Der Soziologe Jens Beckert erklärt in seinem Buch „Verkaufte Zukunft“, warum die Klimapolitik hinter dem zurückbleibt, was nötig wäre.
Soziologe Jens BeckertWarum kommen wir im Klimaschutz nicht voran?
Herr Beckert, Sie sind Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsordnung. Nun haben Sie als Soziologe ein Buch über den Klimawandel geschrieben: „Verkaufte Zukunft“. Wie kamen Sie auf die Idee?
Ich habe mich, wie die ganze Disziplin, überraschend lange nicht für das Thema interessiert, das ja zunächst die Natur- und Ingenieurswissenschaften betrifft. Bei genauerem Hinsehen ist aber klar, dass es sich mindestens genauso um ein Thema der Sozialwissenschaften handelt. Technische Lösungen müssen ja in einem bestimmten politischen und sozialen Kontext umgesetzt werden. Und sie haben enorme soziale Auswirkungen, etwa für die Ungleichheit in der Gesellschaft. Heute gehe ich so weit zu sagen, Klimawandel ist vorrangig ein Thema für die Sozialwissenschaften. Wenn wir verstehen möchten, warum wir in der Klimapolitik dramatisch hinter dem herhinken, was als notwendig erachtet wird und was ja auch technisch möglich ist, muss man sich die sozialen und politischen Prozesse anschauen, die Klimapolitik bestimmen.
In Ihrem Buch kommen Sie darauf zu sprechen, dass die Prognosen im Moment nicht gerade rosig sind.
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Realistische Szenarien laufen darauf hinaus, dass wir die Pariser Klimaziele reißen werden. Und dass wir uns darauf einstellen müssen, mit Temperaturen zu leben, die 2,5 bis sogar 3 Grad über dem langfristigen Durchschnitt liegen. Im Moment liegen wir ungefähr bei 1,2 Grad. Und das hat durch die Naturereignisse, die das produziert, natürlich enorme Konsequenzen für Gesellschaften. Darauf müssen wir uns einstellen.
„Verkaufte Zukunft“ versucht dem Klimawandel ins Auge zu sehen
Ist Ihr Buch also Ihre persönliche Variante von Greta Thunbergs „I want you to panic”?
Mir geht es überhaupt nicht darum, mit apokalyptischen Katastrophenszenarien Panik zu schüren. Mir geht es darum, dass wir einen realistischen Blick darauf bekommen, worauf wir zusteuern. Und das heißt, wir müssen ausgehen von diesen 2,5 oder 3 Grad. Das heißt nicht, dass wir irgendwann über eine Klippe laufen und dann in den Abgrund fallen, sondern es ist ein kontinuierlicher Prozess, bei dem die Naturbedingungen in vielen Ländern und Regionen für das menschliche Leben immer schwieriger werden. Wenn man andere Bücher über Klima liest, ist die Diagnose nicht anders als bei mir. Aber dann wird gesagt: Hier sind die zehn Sachen, die wir machen können, um da noch rauszukommen. Das ist zwar gut gemeint, oft aber doch irreführend. Denn die Dinge, die man machen könnte, müssen ja politisch umgesetzt werden. Und daran scheitern wir.
Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?
Wir müssen uns fragen, wie wir unsere Gesellschaften fit machen für ein Leben unter diesen klimatischen Bedingungen. Das wird eine viel wichtigere Aufgabe werden, als wir es uns im Moment vorstellen. Wir müssen uns aber auch intensiv fragen, wie wir im Klimaschutz möglichst viel erreichen, weil natürlich jedes Zehntel Grad wichtig ist, das an Temperaturerhöhung vermieden werden kann. Da ist eine sozialwissenschaftliche Analyse von enormer Bedeutung. Die Sozialwissenschaften beschäftigen sich ja mit Prozessen sozialen Wandels und können Antworten darauf geben, warum wir mit dem Klimaschutz nur so langsam vorankommen, obwohl wir in Meinungsumfragen Mehrheiten dafür haben. Wenn diese Prozesse besser verstanden sind, kann man möglicherweise auch politische Instrumente besser anpassen, sodass sie vielleicht ein wenig erfolgreicher sind. Es geht nicht darum, die Flinte ins Korn zu werfen, sondern ausgehend von den tatsächlich bestehenden politischen und sozialen Kräften zu schauen, wie wir jetzt klug handeln können.
Jens Beckert erklärt, warum die Klimapolitik scheitert
Warum reagieren Menschen denn so passiv auf so eine große Notlage?
Dafür muss man sich die unterschiedlichen Akteure anschauen, jeweils mit ihren Interessen. Man kann da unterscheiden zwischen den Unternehmen, der Politik, Wählern und Konsumenten. Bei Unternehmen geht es um Gewinnerwirtschaftung. Wenn wir an die Automobilindustrie denken, sind die hocherfolgreich mit einem letztendlich fantastischen Produkt. Jetzt sollen sie dieses aus Umweltschutzgründen vollkommen verändern. Es ist nicht schwer zu verstehen, dass es hier Widerstände gibt. Die zeigen sich in der Automobilindustrie in Verzögerungsstrategien, mit denen sie sich den Marktveränderungen hin zu einer klimaschonenden Wirtschaft entgegenstellen. Solche Strategien kann man durch alle Industrien verfolgen, die mit fossilen Energien im Zusammenhang stehen.
Da würde man erwarten, dass der Staat entschieden gegenlenkt.
Der soll ja Schaden von der Bevölkerung abhalten und zum Wohl aller handeln. Aber natürlich ist der Staat angewiesen auf eine prosperierende Wirtschaft, um Steuereinnahmen zu erzielen und Arbeitsplätze zu erhalten. Er muss also auf die Interessen der Wirtschaft Rücksicht nehmen und kann nicht einfach erfolgreiche Modelle abwürgen. Die Politik muss aber auch die Wähler im Auge behalten. Wenn Ängste entstehen, dass die ökologische Transformation zu wirtschaftlichem Abschwung führt, sind Wähler nicht bereit, eine solche Politik zu unterstützen.
Bleibt noch die Bevölkerung.
Wenn man sich die Konsumenten anschaut, zeigen Umfragen, dass die meisten Menschen Klimaschutz im Prinzip schon unterstützen. Aber wenn es anfängt wehzutun, und zwar entweder finanziell oder indem bestehende Lebensformen infrage gestellt werden, sinkt die Unterstützung und es bilden sich Widerstände. Im Grunde genommen fügt sich ein Bild zusammen, in dem für keinen der Hauptakteure in unserer Gesellschaft hinreichend Anreize bestehen, das Problem in der notwendigen Schnelligkeit und Gründlichkeit anzugehen. Im Ergebnis gibt es immer neue Kompromisse, die zulasten der Natur gehen und das Problem wird zeitlich weiter herausgeschoben.
Hat das auch mit einer mangelnden Opferbereitschaft zu tun?
Man weiß aus der Verhaltenspsychologie, dass Menschen sehr aversiv auf Verlusterwartungen reagieren. Und das tun sie selbst dann, wenn es auf der anderen Seite Gewinne in gleicher Höhe gibt. Man bewertet die Verluste höher, auch wenn das paradox ist. Diese Ängste führen zu Widerständen. Das können Sie im Moment wunderbar bei den Bauernprotesten sehen. Da sollen auch aus Klimaschutzgründen Subventionen für Diesel reduziert werden. Die entstehenden Verlustängste werden politisch mobilisiert - und die Politik weicht zurück.
Die Bereitschaft der Bevölkerung ist entscheidend
Jetzt haben Sie eine schwierige Gemengelage beschrieben. Wie soll man Klimaschutz umsetzen, wenn selbst Schadensbegrenzung strittig ist?
Politik, die auf den Schutz vor den Folgen der Klimaerwärmung setzt, findet möglicherweise eine größere Unterstützung, weil Menschen die Vorteile konkret erleben können. Denken Sie an die Region im Ahrtal. Wenn Sie da heute Vorschläge machen, um im Falle eines ähnlichen Starkregen-Ereignisses die Schäden geringer zu halten – seien das Investitionen in Wiesen, in denen das Wasser besser aufgehalten wird, oder ein besserer Katastrophenschutz - finden Sie in der Bevölkerung dort eine höhere Zustimmung, als wenn Sie ihnen sagen, sie dürfen ihren Diesel nicht mehr fahren. Diese konkrete Erlebbarkeit von Vorteilen ist etwas, was Menschen möglicherweise stärker für Klimapolitik einnimmt. Etwas Ähnliches gilt auch bei der Energiewende. Windräder sind häufig vor Ort unbeliebt, weil man sie nicht in unmittelbarer Nähe haben will. Aber man weiß aus der Forschung, dass die Zustimmung steigt, wenn die Bewohner an den Erträgen der Windräder beteiligt werden, zum Beispiel, wenn ihr Strom verbilligt wird. Das ist die politische Aufgabe: Die Bedingungen herausfinden, unter denen Zustimmung zu Klimaschutzpolitik in der Bevölkerung größer wird und in denen wir nicht in Frontstellung geraten, wie das im letzten Jahr mit dem Heizungsgesetz geschehen ist.
Das hieße ja, dass man vorrangig Klimamaßnahmen umsetzt, die keine wirtschaftlichen Einbußen zur Folge haben. Was ist, wenn das, was zustimmungsfähig ist, nicht genug ist?
Tatsächlich kommt es auf Zustimmung an, die bestehen bleibt, auch wenn es wehtut. Ich will nicht sagen, dass das einfach ist. Es müssten Einsichten in die Bedeutung von Klimapolitik wachsen, die auch stärkere Veränderungsbereitschaft entstehen lassen. Meine Überlegung ist, dass solche Einsichten möglicherweise aus den konkreten Erfahrungen von Verbesserungen vor Ort entstehen können. Durch gut geplanten Hochwasserschutz weiß man sein Haus vor der nächsten Flut geschützt oder man profitiert selbst von dem Windrad, das am Horizont steht. Oder in der Stadt werden Orte errichtet, an denen Abkühlung bei großer Hitze möglich ist. Vielleicht bin ich da zu optimistisch, aber zumindest kann man die Herausforderung beschreiben: Wie kann Politik so betrieben werden, dass die Bereitschaft für die Unterstützung von ernsthaftem Klimaschutz wächst? Das ist eine wichtige Frage für die Politik, die allen Entscheidungen vorgelagert sein muss.
Zur Person und zur Lesung
Jens Beckert (geboren 1967 in Frankfurt am Main) ist ein deutscher Soziologe. Seit 2005 ist er Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln, außerdem ist er Professor für Soziologie an der Universität zu Köln. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Soziologische Theorie, die soziale Einbettung der Wirtschaft, die Organisationssoziologie, die Vermögensungleichheit und Erbschaft.
Sein Buch „Verkaufte Zukunft“ über den Klimawandel stellt Jens Beckert am 10. April in der Zentralbibliothek in Köln vor. Dazu kommt er mit Gert Scobel ins Gespräch. Alle Infos dazu gibt es hier.