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Interview mit Elke Heidenreich„Für mich ist die lit.Cologne dieses Jahr gestorben“

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Elke Heidenreich

Die Bestseller-Schriftstellerin Elke Heidenreich ist bekannt dafür, kein Blatt vor den Mund zu nehmen – schon gar nicht, wenn es um ihre Wahlheimat Köln geht. Ein Gespräch über den Schmerz, das Literaturfestival lit.Cologne (hier gibt es noch Karten für laufende Veranstaltungen) in diesem Jahr nur digital erleben zu können, Kleidung vom Wühltisch, Feminismus und Gendern. Sie können das Gespräch hier als Podcast hören oder mit KStA PLUS lesen.

Frau Heidenreich, im Moment findet die lit.Cologne statt, aber in der Stadt merkt man nicht viel davon, weil die Lesungen digital sind. Wie sehr schmerzt Sie das?

Der Schmerz ist groß, ich sehe die Anstrengungen des lit.Cologne-Teams, das Festival in kürzester Zeit digital auf die Beine zu stellen. Aber ich bin ganz ehrlich: Für mich ist das sehr traurig. Die Begegnung mit dem Publikum und den Menschen, das ist alles so wichtig und macht das Besondere des Festivals aus. Ich bin in einem Alter, wo ich mich nicht mehr zuhause vor den Computer setze und Lesungen streame. Für mich ist die lit.Cologne dieses Jahr ebenso gestorben wie im letzten Jahr.

Sie sind dafür bekannt, kein Blatt vor den Mund zu nehmen – gerade auch, wenn es um die Stadt Köln geht. „Köln ist dreckig und planlos“ haben Sie in einem Interview vor einem Jahr anlässlich der lit.Cologne gesagt.

Gucken Sie sich mal das Operndesaster an, das Desaster mit den jetzt schon wieder ersatzbedürftigen Treppen am Dom, das Desaster Breslauer Platz oder das Desaster Kardinal Woelki. Keiner trifft in Köln mal eine gescheite Entscheidung, es dümpelt alles vor sich hin, und dreckig ist es in der Tat. Während Corona waren viel mehr Leute spazieren. Wenn man nach dem Wochenende in den Südpark oder in den Forstbotanischen Garten geht, ist das grauenhaft. Es ist alles immer ein bisschen verschlampt in Köln, dafür werden die Radwege immer breiter. Na toll.

Einige Prominente der Schauspielszene haben mit der Video-Aktion #Allesdichtmachen protestiert. Wie haben Sie die Aktion wahrgenommen?

Ich fand manches ganz komisch. Ich will keinem von denen unterstellen, dass sie sich lustig machen über Sterbende und Kranke. Die haben einfach versucht, dass die Kultur überhaupt mal wieder gehört wird, dass Musiker und Kulturschaffende auftreten können. Das war vielleicht nicht der richtige Ansatz, aber böse Absicht oder Zynismus war es nicht. Wir sind alle etwas hysterisch geworden.

Die Kulturszene hat sehr gelitten in der Corona-Zeit. Was bereitet Ihnen die größten Sorgen?

Einiges geht sicher kaputt, aber ich hoffe, dass auch Neues erwachsen wird, weil der Hunger nach Kultur groß ist. Aber bei einem darf man sich nichts vormachen. Die Stadt Köln hat einen fatalen Griff für Kulturdezernenten, die ich fast durchweg grauenhaft fand bis hin zur heutigen. Und man sieht ja am Opernelend, dass sie es nicht in den Griff kriegen.

Wenn Sie sagen, dass Sie mit den Vorgängerinnen und Vorgängern nicht glücklich waren: Was wünschen Sie sich von der Nachfolge von Frau Laugwitz-Aulbach?

Leidenschaft, Bildung, Toleranz. Dass abends auch mal Veranstaltungen besucht werden, kleine wie große, um sich mit den Leuten zu unterhalten. Die Kulturstaatsministerin Monika Grütters ist da sehr vorbildlich, wenn wir so jemanden in klein in der Stadt hätten, wäre ich schon dankbar. Jemand, der sich wirklich engagiert und nicht aus dem Schneckenhaus immer sagt: Diesen Hut setze ich mir nicht auf. Es wird höchste Zeit für die Ablösung.

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Sie haben im vergangenen Jahr ein Buch über Kleidung geschrieben. Viele haben in der Corona-Krise gemerkt, dass Jogginghosen auch gemütlich sind und sie sich früher eben nicht nur für sich selbst schön gemacht haben. Wie ist das bei Ihnen?

Im Moment macht man nichts, das stimmt. Ich schminke mich privat allerdings auch nicht und habe in meinem Leben noch keinen Lippenstift besessen. Schminken und Kämmen ist bei mir also sowieso kein Thema. Ich laufe gerne bequem rum zuhause. Am Schreibtisch bin ich allerdings immer anständig angezogen und auch der Schreibtisch ist aufgeräumt. Äußere Ordnung macht innere Ordnung.

Was fasziniert Sie an Kleidung? Gerade Intellektuelle tun ja oft so, als sei sie ihnen egal, vermutlich aus Angst, oberflächlich zu wirken.

Kleidung ist mir überhaupt nicht egal. Kleidung ist keinem egal, wir wollen alle anständig aussehen und gewärmt werden. Mode ist mir egal! Ich habe das Buch geschrieben, weil ich gemerkt habe, dass an Kleidungsstücken Erinnerungen hängen. Wenn man bei einem Rendezvous etwas Falsches anhat, kann der Kerl noch so gut küssen. Warum Menschen im Theater Kapuzenpullover tragen, habe ich auch noch nicht begriffen.

Anlässlich der lit.Cologne müssen wir über die Kraft des Buchs sprechen! Sie haben mal gesagt, Bücher hätten Sie gerettet. Wovor?

Vor allem. Vorm Dummsein vor allem. Aber auch als ich jung war und unglücklich verliebt und in einem nicht so schönen Elternhaus aufwuchs, haben mir Bücher die Welt erklärt und mir gezeigt, dass nicht nur ich alles falsch mache, sondern es anderen auch so geht. Ganz konkret haben sie mich jetzt auch in der Corona-Zeit gerettet. Wenn man ein Buch erwischt, das einen fesselt und unterhält, gehen die trüben, langweiligen Tage besser rum.

Elke Heidenreich (77) ist Schriftstellerin und Literaturkritikerin für Fernsehen, Radio und Zeitungen. Sie war zunächst als Moderatorin tätig. Deutschlandweit bekannt wurde sie als Kabarettistin durch die Verkörperung der Figur „Else Stratmann“ . Von 2003 bis 2008 moderierte sie die ZDF-Literatursendung „Lesen!“. Sie ist zudem seit 2012 Mitglied der Kritikerrunde des „Literaturclubs“ im Schweizer Fernsehen. Zuletzt erschien von ihr bei Hanser „Männer in Kamelhaarmänteln“ (224 Seiten,22 Euro). Im „Kölner Stadt-Anzeiger“ gibt sie immer samstags Literaturtipps.

Ist die Literaturszene zu verkopft?

Ja, ich habe mit meiner Sendung „Lesen“ gezeigt, dass es anders geht. Wir haben die Sendung mehr als fünf Jahre gemacht und fast jedes Buch landete auf der Bestsellerliste. Das war nicht, weil ich so toll bin, sondern weil die Leute Lust hatten, diese Bücher zu lesen. Man muss in einfachen Worten darüber reden. Ohne intellektuellen Hochmut. Einfach sagen: Das hat mir gefallen weil… und: hier geht es lang.

„Hier geht’s lang. Mit Büchern von Frauen durchs Leben“ heißt auch Ihr neues Buch, das im September erscheint. Wann ist Ihnen aufgefallen, dass es vor allem Bücher von Frauen waren, die Sie geprägt haben?

Vor einem Jahr erst. Ich habe immer alles gelesen, Hemingway, Proust, Steinbeck, dieses toxische, männerstrotzende Zeug von Philip Roth. Ich hatte nie das Problem, ob ich Mann oder Frau lese, sondern: Lese ich ein gutes Buch? Als ich auf die Uni kam und Leselisten kriegte, waren darauf nur Männer, die einzige Ausnahme war Annette von Droste-Hülshoff. Dann habe ich angefangen, Frauenbücher zu lesen und habe mich reingeschafft in Simone de Beauvoir oder Virginia Woolf. Aber erst, als ich alt war, habe ich gemerkt, dass das ganz viel mit mir gemacht hat, weil die Frauen den Blick auf die Welt haben, den ich auch habe. Darüber wollte ich ein Buch schreiben. Nicht feministisch, nur einfach über den Blick der Frauen auf die Welt, in der wir leben.

Sie sprechen über den Blick auf die Welt, den Frauen haben. Haben Sie das Gefühl, dass Frauen früher versucht haben, einen männlichen Stil zu kopieren, weil das erfolgreich und anerkannt war.

Ich glaube nicht, dass Frauen den männlichen Stil kopiert haben. Schaut man zurück in die Literaturgeschichte, waren Frauen immer die Musen von Männern. Die Männer haben geschrieben, die Frauen haben gekocht, Kinder großgezogen und ihnen den Rücken freigehalten. Wenn Frauen geschrieben haben, haben Männer nicht gekocht. Sie mussten sich das Schreiben erkämpfen. Und unendlich viele Frauen sind daran gescheitert, Frau zu sein, Geliebte, Mutter – aber auch intellektuell und schöpferisch. Es geht fast nicht.

Bezeichnen Sie sich selbst als Feministin?

Nein, eigentlich nicht. Ich bin ein Mensch, der Menschen völlig gleichberechtig sehen möchte. Ich bin keine Feministin. Simone de Beauvoir war auch keine Feministin. Ihr Buch „Das andere Geschlecht“ hat einen eher existenzialistischen als feministischen Ansatz. Mir geht es darum, wie wir gleichberechtigt nebeneinander leben können, nicht darum, gegen Männer zu sein.

Sie waren oft eine Frau unter vielen Männern in ihrer Karriere. Auch wenn es die Quote damals noch nicht gab, aber waren Sie eine Art Quoten-Frau?

Nein, ich bin auch kein Freund der Quote. Ich kann das Wort Quote nicht hören. Es geht nach Qualifikation und nicht nach Geschlecht. Wenn einer besser ist, ist er besser.

Aber wird nach der Qualifikation ausgewählt? Das ist ja die Frage.

Nein, sicher nicht immer. Aber das ändert sich ja allmählich. Doch zu sagen, jetzt nehmen wir mal drei Frauen rein, egal wie dusselig sie sind, geht auch nicht. Es muss der Klügere, der Bessere sein.

Ein anderes Thema, das sich da anschließt, ist die Sternchen-Debatte, also die Frage, ob man gendert oder nicht.

Grauenhaft, wenn ich das schon höre, diese Sprache. Das ist verlogen und es verhunzt die Sprache. Ich ärgere mich bei meiner geliebten „Kulturzeit“ auf 3Sat, weil die das da auch machen und ich das auf den Tod nicht leiden kann. Wenn ich Künstler sage, meine ich alle Menschen, die Künstler sind, auch die Frauen. Dieses feministische Betonen in der Sprache geht mir gegen den Strich.

Aber wie wir Sprache verwenden, beeinflusst unser Denken. Und es macht dann eben doch einen Unterschied, ob man auch Künstlerin sagt.

Nein, macht es nicht. Ein Künstler ist ein Künstler, ob der männlich oder weiblich ist, stellt sich dann heraus. Ich schaue mir erstmal die Arbeit an, und dabei ist es mir völlig egal, ob das ein Mann oder ein Frau gemacht hat. Ich finde Gendern ganz schrecklich und bin vehement dagegen. Ich mache diese Sprachverhunzung nicht mit. Natürlich duldet man keine Herabwürdigung in der Sprache, keine beleidigenden und diskriminierenden Worte. Aber Frauen wollen doch nicht nur weibliche Künstlerinnen sein, die wollen auch Künstler sein. Das ist doch alles hysterisch.

Wie stehen Sie denn dazu, wenn etwa in Pippi Langstrumpf der Vater nun Südseekönig ist und nicht mehr wie vorher N-König?

Auch überkorrekt und hysterisch. Literatur nachträglich bereinigen geht gar nicht. Wir können heute keine kolonialistischen Romane mehr schreiben, aber wenn der liebe Dr. Dolittle aus dem Kinderbuch der 20er Jahre in den Wald aufbricht, um den Negerkönig zu heilen, dann ist der eben der Negerkönig. Und man kann jedem Kind erklären, dass man das damals gesagt hat und heute nicht mehr. Dieser Hugh Lofting war ein antirassistischer Mensch, der hat nichts Böses damit gemeint. Das ist ein Wort, das es jetzt mit Recht nicht mehr gibt, das aber seine Vergangenheit hat. Aber ein Kinderbuch zu verändern und alles zu streichen, da stehen mir die Haare zu Berge. Bücher sind ein in sich geschlossenes Kunstwerk.

Träumen Sie sich mal in die Zukunft zum Abschluss. Wie wird die lit.Cologne nächstes Jahr aussehen?

Wenn das wieder ohne Virus und Einschränkungen möglich sein wird, dann wird das ein Feuerwerk, weil alle sagen werden: Endlich, endlich können wir wieder feiern, zusammensitzen, die Nächte zusammen durchmachen. Das wird hoffentlich explodieren.