Interview mit Volker Weiß„Unser Geheimdienst ist Teil des Problems“
- Volker Weiß (47) ist Historiker und Experte für Rechtsextremismus.
- Mit uns spricht er über den neuen Rechtsradikalismus in Deutschland und die Traditionen des rechten Denkens.
Herr Weiß, der Philosoph Theodor W. Adorno hielt 1967 einen Vortrag über den Rechtsradikalismus, als sich die Rechte gerade wieder neu formierte. Auch heute erleben wir einen Aufschwung auf der Seite der extremen Rechten. Sind die Zeiten heute ähnlich wie in den 60er Jahren?
Volker Weiß: Die Zeiten sind anders, aber die Probleme sind gewachsen. Die Dynamik, die Adorno in den 60er Jahren im Aufstieg der NPD als Sammlungsbewegung einer zuvor fragmentierten Rechten beobachtete, lässt sich vergleichen. Das macht den Text für heute so lesenswert. Vor allem, arbeitet Adorno sehr genau und ungewöhnlich konkret die Arbeitsweisen der rechten Propaganda heraus. Wenn man das liest, merkt man: Da hat sich kaum etwas geändert.
Der Mord an dem CDU-Politiker Lübcke erschüttert die Republik. Stehen wir vor einer neuen Welle des Rechtsterrorismus?
Es ist zumindest nicht auszuschließen und wäre auch nicht überraschend. Eine weitere historische Parallele übrigens, denn nach dem rasanten Aufstieg der NPD in den 60er Jahren, zerfiel die Rechte und brachte mehrere terroristische Gruppen hervor. Im Moment ist auch noch ungeklärt, ob der Hauptverdächtige im Fall Lübcke nicht in ein ähnliches Netzwerk wie der NSU eingebunden ist. Es gibt zumindest Hinweise auf Schnittmengen. Dann wäre es keine neue Welle, sondern eine weitere Auswirkung der alten.
Wurde angemessen auf die NSU-Morde reagiert, oder sehen wir nun die Folgen zu großer Untätigkeit?
Im NSU-Fall wird weiter das Narrativ von der isolierten Dreierzelle aufrechterhalten, obwohl es ein unterstützendes Umfeld gab. In dieser Angelegenheit liegt noch zu viel im Dunkeln. Ich beneide meine Historiker-Kolleginnen und -Kollegen, die in 120 Jahren den Abschlussbericht des hessischen Verfassungsschutzes einsehen dürfen.
Wie reagiert der Staat in Form von Verfassungsschutz und Polizei? Ist er auf dem rechten Auge blind?
Blind trifft es nicht, die Entwicklung hat sich ja unter den Augen der Behörden vollzogen. Es dürfte kaum ein Milieu geben, das so von V-Leuten durchsetzt ist wie die extreme Rechte. Der Verfassungsschutz war historisch ein Kind des Kalten Krieges, die extreme Rechte hatte dort nie Priorität, auch wenn das vor dem Hintergrund der NS-Geschichte kaum nachzuvollziehen ist. Ich denke, das hatte auch damit zu tun, dass man hierzulande die Weltanschauung der Rechten nie ernst nahm. Stattdessen redete man sich ein, dass nur irgendwelche verelendeten Milieus dafür anfällig wären. An der Sozialstruktur der historischen Nationalismus von der Reichsgründung bis zum Nationalsozialismus ging das allerdings völlig vorbei. Eine Personalie wie Helmut Roewer als Verfassungsschutz-Chef in Thüringen, während dessen Amtszeit sich der NSU ja entwickelte, hätte jedenfalls nie passieren dürfen. Die Reihe der Rücktritte danach hätte einen Neuanfang einleiten können, aber dann war da noch ein Chef des Bundesverfassungsschutzes, der ernsthaft „linksradikale Kräfte“ in der SPD ausmachte. Ich fürchte, der Inlandsgeheimdienst ist Teil des Problems, nicht der Lösung.
Wie stark ist die rechte Szene untereinander vernetzt?
Es gibt eine Art Arbeitsteilung. Mag es auch unterschiedliche Ziele geben, im Kampf gegen die Republik stehen sie alle zusammen, wie schon in den 20er Jahren. Es gibt aber wichtige Knotenpunkt, etwa in der Person Björn Höckes. Von dort aus gehen Verbindungen in alle Richtungen, zum völkischen Flügel der AfD, zum neurechten Klüngel in Schnellroda bis hin zur Neonazi-Szene um Thorsten Heise. Richtig ernst wird es allerdings, wenn Kanäle in Behörden oder bis in die Sicherheitsorgane bestehen, denken Sie an Skandale der jüngsten Zeit, an Gruppen wie „Nordkreuz“ und „Uniter“ oder an rechtslastige Polizisten in Hessen.
Adorno ging davon aus, dass nicht nur Kleinbürger anfällig für den Faschismus sind, sondern dass sich das durch alle Gesellschaftskreise zieht. Ist das noch aktuell?
Unbedingt, Adorno ist ja sehr vorsichtig, der rechten Mobilisierung einen spezifischen Sozialcharakter zuzusprechen. Die Problemlagen sind längst total geworden, sie umfassen alle Bereiche der Gesellschaft. Es gibt heute kaum mehr die Möglichkeit eines gesellschaftlichen Außen, einer völlig anderen, oppositionellen Klasse.
Der Faschismus braucht zum Überleben keine Partei?
Eine Partei tritt erst auf dem Plan, wenn die Zeit reif ist. Es gibt eine lange Latenzphase, in der die Weltanschauung geformt wird. Dann kommt eine Bewegungsphase, in der vor allem zur Sammlung getrommelt und die interne Ordnung geklärt wird. Die Regimephase des Faschismus steht erst am Schluss der Entwicklung. Von diesem Gesichtspunkt aus sind die eskalierenden Fraktionskämpfe in der AfD sehr interessant. Der „Flügel“ um Höcke greift wohl endgültig nach der ganzen Partei.
Benötigen die Rechten das Aufleben von Ressentiments?
Sie leben von Ressentiments. Daher profitieren sie von ihrem Aufleben, tragen selbst aber auch nach Kräften dazu bei. Sie sind die alten Trommler, die von der Panik leben, die sie selbst mit verursacht haben.
Erkannte Adorno also schon den Typus des heutigen Wutbürgers?
Neu ist ja nur der Begriff, nicht das Phänomen. Man muss sich immer wieder in Erinnerung rufen, dass Adorno nicht nur Philosoph, sondern auch Zeitzeuge war. Die Frankfurter Schule hatte den Aufstieg des Nationalsozialismus erlebt und analysiert, sie hatten die radikale Rechte in den USA analysiert und nach ihrer Rückkehr das postnazistische Deutschland studiert. Das ist, glaube ich, ein ziemlich umfassender Überblick in puncto autoritärer Charakter.
Aber eine schlichte Rückbindung des Auflebens des Rechtsradikalismus an die Konjunkturzyklen der Wirtschaft ist eher eine Täuschung?
Adorno warnt in seiner Rede vor einfachen Ableitungen. Die kleine Konjunkturkrise der 60er Jahre war auch weder mit dem Schwarzen Freitag 1928 oder der Finanzkrise von 2008 vergleichbar. Ihm geht es um etwas anderes: Die Subjekte spüren gewissermaßen die Brüchigkeit des Ganzen, das heißt, Unsicherheit bildet das Grundgefühl. Was einmal die Deklassierungsangst einer bestimmten Schicht gewesen ist, betrifft heute alle. Daher ist die Rechnung Krise ist gleich rechte Wähler zu kurzsichtig.