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Legendärer Kölner KunsthändlerAls noch keiner in Rudolf Zwirners Ausstellungen ging

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Rudolf Zwirner taxiert Duane Hansons „Footballers“ 

  1. Der Kunsthändler Rudolf Zwirner hat Köln beim Aufstieg zur Kunstmetropole verholfen.
  2. Jetzt hat er eine Autobiografie verfassen lassen. Was steht drin über Köln in „Ich wollte immer Gegenwart”?

„Auf diese Idee kommen Sie, wenn Sie ständig Ausstellungen machen, und keiner geht hin.“ Die Idee, das war 1967 der erste Kölner Kunstmarkt, und derjenige, der sie gemeinsam mit Hein Stünke hatte, war der junge Kunsthändler Rudolf Zwirner. Aus der Verzweiflungstat einiger Galeristen wurde dann die erste Kunstmesse der Welt, die heutige Art Cologne, und aus Zwirners Heimatstadt Köln vorübergehend der nach New York wichtigste Handelsplatz für Gegenwartskunst weltweit.

So weit ist die erstaunliche Geschichte vom Aufstieg Kölns zur Kunstmetropole bekannt, schließlich hat sie Rudolf Zwirner selbst oft genug erzählt und sogar zwischen Buchdeckeln veröffentlichen lassen. Allerdings fällt sein Name auch ohne eigenes Zutun immer wieder, wenn von Kölner Glanz und Gloria in jüngerer Zeit die Rede ist. Insbesondere seine Zusammenarbeit mit dem Sammler Peter Ludwig hat Spuren in der Kunstgeschichte hinterlassen: Nicht wenige Hauptwerke des heutigen Museum Ludwig sind über Zwirners Ladentheke gegangen, und hätte der hünenhafte Deutsche in New York nicht früh scheinbar verrückte Preise für Pop Art bezahlt, wäre die Karriere von Warhol und Kollegen vielleicht nicht ganz so stürmisch verlaufen, wie sie es dann tat.

Jetzt hat Rudolf Zwirner seine Autobiografie aufschreiben lassen – in aufgeräumter Monologform, wie es einem virtuosen Verkaufstalent gebührt. Unter dem Titel „Ich wollte immer Gegenwart“ fügt er den bekannten Kapiteln seines öffentlichen Lebens vor allem die frühen biografischen Jahre des Kriegskindes hinzu, und auch das bereits Publizierte unterfüttert er mit erstaunlichen Details. So sollte das Kapitel über Zwirners unverhofften Aufstieg zum Generalsekretär der zweiten Documenta zur Pflichtlektüre für all diejenigen werden, die glauben, die Start-up-Kultur wäre eine Erfindung unserer Gegenwart. In Zwirners Schilderungen erscheint einem die Weltkunstausstellung von 1959 als einzige große Improvisation mit einem ungelernten, aber lernwilligen Jüngling im Auge eines kunsthistorischen Orkans.

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Allzu viel hatte der 26-jährige Zwirner damals nicht vorzuweisen: ein in Kriegszeiten erworbener Freiheitsdrang, ein intellektuelles Elternhaus und eifrige Lehrjahre unter anderem bei Hein Stünke in Köln und Heinz Berggruen in Paris – letztere mehr oder weniger bei Wasser und Brot. Aber nach Kriegsende dominierte in der deutschen Kunstwelt die Sehnsucht nach Modernität, und so wurden die 50er Jahre eine ertragreiche Blütezeit gebrochener Biografien und verschwiegener Arrangements. Manches, was Zwirner miterlebte, erschien ihm nicht ganz sauber, wie der Ankauf eben noch verfemter Kunst aus dubiosen Quellen. Aber das verbucht Zwirner nun ebenso großzügig unter tätiger Reue wie die fortschrittliche Galeriearbeit seines Mentors Stünke; in den Kriegsjahren hatte er diesen noch als Freund der Familie und eifrigen Parteigänger der Nazis kennengelernt.

Es gibt in Zwirners Buch einige solche Passagen, die man mit mulmigen Gefühlen liest, weil Zwirner sie mit mulmigen Gefühlen erinnert. Dazu gehört auch, dass Peter Ludwig offenbar ahnte, dass seine Sammlung altamerikanischer Kunst etliche mutmaßlich geraubte Objekte enthält; heute gehört sie dem Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum. Aber gerade diese Offenheit nimmt einen für Zwirners naturgemäß nicht ganz uneitle Lebensgeschichte ein – wie auch der Tonfall des Buchs. Man glaubt beim Lesen die Stimme des Erzählers zu hören und folgt diesem auch deswegen gerne durch die (vielen) Höhen und (wenigen) Tiefen des Kunstgeschäfts, weil das Geschäft in ihnen niemals die Hauptrolle spielt. Für Rudolf Zwirner war die moderne Kunst eine Befreiung von der Vergangenheit, eine lange versperrte Tür in die Gegenwart. Das macht seine Erinnerungen auch über die Erfolgsgeschichte hinaus beispielhaft und lesenswert.

Rudolf Zwirner: „Ich wollte immer Gegenwart“, Wienand Verlag, 256 Seiten, 25 Euro

ZUR PERSON

Rudolf Zwirner wurde 1933 in Berlin geboren, wo er heute auch wieder lebt. Dazwischen eröffnete er eine Galerie in Köln, gründete gemeinsam mit Hein Stünke die Art Cologne und half maßgeblich mit, die Pop Art in Deutschland und der Welt zu etablieren. Insbesondere als Cheflieferant des Sammlers Peter Ludwig war er enorm einflussreich. Das Talent liegt offenbar in der Familie: Zwirners Sohn David gehört zu den wichtigsten Galeristen der Welt. (KoM)