. Juli 1942 im Konzentrationslager Lublin-Majdanek, vorläufig jedenfalls. Ernst Bachrich wächst künstlerisch im Umfeld der Zweiten Wiener Schule heran, ist Schüler von Arnold Schönberg – wie vor ihm Alban Berg oder Anton von Webern, wie nach ihm Hanns Eisler oder Rudolf Serkin. Er ist gut vernetzt, weitet seine Kreise nach München, nach Paris und weckt Interesse auch an der Metropolitan Opera in New York. Acht Jahre arbeitet er als Dirigent an der Volksoper Wien, wechselt 1928 ans Stadttheater Düsseldorf, von dort im Jahr darauf ans Vereinigte Stadttheater Duisburg-Bochum.

Der Komponist Ernst Bachrich

Als die Nationalsozialisten an die Macht kommen, erhält Bachrich, weil er Jude ist, in Deutschland keine Engagements mehr. Er geht zurück nach Wien, wird dort 1938 (nach dem „Anschluss“ Österreichs ans Deutsche Reich) mit einem Berufsverbot belegt. Fast trotzig arbeitet der Musiker weiter. Nach dem Transport zunächst ins Ghetto Izbica wird Ernst Bachrich in Majdanek ums Leben gebracht – sein Schicksal teilen dort 80 000 Menschen.

Eine Konstante in Bachrichs Welt ist die Komposition. Angefangen von der Sonate für Klavier op. 1 (1917) über sein Hauptwerk, die Sonate für Violine und Klavier op. 2 (1925), bis zu den „frühen Versen“ (1935) für Klavier und Sprechstimme, in denen er die „Musik des Anfangs“ beschwört. Seine Stücke für Klavier solo und für Klavier und Geige bzw. Gesang haben Alexander Breitenbach, Lola Rubio (Violine) und Anna Christin Sayn (Sopran) beim Berliner Label „eda records“ eingespielt. Ihr Album ist ein Werk, das anfasst, das ergreift – im Wissen um ein brutal beendetes Künstlerleben, vor allem aber dank des enorm präsent gestaltenden Musizierens des Pianisten und seiner Mitstreiterinnen. Sie lassen Anklänge an Bachrichs Vorbilder (wie Skrjabin, wie Debussy, wie Schönberg) hören und arbeiten zugleich dessen eigene intensive Tonsprache – atonal, aber immer mit Bezügen zum Vorangegangenen – heraus.

Zur Person

Der Pianist Alexander Breitenbach absolviert augenblicklich an der Kölner Musikhochschule sein Masterstudium bei Professor Claudio Martinez-Mehner. Seit 2019 arbeitet er auch als Dozent; er unterrichtet Studierende mit Klavier im Nebenfach. Neben seiner solistischen Tätigkeit ist er als Liedbegleiter im Duo und als Kammermusiker aktiv.

„Ernst Bachrich – Ein Portrait“ ist 2019 als CD bei „eda records“ in Zusammenarbeit mit DLF Kultur erschienen und auf Verkaufs- und Streaming-Plattformen erhältlich.

„Einfach gute Musik“, sagt Breitenbach über das, was er gefunden, studiert und interpretiert hat. Dass diese Musik eine solch unmittelbare Wirkung entfaltet, mag auch am Ort der Produktion liegen: Aufgenommen wurden Bachrichs Werke in der Jesus-Christus-Kirche in Dahlem, die 1933 bis 1945 Zuhause der Bekennenden Kirche mit Pfarrer Martin Niemöller war. Es ist, als spräche der Raum in diesem Zusammenspiel mit.