Christian Boros ist einer der bedeutendsten Kunstsammler Deutschlands. Er ist in Köln aufgewachsen und lebt heute in Berlin.
Im Interview spricht er über die gesättigte Strahlkraft Berlins für Künstler und Galerien sowie das Potential von Köln: „Die Stadt darf nur nicht in einer ängstlichen Starre verharren.”
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Köln – Herr Boros, warum sammeln Sie Gegenwartskunst von Wolfgang Tillmans, Olafur Eliasson, Elizabeth Peyton – und nicht Pablo Picasso oder Max Ernst?
Picasso und Ernst gucke ich mir im Museum an. Ich habe aber nicht den Wunsch, diese Arbeiten zu besitzen. Ich sammle ausschließlich zeitgenössische Kunst. Sie ist für mich eine subjektive Art der Wissensvermittlung. Wie sich etwa Olafur Eliasson hochkomplex mit dem Thema Klimawandel beschäftigt, das ist so poetisch, so nachhaltig – und so wichtig, um die Gegenwart zu verstehen.
Wo sehen Sie über die Jahre hinweg die größten Veränderungen in der Kunst-und Sammlerszene?
Als ich in Köln im Alter von 18 Jahren das Kunstsammeln begonnen habe, war die Szene sehr klein. Es war eine nahezu exotische Beschäftigung, wenn man durch Galerien gelaufen ist und sich für Kunst interessiert hat. Heute dagegen ist Kunst zu einer Ersatzreligion geworden. Die Museen und Galerien werden mit Menschen geflutet, als seien es Fußballstadien. Vielleicht liegt das daran, dass man an gar nichts mehr glaubt. Man glaubt nicht mehr den Unternehmen oder den Banken, auch nicht an die Kirche. Kunst ist die letzte Hoffnung der Menschen auf der Suche nach Wahrheit. Künstlern glaubt man noch, weil sie authentisch und wahrhaftig sind. Überall wird gelogen. Da hofft man, in der Kunst etwas zu finden, was nicht lügt.
Hat sich in dieser Zeit Ihr Blick auf Kunst verändert?
Ich habe immer versucht, mir die Sachen rauszusuchen, die meine Grenzen ausloten und verschieben. Ich weiß es noch wie heute: Als ich in der Kölner Galerie Buchholz Fotos von Wolfgang Tillmans gesehen habe, musste ich schwer schlucken. Ich habe mich gefragt: Ist das wirklich Kunst? Warum soll ich dafür 300 Mark bezahlen? Das aber ist ja genau das Tolle daran: Kunst, die mich interessiert, irritiert und stört, ist erstmal nur schwer begreifbar. Ich würde nie ein Kunstwerk kaufen, das mir audanke. f den ersten Blick gefällt. Gute Kunst ist immer die, die Konventionen bricht. Dann hat sie auch das Potenzial, uns als Gesellschaft weiterzubringen.
Warum sind Sie als Sammler nach Berlin gegangen, und nicht nach Düsseldorf, Köln oder Paris?
Meine Frau und ich hatten den tiefen Wunsch, das, was uns wichtig ist, zu teilen. Fast etwas zwangsbeglückermäßig. In den 90er Jahren war Berlin dafür die ideale Bühne. Da kamen neugierige Menschen aus der ganzen Welt zusammen und wollten eine Stadt im Wandel erleben.
Wenn Sie die kulturelle Landkarte Deutschlands betrachten: Ist Berlin das Zentrum und alles andere Peripherie?
Zum Glück ist das nicht so. Das ist das Großartige an Deutschland: Wir haben keine übermächtigen Zentren wie England mit London oder Frankreich mit Paris. Unsere Kulturszene lebt von einer Ansammlung interessanter Spots. Hamburg ist so anders als München, Köln ist so anders als Düsseldorf. Es gibt einen gesunden Wettbewerb. All diese Städte sind ganz unterschiedlich temperiert – das macht Spaß!
Berlin ist aber derzeit unbestritten der Hotspot, auch für private Sammler. Ein Hype, der wieder vorbeigeht?
Ich glaube, dass das Präsentieren von Kunst und das Teilen einer privaten Passion derzeit sehr berlin-like ist. Aber Köln entwickelt sich fantastisch als Standort für junge Künstler. Für viele ist Berlin nicht mehr der alleinige Sehnsuchtsort. Nach der Wende gab es in allen deutschen Städten den Aderlass in Richtung Hauptstadt: Die Regisseure verließen München, die Galeristen zog es aus Köln weg. Aber die neue Generation will nicht das gleiche machen wie ihre Vorgänger. Denn die Gefahr ist doch, dass man es sich in so einer großen Akkumulation wie dem Berliner Kunstbetrieb sehr schnell gemütlich macht. Wenn ich heute ein junger Künstler wäre, dann würde ich es nicht so machen wie die Älteren, die sich in einer saturierten Szene bewegen. Ich würde woanders hingehen wollen, wo ich meine Chancen und meine Eigenart ausleben könnte.
Das heißt, die Kulturszene in Berlin ist mittlerweile so arriviert, dass die junge Generation einen Kontrapunkt setzen und sich andere Städte suchen muss?
Genau. Es ist ja auch schon so, dass einige hoch angesehene Galerien von Berlin wieder nach Köln zurückgekehrt sind. Dort haben sie dann schnell wieder eine Strahlkraft entwickelt, die sie im Wettbewerb von etwa 600 Galerien in Berlin nicht entwickeln konnten.
Was hat Sie gereizt, einen Hochbunker aus dem Zweiten Weltkrieg, in dem in der DDR Bananen aus Kuba lagerten, zum Kunstort ausbauen?
Der Bunker ist ein Unort. Es ist das wahrscheinlich hässlichste Gebäude Berlins und denkbar ungeeignet für Kunst. Es ist ein ständiger Kampf, den die Kunst dort führen muss. Sie reibt sich an den Räumen, es ist eine Bewährungsprobe. Hält die Kunst das Gebäude aus? Ich habe das Gefühl, dass in den meisten Fällen die Kunst gewinnt. Das finde ich im besten Sinne reizvoll.
Und heute ist die Sammlung Boros im Bunker einer der spektakulärsten Kunstorte der Hauptstadt…
Meine Frau und ich hatten große Angst vor dem Kauf, wir haben viel darüber gesprochen. Wir fragten auch die Künstler, und sie sagten: Ihr müsst das kaufen! Ich habe sie gefragt: Warum? Antwort: Weil man so ein faschistisches Gebäude nicht mit Bomben sprengen kann. Man kann es auch nicht transformieren – außer mit dem, vor dem sich alle Diktatoren immer fürchten: Der Freiheitsliebe von Künstlern. Darum gehört in so ein Gebäude Kunst rein und nichts anderes.Welche Rolle spielen Sammler heute für den Kunstbetrieb?Früher war Sammeln ein eher intimes Privatvergnügen. Heute öffnen sich immer mehr Privatsammlungen der Öffentlichkeit. Ich finde das sehr spannend. Vor allem die jüngere Generation will nicht nur die „richtige Kunst“ im Museum sehen, sondern auch mit der Gegenwart experimentelle herumhantieren. Julia Stoschek sammelt ausschließlich Videos, die Haubroks sammeln knallharte Konzeptkunst. Oder die internationale Gegenwartskunst bei uns, von der man überhaupt nicht weiß, was davon bleibt. Ich habe ja auch gemerkt, dass es Werke gibt, die ich in den 80er oder 90er Jahren aufregend fand und die mich heute komplett langweilen.
Zum Beispiel?
Ich würde heute natürlich nicht mehr Damien Hirst kaufen. Aber ich war damals 23 und lernte einen 22-jährigen Künstler kennen, das fand ich spannend. Das, was er heute macht, ist kompletter Kitsch und Dekorationskunst für russische Millionäre. Das ist gruselig, aber Teil meiner Biographie. Deshalb verkaufe ich seine Werke auch nicht.
Sie sind ja nicht nur Kunstsammler mit Köln-Bezug, sondern auch Chef einer Werbeagentur. Welches Bild haben Sie im Kopf, wenn Sie an Köln denken?
Das Tolle an Köln und Städten, die ähnlich attraktiv sind, ist doch, dass sie nicht monokausal sind. Man liebt New York nicht aus einem Grund, sondern es ist fast immer eine druidenhafte Geheimformel, die den Reiz einer Stadt ausmacht. Eine Rezeptur also, die man nicht dechiffrieren kann, die einen Ort aber brillieren lässt. Das Brillante an Köln ist, dass es so ungemein viele Spielarten von Offenheit gibt. Das liegt an der experimentellen Musiktradition. Es liegt auch an den großen Queer-Szene, die die offene Kultur der Stadt geprägt hat. Es ist aber auch ganz einfach die Art und Weise, wie man beim Bäcker begrüßt wird. Ich kann das nicht in einem Satz oder einem Bild simplifizieren. Köln gleich Dom oder Köln gleich Karneval - das wäre sträflich falsch.
Was muss Köln tun, um als Kulturstadt wieder besser wahrgenommen zu werden – und nicht vor allem durch Pannen aufzufallen?
Sie muss einen Humus bilden. Der Rest wächst von selbst. Kreative brauchen keine Krücken oder Prothesen, also keine Unterstützung im klassischen Sinne. Sie machen ihren Job zum Glück alleine und frei viel besser. Was sie benötigen, sind gute Basisvoraussetzungen. Sie sollten etwa mit Respekt behandelt werden und sich wohlfühlen können.
Welche Stärken hat Köln im Vergleich zu den anderen deutschen Städten?
Köln ist eine offene, uneitle Stadt. Es ist so viel offener und unfertiger als München oder Hamburg. Die Reibung mit der Architektur in Köln und mit all den Dingen, die nicht ideal funktionieren - ich mag das. Es gibt diesen wunderbaren Satz von Nam June Paik aus den 60er Jahren: „Zu perfekt, Gott böse“. München ist so perfekt, dass es mich anödet. Hamburg ist auch fertig. Da sehe ich die große Affinität zwischen Köln und Berlin – im Unfertigen.
Müsste Köln nicht auch architektonisch radikaler denken? Ein Beispiel: Sollte die Nord-Süd-Fahrt besser verschwinden, wenn das Opernquartier wiedereröffnet?
Es ist richtig, die Dinge radikal zu hinterfragen. Mit feinchirurgischen Eingriffe ist es allein nicht getan. Das ist auch das, was Künstler ausmacht. Das sind ja keine Gegenwartsoptimierer, sondern zutiefst radikale Menschen, die alles hinterfragen, jeden Morgen, wenn sie aufstehen. Nur so schaffen sie zukunftsfähige Gedanken, die die Gesellschaft weiterbringen. Genau deswegen interessieren wir uns für Kunst – weil sie ein Zukunftslabor ist.
Wie beurteilen Sie die aktuelle Kulturszene in Köln – jenseits der Galerien und Museen?
Ich empfinde Sie als unheimlich experimentierfreudig. Köln wird gerade neu gedacht. Ich sehe neue Cluster rund um die Games-Industrie, aber auch in den Bereichen Design, Musik und bildende Kunst. Warum ist das so? Weil Köln immer offen, tolerant und neugierig ist. Dieser Dreiklang ist der Garant für alle kreativen Ausprägungen. Wir befinden uns in einem wahnsinnigen Transformationsprozess, alles verändert sich durch die Digitalisierung. Das kann man nur bewältigen durch kreative, erfinderische Menschen. Alles Disruptive, alles Neugedachte ist Voraussetzung fürs Überleben. Sonst wird man Opfer der Zukunft.
Sollte Köln versuchen, wieder an die glorreichen 70er und 80er anzuknüpfen, auch in der Pop- und Subkultur?
Unbedingt. Die Strahlkraft, von der Köln heute noch lebt, ist in den 70er und 80er Jahren entstanden. Was da in Köln los war – es war wie ein Pulverfass! Die Stadt war ein Katalysator für die radikalsten kreativen Gedanken. Es kamen Menschen zusammen, die sich gegenseitig verstärkt haben in ihren kreativen Potenzialen. Diesen Nährboden muss man wieder schaffen. Eine Heimat für Kreative.
Und dennoch: Braucht Köln nicht auch ein neues Bild von sich selbst?
Ein neues Bild oder Image kann häufig aufgesetzt wirken. In Köln ist soviel Potenzial da. Die Stadt darf nur nicht in einer ängstlichen Starre verharren. Sie darf auf keinen Fall ein Minderwertigkeitsgefühl, etwa Berlin gegenüber, entwickeln. Köln hat durch seine DNA der Offenheit, Toleranz und Neugierde das Potenzial, sowohl medien- als auch kunst- und musiktechnisch wieder eine Solitärstellung zu erreichen.
Momentan hat man aber den Eindruck, dass Köln sich unter Wert verkauft. Das Provinzielle ist der Stadt ja auch nicht fremd…
Guter Punkt. Es ist eben immer schwer, sich hinzustellen, und zu sagen, ich bin anders. Das erfordert Mut. Was ich mir für Köln wünsche, fasse ich in zwei Worte: Köln ist merkwürdig und eigenartig. Beide Attribute sind ja in der Konvention negativ besetzt. Aber wie schön ist es, wenn etwas würdig ist, es sich zu merken, und wenn es eine eigene Art hat. Das herauszustellen, muss Köln sich trauen.
Das Gespräch führteCarsten Fiedler
Zur Person
Christian Boros ist Kunstsammler und Inhaber einer Kommunikationsagentur mit Standorten in Berlin, Wuppertal und Köln. Die Agentur arbeitet unter anderem für das Wirtschaftsministerium NRW mit der Initiative „Creative.NRW“ an der Stärkung des Kreativstandorts des Landes. In Köln betreut er für die Koelnmesse die Art Cologne und die Internationale Möbelmesse IMM. Demnächst wir die Agentur auch für die Stadt Köln eine Kampagne umsetzen.Seit über 30 Jahren sammelt Boros zeitgenössische Kunst, darunter Fotoarbeiten von deutschen Künstlern wie Wolfgang Tillmans und Michel Majerus, Werke der Young British Artists Tracey Emin und Sarah Lucas oder die Arbeiten chinesischer Künstler wie Guan Xiao und He Xiangyu sowie der Amerikanerin Elizabeth Payton und des Dänen Olafur Eliasson. Die Sammlung Boros umfasst etwa 900 Bilder, Skulpturen und Installationen. Sie ist öffentlich und wird in einem umgebauten Hochbunker in Berlin-Mitte gezeigt. Boros ist in Köln aufgewachsen und lebt in Berlin.