Sigur Rós im PalladiumWie man lernt, die Stille auszuhalten
Köln – Die Stille ist ein Lernprozess. Als Sigur-Rós-Sänger Jónsi Birgisson gegen Ende des ersten Sets im Palladium den Cello-Bogen ruhen lässt, mit dem er seiner Gitarre sonst ein Tosen im schweren Wellengang entlockt, als auch der Rest der Band stumm verharrt, hält es das Publikum nicht mehr aus: Stürmischer Applaus brandet auf. Und flaut wieder ab: Wir sind noch mitten im Stück, auch das Schweigen ist Musik und auch der Applaus und alles andere, wie uns John Cage gelehrt hat.
Aber für Sigur Rós ist die Ganze Pause wohl eher ein Damm gegen die anbrandende Zeit. Der Trick besteht darin, der Stille Lärm und dem Lärm Stille folgen zu lassen, bis man endlich begreift, dass beide eins sind, dass die Stille in den Geräuschen wohnt und andersherum. Was man hört ist nur eine Frage der Einstellung. Das Kölner Publikum jedenfalls hat seine Lektion gelernt, die nächste Pause wird mit Geduld und Vorfreude empfangen.
Die dauert dann aber gleich 20 Minuten, gefolgt von einem nochmal so langen Set. Die isländische Band hat offensichtlich kein Interesse an der Dynamik eines gewöhnlichen Rockkonzerts. Es gibt auch keine Ansagen, bis auf ein kurzes „Danke“ auf Isländisch und Englisch vor dem letzten Stück. Und an Stelle einer Zugabe kommt die Band zweimal auf die Bühne zurück, um sich vor ihren nun ungehemmt applaudierenden Zuhörern zu verbeugen.
Bloß weg von der Rockmusik
Als Sigur Rós 1999 mit ihrem zweiten Album „Ágætis byrjun“ zu ihrem Sound gefunden hatten, sprach man noch von Postrock. Sie waren beileibe nicht die erste Band, die so verortet wurde, aber ihre Musik klang wie nichts zuvor. Postrock war ja auch gar kein echtes Genre, sondern versammelte lediglich Acts, die auf jeweils verschiedene Weise versuchten, die unangenehm gewordenen Klischees der Rockmusik abzulegen, ohne die Form völlig zu negieren.
Bei Stereolab klang das verspielt, bei Tortoise jazzig-verrätselt und bei Godspeed You! Black Emperor wie das Ende der Welt. Sigur Rós aber waren die Ersten, die statt zurück- nach vorne blickten, mit ihrer Musik in elysische Gefilde oder die offene See aufbrachen.
„Ágætis byrjun“ heißt übrigens schlicht „Ein recht guter Anfang“, wer wollte da widersprechen. Das Rückgrat des Kölner Konzerts bildet aber das darauffolgende Album, dessen Titel das Leerzeichen zwischen zwei Klammern bildet: „()“ und dessen CD-Booklet nur weiße Seiten enthält, die Hörer sollen sich über den Inhalt der Stücke ihre eigenen Gedanken machen.
Wahrscheinlich ist es genau diese prinzipielle Offenheit und Zugewandtheit, die Sigur Rós ihren nachhaltigen Erfolg beschert hat. Frühe Rezensionen bemühten noch die isländische Feenwelt, oder retteten sich – siehe oben – in Naturmetaphern. Doch trotz der mit hübsch in sich verdrehten Seilen dekorierten Bühne, der geschmackvollen Lightshow und der halb abstrakten, aber stets von Menschenbildern ausgehenden Projektionen – die beste Art, Sigur Rós zu hören, besteht immer noch darin, die Augen zu schließen.
Dabei ist es selbstredend auch beeindruckend, wie sich Jonsis engelsgleicher Countertenor manchmal in kehliges Kreischen verwandelt, wie er sich streichend über seine Gitarre beugt, der Ausdruck mal hoch konzentriert, mal schmerzverzerrt. Das Schöne jedoch ist, dass seine Expressivität ganz nach innen gerichtet ist, er belästigt niemanden mit seinen Gefühlen – insofern hat er den Rock wirklich überwunden – er verwandelt sie in einladenden, gelegentlich mitreißenden Klang. Oder in süße Stille.
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Nach zweieinhalb Stunden enden Sigur Rós mit dem namenlosen „()“-Song, den sie in Klammern als Popplagið – „Der Pop-Song“ – bezeichnet haben. Georg Hólm lässt seinen Bass wummern und Keyboarder Kjartan Sveinsson wechselt kurz an die Gitarre, er ist erst dieses Jahr nach zehnjährigem Pausieren wieder zur Band gestoßen. Das mitklatschbare Stück bleibt das einzige Zugeständnis an klassischen Pop, der Rest ist Gottesdienst.