Für die Fantastischen Vier war es ein gutes Jahr. Doch die pazifistischen Träume seiner Jugend seien durch den Krieg in der Ukraine zerborsten, sagt Smudo. Mit Steffen Rüth spricht der Technikfreak über den Klimawandel, seine neue Espressomaschine und die Bedeutung von „Die da!?!“.
Interview mit Fanta-Vier-Sänger Smudo„Wir sind Mitte 50, das lässt sich nicht wegdiskutieren“
Smudo, wie blicken Sie auf 2022 für die Fantastischen Vier zurück?
Smudo: Wir haben noch nie so viel gespielt wie in diesem Jahr. Wir konnten alles nachholen, was wir noch auf dem Zettel hatten, Festivals, auch viele Corporate Shows, also Auftritte bei Unternehmensveranstaltungen, und natürlich haben wir endlich unsere Stadiontour „Für immer 30 Jahre Live“ gespielt. Das Jahr hat uns als Band super viel Spaß gemacht. Wir haben als die Routiniers, die wir sind, die viele Arbeit und den angenehmen Stress wirklich sehr genossen.
Die Stadiontour musste wegen Corona von 2020 auf 2021 auf 2022 verschoben werden. Wie hält man sich über so einen langen Zeitraum unter Spannung?
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Wir waren mit unserer Planung schon ziemlich weit. Alles stand: Die Stadien, die Plakatierung, die Kooperationen, wir hatten auch schon ein Bühnenkonzept. Plötzlich ist das alles gestrichen – und du stehst da mit diesem fremden, komischen Gefühl, in einer komplett unbekannten, absurden Situation. Im Laufe dieser seltsamen Corona-Situation haben wir uns dann daran gewöhnt, dass Spielen nicht auf dem Zettel stand. Die Shows, die möglich waren, also mit Strandkörben und Abständen, waren zwar nett, aber sehr weit weg vom Rock ’n’ Roll. Na ja, und dann ging es von jetzt auf gleich wieder mit Vollgas auf Tour.
Nach dem Lockdown hatte die Band wieder ein gemeinsames Ziel
Waren Sie bereit?
Ich will das Wort „Jungbrunnen“ vermeiden, aber plötzlich ging wieder richtig was. Wir konnten wieder raus, proben mit der Band, wir hatten wieder ein gemeinsames Ziel. Als wir wieder auf der Bühne standen, haben wir gemerkt, wie klasse und einmalig das ist, was wir vier in über 30 Jahren alles zusammen erlebt und geteilt haben. Das, was wir zusammen haben, ist absolut erstaunlich und besonders. Gerade das hat uns dieses Jahr sehr deutlich gezeigt.
Mittlerweile heißt es, man hätte sich viele Corona-Maßnahmen sparen können, weil sie nichts gebracht hätten. Gefühlt ist die Zeit weit weg, man lebt sein Leben wie immer. Oder hat die Pandemie bei Ihnen Spuren hinterlassen?
Ich denke nicht, dass man sagen kann, man hätte das alles auch lassen können. Es sind ja viele Menschen gestorben, und es war meine erste Pandemie. Auch die Regierungskreise hatten wenig Erfahrung mit dem Thema, an dem wir uns mit der Luca-App ja auch beteiligt haben.
Flächendeckend durchsetzen konnte sich die App zur digitalen Kontakterhebung nicht.
Zur Eindämmung der Pandemie als solcher hätte Luca wahrscheinlich nicht viel beitragen können. Aber sie ist ein sehr nützlicher Helfer gewesen, um die Zettelwirtschaft zu beenden. Als digitales Werkzeug hat Luca sehr gut funktioniert. Erst kürzlich war ich in einem Restaurant, wo der Wirt noch mal ein Loblied auf Luca anstimmte. Er meinte, ohne die App hätte er seinen Laden dichtmachen können, weil er die Zettel nicht mehr gemanagt bekam.
Die Rolling Stones des deutschen Hip-Hop
Sie sagen, Sie wollen nicht von Jungbrunnen sprechen, aber wer Sie live sieht oder jetzt auf „The Liechtenstein Tapes“ hört, kann den Eindruck bekommen, dass Alterserscheinungen irgendwie an den Fantas abprallen.
Bei uns ist es ein bisschen wie bei den Rolling Stones. Ich habe die mal live gesehen, und klar, du erkennst, dass die alt sind, aber es ist egal. Wie diese Männer sich bewegen, wie sie sich angucken auf der Bühne, wie viel Spaß sie haben beim Musikmachen – das ist richtig ansteckend.
Sind die Fantastischen Vier die Rolling Stones des deutschen Hip-Hop?
Da ist was dran. Wir spielen vor einem Publikum, das sich jung fühlt, aber oft eben auch schon älter ist. Die sagen sich: Bei den Jungs knirscht es hier und da, aber es ist cool, wie die das hinkriegen – genauso ist es bei mir auch. Wir sind halt Mitte 50, das lässt sich nicht wegdiskutieren. Die Leute kommen zu unseren Konzerten, weil sie sich daran erinnern wollen, wie es damals war. Und zugleich zelebrieren sie mit uns eine Tradition, die einfach entsteht, wenn man sich lange als Fan und Band begleitet hat und wertschätzt. Ich finde diese Symbiose aus Publikum und Fantas total schön. Das ist gelebtes solidarisches Zusammensein. Plus: Die Kinder nimmt man auch noch mit. Die kennen uns zum Beispiel durch „The Voice“, und alle gemeinsam feiern wir ein echtes Familienevent.
Die Band ist jetzt auch auf Tiktok. Achten Sie darauf, die nachwachsende Generation dort abzugreifen, wo sie sich aufhält?
Alle denken immer, dass Tiktok nur die ganz Jungen gucken, aber das ist gar nicht mehr so. Dort sind sehr viele Leute zwischen 30 und 40 unterwegs. Man muss dort einfach stattfinden, und die Resonanz auf unsere Inhalte ist sehr gut, wir haben vergleichsweise hohe Klickzahlen. Was mich übrigens auch überrascht hat, privat benutze ich Tiktok gar nicht. Okay, fast gar nicht. Es gibt dort genau einen Filmbeitrag von mir.
Und zwar?
Ich habe mir eine tragbare batteriebetriebene Espressomaschine für mein Flugzeug gekauft und die gefilmt. Die sieht geil aus. Wie eine USB-Box, mit Heizkolben drin, ein echtes Selfmade-Teil. Jetzt kann ich mir beim Fliegen einen Kaffee machen. Es dauert allerdings vier Minuten, bis das Wasser heiß ist.
Ein Lebenstraum?
Der letzte, der noch offen war. (lacht)
Neue Doku über die Band: „Helden des Hip-Hop“
Auf RTL+ läuft eine mehrstündige Doku über die Fantas. Ist der Titel „Helden des Hip-Hop“ von Ihnen?
Nein. Der Titel ist auch nicht so wichtig. Das Irre an der Doku ist, dass teilweise Archivaufnahmen drin sind, die ich selbst noch nicht kannte. Vier Praktikanten haben sich acht Wochen lang die ganzen alten Aufnahmen, die wir noch in Kisten liegen hatten, in vierfacher Geschwindigkeit angeschaut. Gerade die ersten beiden Teile rund um unsere Populärwerdung sind sehr interessant. Was das für ein Spagat gewesen ist zwischen Auftritten bei Ray Cokes auf MTV und Dieter Thomas Heck in „Musik liegt in der Luft“.
Dieser Spagat war von Anfang an Teil des Fantastische-Vier-Konzepts?
Ja, das stimmt. Wir haben immer anders sein wollen als die anderen. Gleichzeitig haben wir immer den großen Erfolg gesucht und immer versucht, was Besonderes zu machen. Manchmal hat es geklappt, manchmal nicht.
Das erste Stück auf „The Liechtenstein Tapes“ ist ausgerechnet „Die da!?!“, der erste Hit aus dem Jahr 1992. Sie haben den Song jahrelang nicht live gespielt. Wie kam es zur Renaissance von „Die da!?!“?
In der Doku kann man ganz gut sehen, was das für eine traumatische Erfahrung war, als wir wegen „Die da!?!“ plötzlich zu Teenieschwärmen wurden. Überall hat man uns angequatscht, und so superoriginell fanden wir es schnell nicht mehr, wenn uns die Leute auf der Straße ständig „Ihr seid doch die da“ entgegenplärren. Uns wurde davon schlecht, deswegen haben wir den Song einfach weggelassen. „Die da!?!“ hat uns einfach keinen Spaß mehr gemacht.
Bis?
Bis wir im März 2015 ein Privatkonzert im „La Baracca“ in St. Moritz spielten, einer rustikalen Kultbar. Ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann schmiss die Sause zum 40. Geburtstag seiner Frau, er hatte im Vorfeld nur einen Wunsch: „Die da!?!“ Wir sagten: „Nein, ‚Die da!?!' spielen wir nicht.“ Und dann aßen wir 50-Franken-Burger im Hotelrestaurant und beschlossen: Wir spielen es doch. Was für ein Spektakel! Der Laden war winzig, wir spielten direkt an der Bar, tranken Schnäpse, wurden immer besoffener, und während der ersten Strophe guckten Thomas und ich uns tief in die Augen, beseelt vom Gefühl, jetzt und hier tatsächlich „Die da!?!“ zu spielen. Die Leute flippten total aus, und seit diesem Abend haben wir „Die da!?!“ wieder im Programm – als ein Highlight der Show.
Was macht „Die da!?!“ heute so besonders?
Es ist der Startschuss unseres Erfolges. Ein Symbol für den Einzug von Deutschrap in das bundesrepublikanische popkulturelle Gedächtnis. Es ist dadurch auch ein Symbol für unser Leben. Ohne „Die da!?!“ hätten wir uns und all das Drumherum nicht.
Pazifistischer Traum durch den Krieg in der Ukraine zerstört
Für Fanta Vier war das Jahr ein Fest, für viele andere war es schwierig bis bedrückend. Hat ein Lied wie „Endzeitstimmung“ noch mal mehr Bedeutung bekommen?
Auch ich bin durch den Krieg in der Ukraine, den wir alle einfach unfassbar entsetzlich finden, zum Nachrichtenjunkie geworden. Ich bin ständig auf Twitter und Telegram, scrolle mich durch die Propaganda und die Lügen und weiß, dass die pazifistischen Träume meiner Generation vom „Frieden schaffen ohne Waffen“ in tausend Splitter zerborsten sind. Besonders erschüttert mich, dass das russische Volk der Propaganda seines irren Führers in der Mehrzahl glaubt. Man denkt ja oft, das Internet macht die Menschen schlau, aber das ist nicht wahr. Ich muss mich zuweilen sehr zusammenreißen, um nicht allzu apokalyptisch drauf zu kommen.
Und die nächste große, sagen wir mal, Herausforderung steht auch längst vor der Tür.
Beim Klimathema kenne ich mich ein bisschen aus. Ich engagiere mich seit Langem für meinen grünen Motorsport, der natürlich auch nicht die Welt rettet, aber ein sehr gutes Versuchslabor für neue grüne Technologien ist. Was mir neben dem Klimawandel als solchem obendrein Sorgen macht, ist die Radikalisierung der Lager.
In guten Momenten ist Smudo optimistisch, was die Zukunft angeht
Sie sind ja sehr technikaffin. Welche Technologie wird die Welt denn wirklich vor dem Untergang bewahren?
Das weiß ich nicht. In so apokalyptischen Zeiten wie jetzt fällt es mir schwer, die Fantasie aufzubringen, man könne alles so zurückdrehen, wie es vorher war. Ich denke, wir werden mit einem Gutteil der extremen Auswirkungen des Klimawandels leben müssen.
Also irgendwann die Bewohner von Städten wie Miami oder Amsterdam umsiedeln?
Wir werden uns mit unschönen Fragen auseinandersetzen müssen: Wie werden wir in Zukunft wohnen, leben und unsere Ressourcen verteilen? Das werden wir lernen müssen. In guten Momenten habe ich die Hoffnung, dass wir in Bereichen wie Transport, Energie und Materialien Lösungen finden werden, mit denen wir gemeinsam auf diesem Planeten das Überleben sichern werden.
Und wie sieht es mit der nahen Zukunft der Fantastischen Vier aus?
2023 füllt sich unser Konzertkalender rapide. Unser Management würde sich sehr freuen, wenn wir in knapp einem Jahr ein neues Album unter den Weihnachtsbaum legen könnten, und es gibt auch ein paar Ideen, viel mehr aber noch nicht. Für uns gibt es ja zwei oder drei Zukunftslösungen. Entweder machen wir wieder ein Album. Oder wir hören auf. Oder wir machen es wie die Stones und gehen alle paar Jahre mit unserem Backkatalog auf Tour wie vier alte Zirkuspferde. Irgendwo zwischen diesen Möglichkeiten suchen wir gerade nach unserer Bestimmung.
Zur Person
Mit „Die da!?!“ gelang den Fantastischen Vier 1992 der Durchbruch. Da existierte die Band von Michi Beck, Thomas D, Smudo und And.Ypsilon drei Jahre. Smudo – mit bürgerlichem Namen Michael Bernd Schmidt – wurde 1968 in Offenbach geboren. Er lebt seit Langem mit seiner Familie in Hamburg.
Smudo ist – das kann man ohne Übertreibung sagen – vielseitig interessiert und äußerst umtriebig. Unter anderem hat er eine Rennfahr- und eine Fluglizenz. Auf dem Nürburgring nahm er mehrmals an Langstreckenrennen teil. Neben seiner Arbeit mit den Fantastischen Vier machte er Projekte mit den Bands Fettes Brot, Fischmob und Jazzkantine. Er ist in kleinen Filmrollen zu sehen, arbeitet als Synchronsprecher, gehört zum Rateteam der SWR-Sendung „Sag die Wahrheit“. Einige Jahre war er mit seinem Kollegen Michi Beck Juror bei „The Voice of Germany“.
Jetzt haben Fanta Vier 15 ihrer Hits mit allen technischen Finessen in eine neue Form gegossen. Das Album „The Liechtenstein Tapes“ erscheint am 13. Januar.