Interview mit Kölner Sänger Maxim„Bei Traumata hilft keine Tanztherapie“
- Auf ksta.de präsentieren wir exklusiv den neuen Song von Maxim.
- „Wie man löslässt“ hat der Kölner Musiker in einer Studio-Live-Session aufgenommen.
- Im Interview spricht er über das Coronavirus, grüne Papageien und seinen schwersten Song.
Maxim, haben Sie Ihr neues Album „Grüne Papageien“ noch vor dem Lockdown aufgenommen?Ja, das Album war da schon ganz fertig. Tourtermine gibt es auch, aber ob die stattfinden, das steht in den Sternen.
Wie, denken Sie, wird sich die Krise auf ihr Album auswirken?
Das ist schwierig zu sagen, weil es jedes Mal anders läuft, wenn man eine Platte veröffentlicht. Um die Frage zu beantworten, müsste ich ja in mehreren Paralleluniversen denken können, à la „Rick und Morty“.
Zu verschieben stand also nicht zur Diskussion?
Nur sehr kurz. Hinter der Platte steht eine ganze Kampagne. Würden wir die verschieben, müsste ich Interviews über Songs geben, die ich vor einem Jahr aufgenommen habe. Vielleicht habe ich dann längst neue eingespielt. Nein, ich will jetzt über diese neue Platte sprechen, sie den Leuten zeigen — und sie loslassen.
Tatsächlich haben Sie sich zwischen dem vorangegangenen und dem aktuellen Album sehr viel Zeit gelassen.
Für die letzte Platte hatten wir große Erwartungen, da stand noch eine große Plattenfirma dahinter. Und es lief superenttäuschend. Das musste ich erstmal schlucken. Zudem gab es auch da schon eine Art Krise: Mit Spotify hat sich alles verändert, plötzlich guckten alle nur noch auf die Streaming-Zahlen. Es gab nur zwei Playlisten, in die ich theoretisch hineinpasste, das waren irgendwelche Deutschpop-Playlisten. Dass jemand, der diese Musik geil findet, einen Song von mir überspringt, ist dann auch klar.
Wie haben sie wieder von Neuem angefangen?
Leider gibt es kein Buch, in dem man einfach lesen kann, wie das so funktioniert als Künstler. Ich habe dann über das Musizieren wieder reingefunden. Das ist einfach die reine Freude, ich sage jetzt bewusst nicht, dass es mich mehr erfüllt. Ich habe versucht, diese Momente zu finden, in denen sich etwas fast von selbst schreibt. Außerdem bin ich Vater einer Tochter geworden, erst danach habe ich angefangen, konzentriert an der Platte zu arbeiten.
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Weil damit für Sie eine andere Zeit anbrach?
Ja, man lebt in dieser wunderschönen Blase. Das war eine ganz traumhafte, verklärte, verstrahlte Zeit. Alles ist Liebe, ein total geiler Boden für Musik.
Das hört man in den neuen Liedern, zum Beispiel im Titelsong „Grüne Papageien“...
Ich hatte diesen Satz von den grünen Papageien, die über Nachkriegsbauten fliegen, schon ganz lange da liegen. Ich wollte meine kleine Köln-Hymne schreiben. Man kann auch ohne Karneval über diese Stadt singen. Da sind ganz viele Erinnerungen drin, aus der Zeit, als ich meine Frau kennengelernt habe. Vielleicht sieht man diese Papageien nur, wenn man verliebt ist, weil man dann öfter nach oben guckt. Noch dazu die Vorstellung, dass Köln noch vor nicht allzu langer Zeit in Schutt und Asche lag, und dass da jetzt Papageien durch fliegen. Für mich ist die Stadt auch nicht hässlich, für mich sind diese Nachkriegsbauten ein Symbol für den Neuanfang, für eine offene Stadt.
Es sind nicht nur leichte Lieder auf dem Album, und das Schwerste ist sicherlich „Die Asche von Claude“. Wenn man eine neue Familie gründet, dann brechen auch alte Familienwunden wieder auf ...
Ja, die brechen auf. Meine Tante hat das auf den Punkt gebracht: Ein Kind bringt viel mit zur Welt. In meinem Fall das Kindheitstrauma meiner Mutter: Mein Großvater, der als Pfarrer in Südfrankreich arbeitete, war Missbrauchstäter. Ich bin also mit einer traumatisierten Mutter aufgewachsen, die unter Depressionen litt und mit Händen und Füßen darum gekämpft hat, es für uns besser zu machen. Ich habe wirklich tolle Eltern, aber das war alles andere als eine leichte Situation. Inzwischen weiß man zum Glück viel mehr über das Weiterreichen von Traumata. Ich mache jetzt eine Psychoanalyse, die wird sechs Jahre dauern. Bei einem Kindheitstrauma hilft keine Tanztherapie.
Zur Person und zum neuen Album
Maxim Richarz, geboren 1982 in Siegburg als Sohn eines Deutschen und einer Französin, erlebte nach Gehversuchen als Reggaesänger 2013 mit „Meine Soldaten“ seinen Durchbruch. Am Freitag erscheint sein Album „Grüne Papageien“ – für das Release-Konzert um 20 Uhr im Kölner Jugendpark gibt es noch Restkarten.
Die Therapie hat Ihnen auch den Weg eröffnet, darüber zu schreiben?
Ja. Mit der Geburt meiner Tochter bekam diese Geschichte eine ganz andere Wichtigkeit. Ich will das Trauma nicht weitertragen. Ich will, dass sie einfach nur glücklich ist. Und als Künstler will ich natürlich dahin gehen, wo es weh tut. Früher habe ich noch sehr an der Oberfläche gekratzt. Aber meiner Erfahrung nach ist Missbrauch ein ganz krasses Tabuthema: Als ich früher versucht habe, das Freunden zu erzählen, haben die sich geekelt. Das will niemand in seiner Zone haben. Inzwischen beherrsche ich mein Handwerk, ich weiß, wie man einen guten Song schreibt. Jetzt war der Moment, in dem ich diese Geschichte erzählen musste, ohne Schnörkel.
Das Gespräch führte Christian Bos